BR-KLASSIK

Zur Eröffnung der 150. Münchner Opernfestspiele geht eine Neuproduktion von Wolfgang Amadeus Mozarts "Don Giovanni" über die Bühne des Nationaltheaters. Damit rundet sich die neue Lorenzo-da-Ponte-Trilogie der Bayerischen Staatsoper: "Don Giovanni" folgt den Neuinszenierungen von "Così fan tutte" und "Le Nozze di Figaro" (2022/23). Bei unserem Listicle mit einer Auswahl von fünf herausragenden "Don Giovanni"-Interpretationen liegt der Fokus auf der musikalischen Seite: Wer dirigiert, wer singt am besten?

Der Verführer plötzlich ein Versager – ein Verlierer? Der Inbegriff des Frauenhelden hat plötzlich keinen "Erfolg" mehr und wird aus Frust zum Mörder? Ein Tötungsdelikt läutet sein Ende ein. Mozarts Kunst der musikalischen Menschengestaltung ist durch Genauigkeit gekennzeichnet, durch Tiefgang und Wahrhaftigkeit. Auch das Libretto von Lorenzo da Ponte hat Spitzen-Niveau. Die Genrebezeichnung "dramma giocoso" ist ein Hinweis auf die Nähe zur opera buffa und deren Regelwerk. Komische und tragische Elemente durchdringen sich hier – und eine schwarze Komödie resultiert daraus. Die Figur des Don Giovanni ist vor dem Hintergrund einer starren Ordnung zu sehen: Nur auf dem Boden einer rigiden Moral kann ungehemmter Lebensstil nach purem Lustprinzip gedeihen – und ein Strafgericht erfolgen.

Bruno Walter: 1942 in New York

Während des Zweiten Weltkriegs in der Metropolitan Opera: Der Berliner Dirigent Bruno Walter (1876-1962) bringt brennende Leidenschaft und Dämonie auf einen Nenner. Es liegt ein Hauch des Todes über dem prallen Leben – apokalyptisches Welttheater! Das Ensemble wird dominiert vom energiegeladenen, zu vielen Schattierungen fähigen Bassisten Ezio Pinza. An seiner Paraderolle hat er in weit über 200 Aufführungen gefeilt. Da reißt jemand sich und sein Umfeld in einen kollektiven Taumel. Und es scheint, als seien heidnische Urkräfte von Eros und Thanatos am Werk.

Wilhelm Furtwängler: 1954 in Salzburg

Die nächtliche Grundstimmung der Oper, die überirdische Kraft des Strafgerichts stehen im Fokus der Interpretation des deutschen Pultstars Wilhelm Furtwängler (1886-1954), kurz vor dessen Tod. Der pathetische Ausdrucksmusiker animiert die Wiener Philharmoniker unter Salzburger Festspielbedingungen zu metaphysischem Spiel. Mit dem Ziel, menschliche Seelen-Abgründe zu zelebrieren. Feierlich ebnet eine mahnende Statue den Weg zur Höllenfahrt eines ausschweifenden Helden. Dessen Untergang bedeutet symbolisch die Vernichtung des Bösen in der Welt.

Carlo Maria Giulini: 1959 in London

Eine vor Präzision funkelnde Studioproduktion aus den legendären Abbey-Road-Studios. Der Italiener Carlo Maria Giulini (1914-2005) bietet am Pult des Londoner Philharmonia Orchestra die präzise Ausleuchtung von Mozarts komplexem Stimmengewebe. Mit einem homogenen Ensemble aus exzellenten Sänger:innen – in der wichtigsten Frauenpartie setzt die australische Sopranistin Joan Sutherland als ebenso stolze wie fragile Donna Anna starke Akzente. Der ambitionierte Schallplattenproduzent und Tonmeister Walter Legge suggeriert eine stereophone "sonic stage" und damit Bühnen-Atmosphäre. So widerfährt auch den groß besetzten Nummern Gerechtigkeit: nicht erst dem zweiten, sondern schon dem ebenso fulminant konzipierten ersten Finale der Oper.

Arnold Östman 1989 Drottningholm

Ein von Leichtigkeit geprägter dirigentischer Duktus, der erstmals die sogenannte historische Aufführungspraxis auf den Schild hebt: Der Schwede Arnold Östman (1939-2023) verfolgt eine radikale Entschlackungskur und damit das Ziel, die Musik eines lustigen Stücks erlebbar zu machen. Da bekennt sich ein Interpret zu einer Oberflächlichkeit, die mit miniaturisierten Gefühlen einhergeht: kleinen Stimmen und noch kleineren Seelennöten. Wir sehen die Individuen wie durch ein umgedrehtes Fernglas. Und nach dem Einbruch des Jenseits am Ende wirkt das Fazit Mozarts ironisch. Ähnlich ist der Ansatz weiterer Originalklang-Einspielungen wie von John Eliot Gardiner oder René Jacobs.

Yannick Nézet-Séguin 2011 Baden-Baden

Im Festspielhaus Baden-Baden bewährt sich das Mahler Chamber Orchestra, eine historisch informierte, aber auf konventionellen Instrumenten, also etwa Stahl- statt Darmsaiten spielende Schar von Musiker:innen. Der Kanadier Yannick Nézet-Séguin (Jahrgang 1975) offenbart enorme Fähigkeiten als Begleiter, achtet auf Transparenz und weitgehenden Vibrato-Verzicht. So lässt sich Mozart zeitgemäß interpretieren: frisch, elegant, dramatisch. Es kommt ein quirliges Kammerspiel heraus, mit konsequent entmystifizierter Sicht auf die Oper. Und der Bassist Ildebrando d’Arcangelo wirft als Titelheld erotische Glut in die Waagschalen.

Autor: Volkmar Fischer

Sendung: Live aus dem Münchner Nationaltheater: "Don Giovanni" am 27. Juni 2025 ab 19:00 Uhr auf BR-KLASSIK