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Flandern Wo der Bär der Alten Musik tobt

Ab dem 15. Jahrhundert haben Musiker aus Flandern den Ton in Europa angegeben, und das für lange Zeit. Im 20. Jahrhundert wurde dieser Landstrich dann erneut zum "place to be" für alle, die sich mit Alter Musik beschäftigen.

Schild Concertgebouw Brügge | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Flandern - das klingt wie Musik in den Ohren von Freunden und Anhängern der historischen Aufführungspraxis. Denn hier stand die Wiege der franko-flämischen Vokalpolyphonie, wurden einige der wunderbarsten Werke der Renaissance geschrieben, und natürlich Musiker und Komponisten ausgebildet, die vom 15. bis noch ins 17. Jahrhundert hinein zu den besten und bekanntesten ihrer Art in ganz Europa zählten - etwa Josquin Desprez, Jacob Obrecht oder Orlando di Lasso. Warum? Philippe Herreweghe - gebürtiger Flame und Leiter des Collegium Vocale Gent, das seit seiner Gründung 1970 zu den führenden Ensembles für Alte Musik weltweit gehört - erklärt:

"Damals waren wir reich - das hängt immer zusammen mit Ökonomie - und wir hatten die beste Maler und sehr gute Komponisten natürlich." Philippe Herreweghe

GELD MACHT'S MÖGLICH: DAMALS…

Aber auch in moderner Zeit ist Flandern mit seinen gerade einmal 6,5 Millionen Einwohnern ein Zentrum Alter Musik, ihrer Erforschung, Pflege und Interpretation. Wie kam das? Das kann auch Philippe Herreweghe nicht erklären - aber Fakt ist, dass sich die Bewegung der historischen Aufführungspraxis in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ganz wesentlich in Flandern entwickelt hat:

"Wir sind in der ersten Welle dabei gewesen, zusammen mit Holland, mit Gustav Leonhardt, auch mit Wien. Und dann gab es natürlich sehr starke Persönlichkeiten, wie René Jacobs, oder auch die Brüder Kuijken." Philippe Herreweghe

Aber auch Jos Van Immerseel mit Anima Eterna, Paul Van Nevel mit dem Huelgas Ensemble - und nicht zuletzt Herreweghe selbst - gehören zu dieser Pionier-Generation. Und inzwischen hat sich mit Ensembles wie il Gardellino, Les Muffati oder Cappella Pratensis auch eine zweite Generation von Alte-Musik Gruppen international etabliert.

"Aber nun geht es weiter, glaube ich, es gibt wieder neue Leute, und das ist schön." Philippe Herreweghe

… UND HEUTE

Das hat seinen Grund auch darin, dass selbst junge Ensembles und Orchester in Flandern vom Staat subventioniert werden. Und: An so ziemlich allen flämischen Konservatorien kann man alte Instrumente studieren, es ist ganz normal, dass man neben der modernen Geige auch noch die barocke erlernt. Ein Zustand, von dem Studenten an den meisten Musikhochschulen in Deutschland nach wie vor nur träumen können.

VERZAHNUNG VON FORSCHUNG UND PRAXIS

Gleichzeitig gibt es in Flandern aber auch diverse Forschungseinrichtungen für Alte Musik, und vor allem besonders viele Konzerthäuser und Festivals, die sich - oft ausschließlich - mit Alter Musik und historischer Aufführungspraxis befassen; teilweise schon seit den 1960er Jahren. Die bekanntesten Beispiele wären etwa das Festival Laus Polyphoniae und das Musikzentrum AMUZ in Antwerpen, Concertgebouw und MAfestival in Brugge oder das Bozar in Brüssel. Und überall dort wird auch die besondere flämische Klangkultur gepflegt, die sich bei vielen der hier heimischen Musiker und Ensembles findet: Sehr fokussiert, dabei aber weich und warm, und gerade bei den jüngeren Gruppen auch oft rhythmisch sehr akzentuiert.

Ja, keine Frage: In Flandern tobt der Bär in der Alten Musik!

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 25. September 2016, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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