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Kritik – Monteverdis "Ulisse" an der Staatsoper Wien Viel Begeisterung und einige Längen

Am 2. April hatte Claudio Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" an der Wiener Staatsoper in einer Neuinszenierung Premiere. Es ist der letzte Teil einer Monterverdi-Trilogie – auf die Bühne gebracht von drei verschiedenen Regieteams, musikalisch aber zusammengehalten vom Concentus Musicus Wien unter dem Dirigenten Pablo Heras-Casado.

Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" an der Staatsoper Wien – Szenenfoto | Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Diese Klage ist nicht sedimentiert, eingetrocknet, zur Pose erstarrt: Nein, die Wunden dieser Seele sind frisch wie am ersten Tag. Spätestens wenn die Mezzosopranistin Kate Lindsey den ersten Monolog der Penelope klanglich wie aus Tenortiefen emporsteigen lässt und dann zu rückhaltlos expressiven Schmerzenstönen steigert, dann ist klar, dass die noch folgenden gut drei Stunden dieses Abends nicht bloß einem samtig ausgebreiteten, puren Schöngesang gehören werden. Das hat zwar niemand erwartet in der Frühgeschichte der Oper bei Claudio Monteverdi, dem Meister des "Recitar cantando", also des singenden Sprechens, der in Töne gegossenen Rede. Und Lindsey ist bekannt für ihre stellenweise bohrende, sehrende Tongebung. Aber die spezielle Ausdruckskraft dieser Stimme überrascht doch immer wieder: Sie und Georg Nigl als Ulisse lassen niemand kalt.

Musikalisch regieren Klangfülle und Frohsinn der Farben

Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" an der Staatsoper Wien – Kate Lindsey als Penelope | Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" an der Staatsoper Wien – Kate Lindsey als Penelope | Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Die Monteverdi-Trilogie an der Wiener Staatsoper ist nun vollendet. Zum Auftakt hatte Bogdan Roscic 2021 Jan Lauwers seine Salzburger Tanzinszenierung von "L’incoronazione di Poppea" für Wien adaptieren lassen; im Jahr darauf war Tom Morris' blümchenbunt und grottendüster anzusehende Regie von "L’Orfeo" mit Standing Ovations belohnt worden. Zum Abschluss gab es nun vergleichsweise herbere Kost, die übrigens historisch mit Wien verbunden ist: Die einzige erhaltene Partiturabschrift von "Il ritorno d’Ulisse in patria" war Teil der so genannten Schlafkammerbibliothek Kaiser Leopolds I. Die Heimkehr des Odysseus nach Krieg und Irrfahrten hat nun in einer Ausstattung von Anna Viebrock das Regieduo Jossi Wieler und Sergio Morabito inszeniert, Letzterer seines Zeichens Chefdramaturg der Staatsoper. Drei völlig verschiedene Theaterhandschriften auf der Bühne also, im Graben zusammengehalten vom Concentus Musicus Wien unter Pablo Heras-Casado. Dieser hat schon bei den vorangegangenen Produktionen gezeigt, dass Minimalismus seine Sache nicht ist: Klangfülle und ein Frohsinn der Farben regieren. Der Concentus ist in der Besetzung so aufgestockt, dass er das Haus akustisch füllt. Vor allem aber prunkt man mit einer zehnköpfigen, differenziert eingesetzten Continuo-Gruppe: Götter, ob gütig oder feindselig gestimmt; Menschen und ihre Schicksale – sie alle sind hier auf glitzernde, wogende, prickelnde Klänge gebettet.

Die Götter reisen Business Class

Die Bühne stellt keine wüste Insel, sondern eine Art begehbarer Rumpelkammer dar, die Kostüme suggerieren 19. und 20. Jahrhundert. An der Rampe links ein paar derbe Wirtshaustische: Hier regiert der feiste Schmarotzer Iro, den Jörg Schneider in einer ausgefeilten Charakterstudie darstellt. Rechts eine Kleiderkommode, wo die Magd Melanto arbeitet: Die junge Daria Sushkova bleibt mit charakteristisch timbriertem Mezzosopran in Erinnerung. In der Mitte eine Drehscheibe mit Penelopes Webstuhl im Zentrum: Kate Lindsey verströmt als begehrte Quasi-Witwe mit dunkler Sonnenbrille so etwas wie Jackie-Kennedy-Flair, genießt das erotische Begehren ihrer zudringlichen Freier, bleibt aber dennoch standhaft. Dazu noch ein Hochstand, Labortische, kleine Zuschauerpodien, an der Rückwand eine riesige Schiefertafel, auf der Telemaco (Josh Lovell) schreibt – und natürlich ein paar luxuriöse Flugzeugsitze: Denn die olympischen Götter reisen selbstverständlich Business Class. Zu den humoristischen Einsprengseln zählt weiters ein Phäakentrio, das dem Inszenierungsteam nicht unähnlich ist.

Das Ergebnis ist mehr als die Summe seiner Teile

Die Inszenierung entpuppt sich als Mosaik von Erzählsträngen, Gedankensplittern, Metaphern und Versatzstücken, die erfreulicherweise mehr sind als die Summe all dieser Teile. Die Hauptsache gerät dabei aber nie aus dem Fokus: die möglicherweise unmögliche Wiedervereinigung zwischen Ulisse und Penelope. Der famose Georg Nigl ist nicht eindimensional als traumatisierter Kriegsheimkehrer gezeichnet, sondern als glaubwürdig verwirrter, von der Situation überforderter Mann: Haar und Bart zerzaust, im seltsamen Nachthemd stapft er umher, als hätte er sich gerade aus einem Seniorenheim davongestohlen – aber Minerva (Isabel Signoret) leitet ihn. Zunächst gibt ihm die Erinnerung Halt, die Begegnung mit seinem Sohn Telemaco, mit der rührenden, am Stock gehenden Helene Schneiderman als Ericlea. Und wie Kate Lindsey schöpft Nigl die Bandbreite der Gefühle mit schöner, weil ungeschönter Expressivität aus. Das Schlussduett der beiden, wenn er die lästigen Freier mit eruptiver Kraft erledigt hat, mag schon die namenlose Freude feiern. Doch erst im allerletzten Moment kommt es zu einer ersten, schüchternen Berührung nach so langer Zeit.

Einige Buhrufe, viel Begeisterung

Da vergaß man auch, dass der zweite Teil doch einige Längen hatte, die vielleicht mit verantwortlich waren für einige dem Regieteam geltende Buhrufe. Ansonsten viel Begeisterung, allen voran für Georg Nigl, Kate Lindsey, Pablo Heras-Casado und den Concentus Musicus.

Sendung: "Allegro" am 3. April ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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