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Kritik – Rosenkavalier in Salzburg Zurück zu den Sternen

Diese Liebe ist nicht von dieser Welt, sondern intergalaktisch: Regisseur Roland Schwab zeigt den "Rosenkavalier" von Richard Strauss als Gleichnis auf die Vergänglichkeit im universalen Maßstab. Das war von archaischer Wucht und poetischer Kraft.

Übergabe des titelgebenden Schmucks unter den Sternen. | Bildquelle: Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater

Bildquelle: Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater

Hätte wirklich nicht gewundert, wenn irgendwann in diesen gut vier Stunden die legendäre Woodstock-Hymne von Joni Mitchell erklungen wäre: "We are stardust, we are golden, we are billion-year old carbon". Aus Sternenstaub vom goldenen Firmament bestehen wir ja tatsächlich alle, aus Milliarden Jahre alten Kohlenstoffverbindungen. Und in kürzester Zeit werden wir wieder zurückkehren ins Universum, zerfallen zum Staub, der uns ausmacht. Der Zeit dürfte es egal sein, die unerbittlich die Galaxien werden und vergehen lässt.

Kosmische Inszenierung von Roland Schwab

Riesige Bälle vor der Kulisse eines Colosseums. | Bildquelle: Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater Cupido unter dem Firmament | Bildquelle: Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater Insofern hatte Regisseur Roland Schwab, der gerade bei den Bayreuther Festspielen "Tristan und Isolde" inszenierte und dafür umjubelt wurde, eine durchaus naheliegende Idee für seine Deutung des "Rosenkavalier" in der Salzburger Felsenreitschule, wo das örtliche Landestheater gerade wegen Renovierungsarbeiten Station macht. Er hielt sich nicht mit Wiener Rokoko auf, sparte sich die Zuckerbäcker-Ornamente der Maria-Theresia-Ära, in der Richard Strauss seine Komödie in drei Aufzügen spielen lässt. Stattdessen zündete Schwab eine Art Rakete und hob mit dem Publikum ab in eine Umlaufbahn um die Liebe. Total kosmisch das Ganze, und der Milchstraße deutlich näher als der Ringstraße, an der sich bekanntlich die Wiener Sehenswürdigkeiten drängeln. Klar, im "Rosenkavalier" geht es um den größten Skandal, den die Menschen aushalten müssen: ihre Endlichkeit. Die Feldmarschallin ist eigentlich Mitte dreißig, ihr Liebhaber Octavian jedoch erst 17. Das kann nicht gutgehen, meinte jedenfalls Textdichter Hugo von Hofmannsthal, und lässt die Frau melancholisch werden und an ihrem Alter verzweifeln. So war das damals, 1911.

Ausstatter Piero Vinciguerra schafft kraftvolle Bilder

Ochs von Lerchenau wird gepeinigt. | Bildquelle: Anna-Maria Löffelberger/Landestheater Salzburg Ochs von Lerchenau wird gepeinigt | Bildquelle: Anna-Maria Löffelberger/Landestheater Salzburg Nun fühlen sich die Leute heutzutage sehr viel später alt und das Geschlechterverhältnis hat sich auch gründlich verändert, aber am Verfall führt halt leider nichts vorbei. Ausstatter Piero Vinciguerra gelangen dafür archaisch kraftvolle Bilder: Vor dem erwähnten Sternenhimmel in dunkler Nacht liegen goldene Kugeln unterschiedlicher Größe. Manche ähneln Gymnastikbällen als Sitzgelegenheit, andere sind höchstens Stolperfallen, und drei drehbare Kugeln prunken im Riesenformat. Wer will, kann sich an die berühmte Anfangsszene von "Alien" erinnert fühlen, wo Astronauten in einer fernen Welt unheimliche Eier in Nebelschwaden entdecken. So anspielungsreich und tiefgründig geht es weiter: Es öffnen sich drei stilisierte, blutrote weibliche Geschlechtsteile, in denen Faune mit überdimensionalen Penissen tanzen. Werden und Vergehen, wohin der Blick auch fällt. Ein nicht sonderlich mutiges und experimentelles, aber sehr plausibles und poetisches Konzept, das unter der Schwermut der Musik nicht zusammenbricht, sondern standhält und weit über die "irdische Liebe" hinausweist, in die "himmlische", die ja auch im Text angesprochen wird. Und irgendwie tröstlich, dass menschliche Probleme in diesem Maßstab zu nichts schrumpfen. Cupido, der Gott der Liebe, saust im goldenen Raumanzug herum, lässt die Zeit noch etwas schneller herumwirbeln, bis sein Glas-Helm in der Hitze des Gefechts milchig anläuft.

Leslie Suganandarajah dirigiert in getragenem Tempo

Problematisch am "Rosenkavalier" ist die opulente, oft überladene und unentschlossene Partitur, die zwischen Komödie und Selbstmitleid hin- und herpendelt. Beides gleichermaßen zu dirigieren, ist enorm schwer, zumal Unmengen Text abgearbeitet werden müssen, noch dazu teilweise im Dialekt. Verständlich war davon wenig. Der in Sri Lanka geborene Dirigent Leslie Suganandarajah entschied sich eindeutig für die melancholische Seite, für eher getragenes Tempo und pathetische Lautstärke. Das passte hervorragend zur Inszenierung, machte den "Rosenkavalier" allerdings auch kosmisch schwer. Gelacht wurde hier und da trotzdem.

Die Solistinnen und Solisten

Unter den Solisten war Magdalena Anna Hofmann eine überraschend jugendliche Marschallin mit eher lässiger Ausstrahlung und Martin Summer als unbekümmerter Ochs von Lerchenau ein recht gemütlicher Frauenheld, der auch als Super-Papi durchgehen würde. Beide Rollenporträts waren auch stimmlich von kitschfreier Frische. Sophie Harmsen in der Hosenrolle des Titelhelden Octavian erwies sich als vergleichsweise umschatteter Liebhaber nach dem typischen Teenager-Motto: Bonjour, Tristesse! Elizabeth Sutphen als umschwärmte Sophie war ebenfalls ziemlich trauerumflort.

Insgesamt eine sentimentale Reise durch die Weiten des Weltalls, hin zum schwarzen Loch der Existenz. Aber jenseits des physikalisch Erklärbaren, das wissen wir ja, fängt die Liebe erst an.

Sendung: "Allegro" am 4. Oktober ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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