Es ist die europäische Erstaufführung: Das BRSO spielt Thomas Larchers Cellokonzert "Returning into Darkness". Das Werk berührt existenzielle Themen und musikalische Tiefen, es geht dabei auch um Einsamkeit, so der Komponist im Interview. BR-KLASSIK überträgt das Konzert heute live im Radio.
Bildquelle: Richard Haughton / ECM Records
BR-KLASSIK: Ihr Cellokonzert ist ein Auftragswerk der Koussevitzky Music Foundation und von vier Orchestern – dem New York Philharmonic, dem Nederlands Philharmonisch Orkest, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich. Wie kommt ein solcher Auftrag zustande, und wie wichtig ist so ein Auftrag für einen freischaffenden Künstler, wie Sie es sind?
Thomas Larcher: Ein Auftrag kommt dann zustande, wenn eine Interpretin zu mir sagt, sie hätte gerne ein Stück von mir. Alisa [Weilerstein] und ich haben im Rahmen des Aldeburgh Festivals 2019 an einem anderen Stück miteinander gearbeitet, gemeinsam mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra. Sie hat es wahnsinnig souverän und überzeugend gemacht. Ein Dirigent meinte: "Was die macht, ist aber amtlich." Das hat man früher öfter gesagt unter Musikern. Das heißt, sie musizierte auf einer wahnsinnig soliden Basis eines extrem sicheren und faszinierenden Cellospiels und alle Facetten der Musik mitbedenkend und aufnehmend. Das war wirklich eine tolle Begegnung! Alisa, ich und unsere Agenturen haben uns dann auf die Suche gemacht nach möglichen Auftraggebern. Und dabei hat sich das New York Philharmonic sehr schnell herauskristallisiert, aber auch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Das wiederum kommt daher, da ich mit dem BRSO schon zusammengearbeitet habe, damals noch mit Mariss Jansons. Etwas, das mir mein ganzes Leben in Erinnerung bleiben wird, damals mit dem Solisten Mark Padmore. Und somit waren dann alle irgendwie überzeugt, dass die Welt ein neues Cellokonzert braucht.
Es ist ein Stück, in dem es um Einsamkeit geht.
BR-KLASSIK: Hat denn eine Auftraggeberin, nennen wir Alisa Weilerstein mal so, auch ein Mitspracherecht, wenn so eine Komposition entsteht?
Thomas Larcher: Das wäre ja noch schöner. Nein, tatsächlich ist es meistens so, dass man einen Auftrag bekommt oder annimmt. Und dann geht man in eine einsame Phase, in eine Klausur, aber mit dem Nachhall der Begegnung natürlich. Ich hätte sicher ein anderes Stück geschrieben, wenn ich nicht vorher mit Alisa gearbeitet hätte. Ein Stück gewinnt dann auch eine Eigendynamik aus seiner Anlage her – aber auch aus der Zeit, in der der Komponist mit der Welt umgeht oder mit sich selber und der Welt umzugehen versucht und einfach Dinge durchlebt. Ich denke, dass das alles hineinfließt in die Musik. Aber vielleicht bin ich der, der dazu am schlechtesten was sagen kann, weil ich natürlich nicht diese Distanz zu mir selber habe, sondern zu involviert bin, als dass ich die musikalische Aussage eines Werks wirklich schlüssig bündeln und auf ein paar Sätze lange Selbstexegese herunterbrechen könnte.
BR-KLASSIK: Wohl aber können Sie uns etwas dazu sagen, weshalb Sie Ihre Komposition "Returning into Darkness", also "In die Dunkelheit zurückkehren", genannt haben.
Bildquelle: Bayerischer Rundfunk
Thomas Larcher: Es ist ein Stück, in dem es um Einsamkeit geht, auch um geistige Einsamkeit. Ein Stück, das in einer Zeit entstanden ist, in der viele sicher geglaubte Anker dieser Welt zu wanken begonnen haben. Und dementsprechend ist es natürlich keine Virtuosenmusik geworden, sondern in großen Teilen Kammermusik eines Solisten, der mit vielen musikalischen Persönlichkeiten hier im Orchester spricht. Und ich glaube, man hört auch, wie feinfühlig und sensibel die Musiker des Orchesters mit ihren Partien umgehen. Ich habe eine kleinere Besetzung für das Orchester gewählt. In den letzten Jahren habe ich enorm viel geschrieben für sehr große Besetzungen. Und diesmal ist es – eben auch aus Balancegründen und aus Gründen der Nähe, der physischen oder der möglichen Nähe – eine kleinere Besetzung geworden, bei der sich aber die Individuen, die im Orchester sitzen, sehr gut entfalten können. Denn ein Orchester ist für mich weniger eine Masse an Leuten, die viel Krach machen, sondern es sind ja alles einzelne Persönlichkeiten, sehr besondere Persönlichkeiten! Es sind auch ein paar Partien für Leute aus dem Orchester dabei, die ich kenne und mit denen ich schon früher gearbeitet habe, zum Beispiel Natalie Schwaabe, Piccoloflöte, und Magdalena Hoffmann, Harfe. "Returning into Darkness", das heißt auf der einen Seite, durch eine schwierige Zeit zu gehen. Aber natürlich ist es auch dunkel, wenn man schläft. Und das kann wiederum zwei ganz verschiedene Vektoren haben: Wenn man schläft und das Unterbewusste sich auf sehr heftige Weise seinen Weg bahnt – oder wenn man schläft und einen großen Spannungsabfall und eine tiefe Erholung erfährt.
Für mich ist die Einsamkeit ein Grundbedürfnis.
BR-KLASSIK: Es scheint bei Ihnen immer um existenzielle Themen zu gehen, wenn Sie komponieren. Trügt dieser Eindruck oder stimmt das?
Thomas Larcher: Da kann ich nur sagen: Um was denn sonst? Auch z.B. Johann Strauss hat existenzielle Themen behandelt, weil auch Lust, Bewegung und Ekstase und alles, was man mit Strauss verbindet, ja wirklich existenziell ist. Und das, was man auch dem Walzer zugeschrieben hat, diese sexuelle Komponente und Erregung: Das ist ja die "Driving Force" unseres Lebens.
BR-KLASSIK: "Love and Fever" heißt eine Komposition, die Sie vor diesem Cellokonzert geschrieben haben – ein Werk, das Sie dem Dirigenten Dennis Russell Davis gewidmet haben. Da schließt sich für mich der Kreis zu dem, was Sie eben gesagt haben, nämlich, dass es immer um Personen geht, mit denen Sie zu tun haben. Sie haben eben schon Musikerinnen aus dem Orchester genannt. Hier ist es ein Dirigent, mit dem Sie viel zusammenarbeiten. Das heißt, die Verbindung zu den Interpreten ist sehr wichtig ...
Thomas Larcher: Ja, das war für mich als Komponist von Anfang an sehr wichtig! Ich war ja früher Pianist und habe sehr viel mit Orchestern gespielt, auch mit dem BRSO, und zugleich viel Kammermusik gemacht. Dabei bin ich z.B. Musikern begegnet wie Christian Tetzlaff und Lars Vogt, meinem Freund, dem unvergessenen Pianisten. Auch Boris Pergamentschikow gehörte dazu. Und dabei habe ich z.B. in Heimbach, bei Lars Vogts Kammermusikfestival [dem Festival "Spannungen", Anm. der Redaktion], einmalige Erfahrungen machen dürfen. Dort bin ich als Komponist quasi geboren worden, weil ich, von Lars angeregt, auch ein Stück geschrieben habe. Und dieses Stück hat dermaßen viel Resonanz gefunden, dass es einer der Gründe war, mich auch wirklich zu trauen, mich ganz dem Komponieren zu widmen. Das war für mein Selbstbewusstsein und mein Gefühl, wie ich denn umgehen soll mit meinen verschiedenen Tätigkeiten, extrem wichtig.
Dieses Stück hat dermaßen viel Resonanz gefunden.
BR-KLASSIK: Das heißt, das Klavier wird jetzt immer mehr in Ruhe gelassen? Oder sind Sie auch noch als Pianist aktiv?
Thomas Larcher: Nein, ich staube es jeden Monat einmal gründlich ab, das war es aber auch schon. Doch es kommen im Herbst ein paar Konzerte mit einem Freund, dem Pianisten Paul Lewis, bei denen er ein Stück von mir solo spielt und wir auch gemeinsam Schuberts Fantasie spielen werden. Außerdem spiele ich ein paar kleinere Stücke von mir. Das passiert im Rahmen einer Saison als Composer-in-Residence in der Wigmore Hall in London. Und gerade diese Konzerte werden mich wieder zu meinen Wurzeln als Kammermusiker und auch als Kammermusik-Komponist zurückbringen.
BR-KLASSIK: Etwas, was immer wichtiger für heutige Künstler wird, ist die Selbstvermarktung und Selbstbewerbung. Posten Sie auch Dinge in sozialen Netzwerken?
Thomas Larcher: Ich poste hier und da etwas, aber eigentlich ausschließlich in beruflichen Zusammenhängen – und wenn ich will, dass meine Freunde erfahren, was man hören kann und was es Neues gibt an Stücken. Aber ich poste nie etwas Privates. Früher hat man verschwinden können, wenn man verschwinden wollte. Für mich ist die Einsamkeit ein Gefühl und auch ein Grundbedürfnis, das ich nicht missen möchte. Ich möchte sozusagen meine Gedanken auch mit mir selber tragen können, solange ich will und sie erst veröffentlichen oder jemandem mitteilen, wann und auf welche Art ich es will. Hier gibt es eine unglaublich einschneidende Veränderung, seit es diese sogenannten Sozialen Medien gibt: Man ist, wenn man es einmal geworden ist, eine öffentliche Person und bleibt es – mit allen negativen Konsequenzen. Es werden immer Spuren hinterlassen.
BR-KLASSIK: Als Tiroler sind Sie ein sehr heimat- und naturverbundener Mensch. Wie wichtig sind die Berge für Sie, um zu komponieren, um in sich zu kehren, um aus sich zu schöpfen?
Thomas Larcher: Ja, das stimmt: Ich bin der Landschaft in Tirol sehr verbunden, auch wenn ich das manchmal nicht so offen zugebe. Mir ist die Musik im Freien, in der Natur, oft einfach zugeflogen: durch Geräusche, durch die Tiere, durch die Lebewesen, durch den Wind vor allem, durch die fallenden Steine und den zischenden Bach oder das Grollen, Urelemente des Donners und so weiter. Das war für mich als Kind wahnsinnig erschreckend und wichtig – und auch die Situation von Gefahr ist mir sehr vertraut geworden, damals schon, und das instinktive Reagieren darauf. Das alles hat mich hat als Musiker in meiner Kindheit sehr geprägt: Durch meine Mutter, die gesungen hat und später durch meine ersten musikalischen Begegnungen: Z.B. mit Komponisten wie Mozart mit fünf Jahren oder mit Bach mit sieben Jahren oder mit Schubert und all den Liedern, überhaupt die gesamte klassische Musik. Das ist etwas, das ich auch nicht loswerden kann. Ich bin auch als Komponist durch die Klassiker geprägt und kann heute noch Stücke, die ich mit sieben, acht Jahren gelernt habe, quasi mit dem Anschauen eines Notenblatts auswendig. Dagegen sind Stücke, die ich mit 40 Jahren gelernt habe, oft wie eine weiße Fläche, man weiß nichts mehr davon ... Aber diese kindlichen Erlebnisse sind in mir wirklich verankert.
BR-KLASSIK: Und wenn wir es mal aufs Komponieren übertragen: Wo komponieren Sie? Robert Schumann hat mal in seinen "Musikalischen Haus- und Lebensregeln" aufgeschrieben: "Fängst du an zu komponieren, so mache alles im Kopf. Erst wenn du ein Stück ganz fertig hast, probiere es am Instrumente." Wie halten Sie es, Thomas Larcher?
Thomas Larcher: Sehen Sie, er hat das gekonnt! Ich kann das nicht, ich bin zu doof dafür. Ich arbeite oft wie in einem Fluss, der um sich selbst kreist, wo immer wieder ähnliche Motive und Ansätze hervorkommen. Und es gibt auch Momente, die ich suche, als Inspiration, nämlich: Dass aus ungelösten Problemen etwas Neues entstehen kann; aus ungelösten Konstellationen von irgendwelchen Skizzen, Motiven, die natürlich dann auch wieder mit Erlebnissen, mit Lebenssituationen in Verbindung gebracht werden. Ich bin vielleicht weniger ein Erfinder als ein Komponist, der etwas zusammenfügt und der auch etwas für sich selber zu erklären versucht, was nicht erklärbar ist.
Die europäische Erstaufführung des neuen Cellokonzerts von Thomas Larcher findet am 5. Juni im Münchner Herkulessaal statt. BR-KLASSIK überträgt das Konzert mit dem BRSO ab 20:03 Uhr live. Mehr Informationen finden Sie hier.
Autor des Textes: Falk Häfner
Sendung: Konzert mit dem BRSO am 5. Juni 2025 ab 20:03 Uhr auf BR-KLASSIK
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