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Kandidaten-Karussell an der Berliner Staatsoper Wer folgt auf Barenboim?

Seit dem Triumph mit Richard Wagners "Ring des Nibelungen" an der Berliner Staatsoper gilt der Dirigent Christian Thielemann als heißer Kandidat für die Nachfolge von Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor. Die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle waren ebenso begeistert wie das Publikum und die internationale Kritik. Seitdem hält sich hartnäckig die Meinung, das Rennen sei gelaufen, der gebürtige Berliner Thielemann sei bereits so gut wie eingesetzt. Aber so einfach ist es nicht.

Daniel Barenboim vor der Staatsoper Unter den Linden | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Generalmusikdirektoren und -direktorinnen werden nicht durch Akklamation des betreffenden Orchesters bestimmt, sondern von den zuständigen Kulturpolitikern in einem komplizierten Verfahren ausgewählt. Christian Thielemanns Können im deutschen romantischen Opernrepertoire steht außer Frage. Ganz geräuschlos verlief allerdings seine Karriere nicht immer - sei es während seiner Zeit als GMD an der Deutschen Oper oder auch bei den Bayreuther Festspielen und bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der stilistisch konservative Thielemann stünde also für eine Fortsetzung des bisherigen Kurses sowohl was die ästhetische Ausrichtung als auch den Führungsstil betrifft.

Moderner Führungsstil an Berliner Kulturinstitutionen gewünscht

Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) hat in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich gemacht, dass er sich einen modernen Führungsstil an den Berliner Kulturinstitutionen wünscht, das dürfte Thielemanns Chancen verkleinern. Auch Elisabeth Sobotka, designierte Intendantin der Berliner Staatsoper und derzeit Chefin der Bregenzer Festspiele, ist bislang nicht als Fan von Christian Thielemann bekannt. Sie dürfte ein Mitspracherecht bei der Besetzung des GMD-Postens haben, wahrscheinlich stimmt sie sich zurzeit mit dem derzeitigen Intendanten Matthias Schulz, der im Jahr 2025 an die Züricher Oper wechselt, über das weitere Vorgehen ab.

Antonio Pappano - von der Themse an die Spree?

Antonio Pappano | Bildquelle: picture alliance/dpa/CTK | Katerina Sulova Wechselt Antonio Pappano von London nach Berlin? | Bildquelle: picture alliance/dpa/CTK | Katerina Sulova Zu den öfter genannten Kandidaten zählt auch Antonio Pappano. Der Londoner mit italienischen Wurzeln ist noch Musikchef des Königlichen Opernhauses seiner Heimatstadt, doch diesen Posten gibt er in Kürze ab. In Berlin war er zuletzt mit "La fanciulla del West" von Giacomo Puccini einhellig gefeiert, auch die Staatskapelle war von der Zusammenarbeit erfreut. Pappano ist gleichalt wie Thielemann, steht aber für einen anderen Führungsstil und eine größere Offenheit für moderne Theaterformen. Er hat zudem langjährige Leitungserfahrung in Covent Garden und ist in der internationalen Dirigentenszene so gut vernetzt, dass er auch andere hochrangige Kollegen und Kolleginnen an die Lindenoper locken kann.

Wenig Chancen für Barenboims ehemaligen Assistenten Thomas Guggeis

Ein weiterer Kandidat ist Thomas Guggeis, der als Einspringer einst die Berliner "Salome"-Premiere rettete und neben Thielemann einen der drei "Ring"-Zyklen im Herbst dirigierte. Der 29-jährige ehemalige Assistent Barenboims ist zweifellos ein herausragender Musiker, aber er hat gerade erst einen Vertrag als GMD der Frankfurter Oper unterschrieben, der in der kommenden Spielzeit beginnt. Seine Karriere läuft gerade sehr gut und er hätte wohl ein Imageproblem, wenn er seinen gerade geschlossenen Vertrag in Frankfurt kurz vor Amtsantritt auflösen würde. Besonders wahrscheinlich ist das ohnehin nicht.

Auch Simon Rattle, Oksana Lyniv und Joana Mallwitz werden gehandelt

Auch Simon Rattle trat mehrfach erfolgreich als Gast Unter den Linden auf, zuletzt in Leoš Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos". Zwar besitzt er aus Philharmonikerzeiten noch seine Villa in direkter Nachbarschaft von Daniel Barenboim in Berlin-Schlachtensee und seine Berufung würde eine spiegelverkehrte Parallele zu Vladimir Jurowski bilden (der eine als GMD der Oper in München und Chef eines Radio-Symphonieorchesters in Berlin, der andere dann genau umgekehrt), aber diese Berufung gilt als unwahrscheinlich. Ebenso chancenlos scheinen die Dirigentinnen Oksana Lyniv und Joana Mallwitz zu sein. Mallwitz wurde gerade zur Chefdirigentin des Konzerthausorchesters am benachbarten Gendarmenmarkt berufen und in Berlin mit größter Skepsis erwartet, auch Lyniv ist bislang noch nicht sonderlich erfolgreich in der Hauptstadt in Erscheinung getreten.

Offenes Rennen um Barenboims Nachfolge

Christian Thielemann dirigiert das Wiener Neujahrskonzert 2019 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Dirigent Christian Thielemann gilt als heißer Kandidat für die Nachfolge von Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Dass dieses Rennen so offen erscheint, liegt auch daran, dass Kultursenator Klaus Lederer den Vertrag Barenboims bis 2027 verlängert hatte. Scheinbar gesicherte Verhältnisse haben dazu geführt, dass weder in der Kulturverwaltung noch in der Staatsoper Pläne für die Nachfolge gemacht wurden, von Verhandlungen mit Kandidaten ganz zu schweigen. Wichtig wäre nun, eine überzeugende Persönlichkeit zu finden, die sich abwendet von Barenboims autokratischem Führungsstil. Jemanden, der oder die auch Spaß an den Proben hat und nicht erst kurz vor der Premiere anreist, um dann das Regiekonzept umzustürzen, wie es bei Barenboim nicht selten vorkam.

Ob sich Klaus Lederer überhaupt als Senator um das Berufungsverfahren kümmern kann, hängt auch vom Ausgang der Berliner Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar ab. Mag sein, dass die Kulturverwaltung dann eine neue Leitung bekommt und die Prioritäten nochmal ganz anders gesetzt werden.

Sendung: "Allegro" am 10. Januar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (8)

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Freitag, 13.Januar, 13:19 Uhr

Bassetto

Joana Mallwitz

Gibt es einen Grund oder einen Beleg für die Aussage, dass Joana Mallwitz am Konzerthaus Berlin "mit größter Skepsis" erwartet werde? Warum??

Donnerstag, 12.Januar, 10:09 Uhr

Jürgen Kröner

Christian Thielemann

Absolut, der Beste Dirigent für die Staatsoper Berlin !

Mittwoch, 11.Januar, 19:55 Uhr

Hans Reinhard Seeliger

Was kümmert es die Bayern eigentlich?

Dass sich der BR um eine Position in Berlin sorgt, entbehrt nicht einer gewissen Komik

Mittwoch, 11.Januar, 00:09 Uhr

Joachim Pieczyk

Barenboimnachfolge

Wieso nennt niemand den Namen Phillip Jordan. Auch Jordan war Assistent bei Barenboim, danach Chef am Opernhaus Graz, danach Chef der Pariser Oper und ist noch amtierender Chef der Wiener Staatsoper. Seine künstlerische Kompetenz kann niemand in Zweifel ziehen, und sollte tatsächlich jemand gesucht werden, der einen modernen, mitarbeiterorientierten Führungsstil praktiziert und ohne egozentrische Allüren auskommt, wäre er die richtige Wahl.

Dienstag, 10.Januar, 17:40 Uhr

FFM

GMD

Aufgabe eines GMD ist aus meiner Sicht vordringlich die Entwicklung eines Orchesters, was eine kontinuierliche Arbeit mit dem Orchester bedingt. Bei den großen, international vielbeschäftigten Dirigenten ist das meist ein schwieriges Thema.
Insofern wäre eine Besetzung mit einer der beiden genannten jungen Dirigentinnen - die sich in bereits u.a. in Bayreuth bzw. Salzburg bewährt haben - aus meiner Sicht eine gute Lösung.

Dienstag, 10.Januar, 17:34 Uhr

Gewandhäusler

Nachfolger Daniel Barenboim

Antonio Pappano übernimmt das London Symphony Orchestra und bleibt vorerst dem Orchestra di Santa Cecilia in Rom verbunden. Vielleicht ist Christian Thielemann trotz seiner Probleme in Dresden die vernünftigste Lösung. Auf jeden Fall ist Daniel Barenboims Rückzug ein harter Schlag.

Dienstag, 10.Januar, 16:12 Uhr

Medi

Nachfolge Barenboim

Es ist höchste Zeit, dass Barenboim aufhört, Thielemann wäre der richtige Nachfolger, aber Pappano oder Mallwitz auch gute Wahl.

Dienstag, 10.Januar, 11:42 Uhr

Gufo

GMD

Der linke Kultursenator wünscht einen " modernen Führungsstil".Was ist denn das ?Sind das unendliche Diskussionen, an deren Ende ein fauler Kompromiss steht?Ist das ein Stil,bei dem ein Kollektiv entscheidet,bei dem einer die Verantwortung auf den anderen schiebt? Ist das ein Stil,bei dem Verantwortung überhaupt nicht mehr vorkommt ?Oder ist es nur ein vorgeschobener Tarnbegriff, um eine bestimmte Person, gegen deren fachliche Qualifikation nichts, aber auch gar nichts einzuwenden ist, zu verhindern ?Thielemann mag seine Ecken und Kanten haben,aber vielleicht ist er gerade in dieser konturlosen Zeit mit der Liebe für Weichgespültes so wichtig.

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