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Ein Streifzug durch den von Spanien inspirierten Folklorismus in Opern, Balletten und Orchesterwerken des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts unternehmen wir im Thema der Woche der Mittagsmusik dieser Tage. Manuel de Falla unterschied bei dieser Musik zwei kompositorische Ansätze - zum einen das Komponieren "à l'espagnole"(auf spanische Art), womit er die Folklore-Adaptionen zweiter Hand ausländischer Komponisten meinte, zum anderen ein Komponieren "en espganol" (in Spanisch), das auf einer innigen Vertrautheit mit der spanischen Volksmusik beruht. Jeden Tag präsentieren wir in der Mittagsmusik zwei Stücke im Sinn von de Fallas Unterscheidung. Am Donnerstag stellen wir Musik des Franzosen Edouard Lalo Musik des Spaniers Enrique Granados gegenüber.
Intermezzo aus der Symphonie espagnole
Edouard Lalo glich vom Äußeren einem stolzen kastilianischen Edelmann: dunkle Haut, schwarze Augen, feine Gesichtszüge, ein stachliger Bart. Auf einem Porträt ähnelt er ein wenig Don Quijote, wie ihn Gustave Doré gezeichnet hat. Tatsächlich aber war Lalo ein Franzose, allerdings - wie Maurice Ravel - von spanischer Abstammung. Geboren wurde er 1823 im nordfranzösischen Lille, gestorben ist er 1892 in Paris. Eine ganze Reihe von Solo-Konzerten hat Lalo geschrieben, dazu Orchesterwerke und die Oper "Le Roi d'Ys", die vielen als sein Meisterstück gilt. Lalos berühmtestes Werk ist gleichwohl die Symphonie espagnole für Violine und Orchester. 1873 in Paris komponiert und zwei Jahre später mit dem Widmungsträger Pablo de Sarasate als Solisten dort uraufgeführt, ist dieses De-facto-Konzert neben Bizets "Carmen" das erste prominente Beispiel für die französische Spanien-Begeisterung. Das spanische Flair resultiert vor allem aus Wendungen, die Lalo - ähnlich wie Bizet in der "Carmen" - der pseudo-spanischen Tanz- und Volksliedsammlung "Fleurs d'Espagne" von Sebastian de Yradier entnahm. Daraus folgerte man, dass Lalo Elemente der spanischen Folklore eher "verfälscht" als "echt" adaptierte. Als Beweis dafür gilt Musikwissenschaftlern der dritte Satz der Symphonie espagnole, ein dreiteiliges Intermezzo, das sich - gewissermaßen "domestiziert" - in einem geradtaktigen Habanera-Rhythmus bewegt und nicht im asymmetrischen 5/8-Takt wie der originale, ursprüngliche Tanztypus. Die Habanera aus Lalos Symphonie espagnole ist eben eine Habanera "à l'espagnole" und nicht "en espagnole".
Intermezzo aus "Goyescas"
Er war neben Manuel de Falla, Isaac Albéniz und Joaquin Turina einer jener vier glorreichen spanischen Nationalklassiker, die Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts ihrem Land wieder eine eigene, kraftvolle und authentische musikalische Stimme im Konzert der internationalen Musiknationen verliehen: der Komponist und Pianist Enrique Granados y Campina. 1867 wurde er geboren, 1916 starb er, noch keine 49 Jahre alt, unter tragisch-spektakulären Umständen: Auf der Rückreise von New York, wo an der "Met" seine Oper "Goyescas" mit großem Erfolg uraufgeführt worden war, wurde sein Schiff im Ärmelkanal von einem deutschen U-Boot torpediert. Der Musiker und seine Frau fanden den Tod. Aus dem für den Komponisten so schicksalhaften Werk stammt auch eines seiner berühmtesten Stücke. Es ist das Intermezzo der durch Gemälde des großen spanischen Malers der Romantik Francisco de Goya inspirierten Oper. Wenn sich in dem orchestralen Zwischenspiel über einem sonoren Streichertremolo plötzlich ein nobles Bläserthema mit höchster Grandezza erhebt, fühlen wir uns sofort auf die iberische Halbinsel versetzt. Triumph von Enrique Granados' Komponieren "en espagnol".