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Musik der Stille Wie Komponisten Ruhe vertonten

Musik und Ruhe – das klingt erst mal widersprüchlich. Denn: Entweder es ist ruhig oder wir nehmen Töne wahr, dann ist es nicht mehr ruhig. Aber Stille oder Ruhe sind zwei ganz entscheidende Merkmale der Musik. Zum Tag der Ruhe am 14. September streift BR-KLASSIK durch die ruhigen und stillen Stücke der Musikgeschichte.

Ganz viel Ruhe, Stille und Kraft. Der Sonnenuntergang spiegelt sich in einem kleinen Weiher bei Möhrendorf. | Bildquelle: Björn Hutzler, Möhrendorf, 04.02.2024

Bildquelle: Björn Hutzler, Möhrendorf, 04.02.2024

Stille, im übertragenen Sinn: Arvo Pärt

So einfach, wie wirkungsvoll: Zeitlupenmusik, von der Besonnenheit, Zärtlichkeit und Urvertrauen ausgehen, die selbst kreischende Säuglinge zur Ruhe bringt. Nur drei verschiedene Töne gönnt uns das Klavier zum Einstieg im Stück "Spiegel im Spiegel" von Arvo Pärt. Gleichförmig, streng, solide der Rhythmus. Hier suggeriert uns Arvo Pärt: Was auch immer geschehen mag, das Klavier ist in seiner unerschütterlichen Ruhe eine sichere Bank.

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Arvo Pärt- Spiegel im Spiegel | Bildquelle: playingmusiconmars (via YouTube)

Arvo Pärt- Spiegel im Spiegel

Stille, ganz wörtlich: John Cage

Mit seinem Stück "4:33" hat der Komponist John Cage das Paradoxon Stille und Klang auf die Spitze getrieben. Kein einziger Ton wird hier gespielt, exakt 4 Minuten und 33 Sekunden lang. Die Ohren sind aber trotzdem in Alarmbereitschaft und man nimmt statt Melodien Atemgeräusche wahr, das Rascheln eines Kleides oder Schaben einer Schuhsohle, eine röchelnde Heizung. Alles, was die Ruhe an Geräuschen preisgibt, wird plötzlich Klang.

Seit der Uraufführung 1952 glauben manche immer noch, dass es sich bei der von Cage verordneten minutenlangen Stille nicht um Kunst, sondern Quatsch handelt. Jetzt war der Komponist zwar keine Spaßbremse, aber in dem Fall meinte es Cage ernst. Vor allem sein Eintauchen in buddhistische Weisheiten hat seine Vorstellung von Stille und Klang erweitert.

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John Cage's 4'33" | Bildquelle: Joel Hochberg (via YouTube)

John Cage's 4'33"

Gebrauchsmusik für innere Ruhe: Ludovico Einaudi

Musik der Ruhe – kann Gebrauchsmusik sein und für innere Ruhe sorgen. Hans Zimmer, Ludovico Einaudi, Mia Brentano schreiben so eine Art inneren Kehraus. Ein seidenweicher Wischmopp streichelt die Lauscher, gewebt aus winzigen Intervallen und satten, schier unendlichen Tonfasern. Kein funky Rhythmus stört den Flow, alles ebenmäßig ausgerichtet auf ein Minimum an Aufregung und ein Maximum an Versenkung. Komponistinnen und Komponisten der sogenannten "New Classics", auch "Neoklassik", setzen auf solche watteweichen Wohlfühlsounds, auf einen ruhenden Gegenpol in unserer reizüberfluteten Zeit.

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Ludovico Einaudi - Einaudi: Fly (Official Visualiser) | Bildquelle: LudovicoEinaudiVEVO (via YouTube)

Ludovico Einaudi - Einaudi: Fly (Official Visualiser)

Ruhe als doppelter Boden: Gustav Mahler

Mindestens genauso schneckenartig im Tempo, aber vielschichtiger in der Instrumentierung klingt ruhige Musik der Spätromantik. Bei Gustav Mahler zum Beispiel – dem berühmten "Adagietto" aus seiner 5. Symphonie. Mahler spannt einen Bogen, überspannt ihn und ehe die Sehne reißt, schiebt er irgendwo ein Halbtönchen rein. Alles erscheint ruhig und doch tut sich da ein fataler doppelter Boden auf: Und dort, in der Tiefe, lauern alle Feinde der inneren Ruhe: Melancholie, Einsamkeit, Bekümmertheit, Herzschmerz, Schwermut.

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Gustav Mahler - Adagietto | Leonard Bernstein (4K) | Bildquelle: Adagietto (via YouTube)

Gustav Mahler - Adagietto | Leonard Bernstein (4K)

Ruhe für die Fantasie: Anouar Brahem

Betrachtet man Ruhe in der Musik mal ganz nüchtern, dann kann das auch nichts weiter sein, als eine bewusst gesetzte Pause. Eine kurze Unterbrechung des Klangflusses zwischen zwei Tönen oder Akkorden, präzise festgelegt in den Noten mit Hilfe eines Zeichens. Diese Ruhepause ist ein Stilmittel, um uns auf die Folter zu spannen mit der Frage: Wie geht’s weiter?

Der Komponist und Oud-Spieler Anouar Brahem setzt hier viele kleine Pausen. Und die können, je nach Fantasie der Hörenden, Bilder und Gefühle auslösen: Es wird einem warm, oder eine Trägheit macht sich breit, der Eindruck einer Weite entsteht oder man wird gelassen – und suhlt sich in dieser Hängematte für die Ohren.

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Anouar Brahem - Le Voyage De Sahar | Bildquelle: Melikşah E. Çay (via YouTube)

Anouar Brahem - Le Voyage De Sahar

Acht Stunden Schlaf: Max Richter

Ob in der Hängematte schlummern, im Wasserbett oder auf einer Luftmatratze – das ist dem Komponisten Max Richter völlig egal. Sein Stück "Sleep", also "Schlaf", soll das Publikum zur vollkommenen Ruhe bringen, nämlich zum Schlafen. Max Richter setzt auf minimalistische Modulationen, auf geerdete Sounds. Über acht Stunden dauert Sleep, und besteht aus 30 verschiedenen Variationen. Als Tempo wählt Richter den Largo-Bereich und so klopft das Metronom bei maximal 40-60 Schlägen.  

Ein Wiegenlied, das nie endet, das den Zuhörenden eine Pause aufzwingt und das Herz ruhiger schlagen lässt. "Sleep" ist ein Renner auf sämtlichen Schlummer-Playlists – kein Wunder. Wenn man jetzt bedenkt, dass rund sechs Millionen Deutsche an Schlafstörungen leiden, steckt in solch einer beruhigenden Musik fast schon medizinisches Potenzial. Zur Ruhe kommen, und das ohne "Risiken und Nebenwirkungen".

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Max Richter: Sleep | Live aus der Elbphilharmonie | Bildquelle: Elbphilharmonie Hamburg (via YouTube)

Max Richter: Sleep | Live aus der Elbphilharmonie

Sendung: Allegro am 13.09.2024 ab 06:05 Uhr

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