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Zwischenruf: Brauchen wir Musikkritiker? Die Buhmänner – wider besseres Können

Die Wellen der Empörung schlugen hoch, als Mitte Oktober eine Musikkritik in der Süddeutschen Zeitung über einige ihrer Ziele hinausschoss. Dieser Text über Igor Levit beschäftigte viele – manche Reaktionen machten dann auch schnell ihrem generellen Unmut über Musikkritik Luft. Musikkritik sei sowieso "überflüssig wie ein Kropf", hieß es da unter anderem. Doch was ist überhaupt Musikkritik? Wozu ist sie da? Kann man sie nicht doch gebrauchen?

Vorlage: "Vier Theater- und zwei Konzertrezensionen" (Karikatur auf einen vielschreibenden Kritiker). Holzstich, 1847, von Andreas Geiger  | Bildquelle: picture-alliance / akg-images / Collage: BR

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Zugabe

Zwischenruf - Brauchen wir Musikkritiker?

Es ist eines der hartnäckigsten und zähesten Klischees: Kritiker sind Buhmänner, Miesmacher, Berufs-Griesgrame. Neider, die selber nichts draufhaben und andere runtermachen. Verhinderte Künstler. Pseudo-Literaten. Taugenichtse der Kulturszene. Ungemein lästig und völlig überflüssig. Besonders schlimm: die Musikkritiker! Kritikerinnen natürlich ganz genauso. Der Satiriker Georg Kreisler legte dem Berufsstand folgende, manchmal leider treffende Sätze in den Mund: "Es gehört zu meinen Pflichten, Schönes zu vernichten (…) für mich hat Zuhören keinen Sinn, weil ich unmusikalisch bin!"

Eine Geschichte voller Missverständnisse

Musikkritiker aller Generationen – und weniger Kritikerinnen – haben selbst viel zu diesem Bild beigetragen. Das gab es schon im 19. Jahrhundert in Wien mit dem scharfen Denker und manchmal bösen Formulierer Eduard Hanslick, der in Tschaikowskys Violinkonzert stinkende Musik auszumachen glaubte. Richard Wagner karikierte Hanslick mit dem kleinlich-biederen Sixtus Beckmesser in den "Meistersingern". Und tat ihm Unrecht. Wie auch vielen seiner Nachfolger. Die Geschichte der Musikkritik ist die Geschichte ihres Missverständnisses. Und zwar oft von beiden Seiten. Von Lesern, die glauben, Einwände seien stets Miesmacherei. Und von Autoren, die meinen, eine Kritik sei nur dann eine, wenn sie besonders fies ist.

Wenn Musik in Sprache aufgeht

Kaum einer schaut hinter das Wort Kritik. Das würde helfen. Allen. Das Wort hat kein bisschen mit Mäkeln oder Abkanzeln zu tun. Das griechische Verb, von dem das zunächst französische Wort critique abgeleitet wurde, bedeutete vor allem: unterscheiden. Das ist anders und sehr viel spannender. Was Kritiker, diese seltsamen Menschen, eigentlich wollen – oder wollen sollten –, ist: auf den Begriff zu bringen, warum Musikerin A anders klingt als Musiker B. Was sie oder er anders macht. Was einen Klang von einem anderen trennt. Und manchmal dafür Worte zu finden, die Bilder sind – oder sogar selbst Musik. Persönliche Erinnerung: Als junger Zeitungsleser habe ich vor Jahren durch Kritiken so manche Musik überhaupt erst entdeckt. Und die Schönheiten in ihr besonders zu schätzen gelernt durch Sätze etwa von Werner Burkhardt, einst Kritiker der Süddeutschen Zeitung. Über den tragischen Jazzer Chet Baker schrieb der einmal: Dessen sehr dünne, zarte Stimme sei "der Geisterfaden, mit dem der Einsame die Einsamen an sich band". Was für ein Satz! Wenn Musik so in Sprache – und in Erkenntnis – aufgeht, kann das die Freude an ihr entschieden steigern. Überflüssig? Nein! Wir brauchen Kritiker. Aber solche, die unterscheiden können – und durch ihre Worte die Sinne schärfen.

Sendung: "Leporello" am 22. Oktober 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Samstag, 24.Oktober, 17:22 Uhr

Arie K

Meine Wünsche...

Bitte diskutieren Sie auch dieses Thema mit ihrem Team. Ich finde, dass der BR-Artikel von Tobias Stosiek „WANDERER IM NEBELMEER“ genauso respektlos gegenüber dem Künstler ist. Bitte machen Sie bloß kein Vergleich zwischen A und B Musiker, um einen schlechter als anderen dazustellen. Das hat mich meistens beim SZ-Artikel über Levit auch gestört: Warum musste man mit Trifonov vergleichen? Wir brauchen Vielfältigkeit der Interpretation in der Musikszene. Wie schön ist das, dass Barenboim anders als Levit spielt. Wie schön ist das, dass Levit anders als Bareboim und Trifonov ist. Beschränken Sie bitte nicht die Freiheit der Interpretation durch ihre Musikkritik.

Samstag, 24.Oktober, 08:50 Uhr

Schubert Klaus

Musikkritiker überflüsig?

Ich denke, wenn es nur um die Musik geht und deren Darstellung, dann ist deren Meinung bestimmt zu mindest zum Teile wertvoll, auch wenn ich wie z.B. Interpretationen im Vergleich nicht immer der Meinung der Autoren /innen bin. Aber das ist ja natürlich. Nur Neueinsteigern in der Klassikszene kann man dadurch die Musik vermiesen, bzw den Neueinstieg vermiesen, wenn diese unter die Gürtellinie geht. Beispiel: Wagner in Bayreuth ind Casdorfinzenierungen. Den nur Hörer interessiert der Unmut über die Inzenierung nicht.

Samstag, 24.Oktober, 07:39 Uhr

Knut Brenner

Kritiker, Kritik und die Kunst zu unterscheiden..

..dafür braucht es für das 'Kernrepertoire Klassik' erst einmal Zeit, um die Werke kennenzulernen und sich der Unterschiede möglicher Interpretationsansätze bewusst zu werden. Das bedeutet aber auch, dass ganz junge Kritiker es schwer haben werden: der Horizont will und wird sich so schnell nicht weiten...
Der ältere Musikkritiker hingegen, gern auch als 'Musikpapst' ironisch tituliert, kennt alles und geniesst das Privileg sich festlegen zu können: Dirigent A mit Orchster B aus dem Jahr 19xx stellt für das Werk Y den Maßstab dar. Inzwischen sitzt der Kopf altersbedingt ziemlich bewegungslos zwischen den Schultern und das Drehen der Ohren hin zu ungewohnten Klängen ist merklich erschwert. Auch problematisch. - Und zum Selbstverständnis des Filmkritikers hat Francois Truffaut einmal bemerkt: 'wie soll ich denn eine Kritik über einen Film schreiben, den ich noch keine fünf mal gesehen habe...'

Freitag, 23.Oktober, 17:27 Uhr

Ursula Hartlapp-Lindemeyer

Kritiker

Wenn ich eine Opernkritik schreibe ist es mein Ziel, zu zeigen, was an der Produktion besonders und sehenswert ist. Wenn das Werk neu ist oder selten gespielt gehe ich auch auf das Werk ein.
Ich vermeide auf jeden Fall Body Shaming der Sängerinnen und Sänger, das ist gemein.
Am häufigsten meckere ich über problematische Inszenierungen, die den Charakter des Stücks nicht erfassen oder gar konterkarieren.
Und besonders froh bin ich über musikalische Spitzenleistungen.

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