Oldenburg, 11. Juni 1998. Im neu eröffneten Hörsaalzentrum der Universität findet ein Konzert statt. Es ist ein besonderes Konzert, mit einem Programm, was es so schon seit über 150 Jahren nicht mehr gegeben hat. So lang nämlich lag die erste Sinfonie der französischen Komponisten Louise Farrenc unbeachtet in der Pariser Nationalbibliothek.
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150 Jahre im Dornröschenschlaf
In Deutschland wird das Stück sogar zum ersten Mal überhaupt gespielt! Aber die Sinfonie hat es von Anfang an nicht leicht: „In Frankreich wird Madame Farrenc von denen, die sie kennen, geehrt und bewundert, aber die Masse hat ihrem Namen nie zugejubelt, denn als Frau ist sie folglich zu schwach, um sich durch die von den 'Starken' überfüllten Straßen einen Weg zu bahnen. Ihr begegnet dauernd nur Abwehr und…. halsstarrige Eifersucht!“ – so heißt es damals in einem Artikel über Farrenc, die maximal als Pianistin, als Gattin eines Flötisten, als Prof, also als schlecht bezahlte Klavierlehrerin für junge weibliche Talente, akzeptiert wird. Nicht aber als Komponistin eines symphonischen Werkes.
Also führt sie ihre erste Sinfonie in Brüssel auf, im Jahr 1845. Und der „Crash-Test“ gelingt. Jetzt schreibt man in Paris auf einmal: "Diese 1. Sinfonie ist ein äußerst bemerkenswertes Werk, und es ist nur recht und billig, die öffentliche Aufmerksamkeit auf seine Autorin zu lenken, deren Verdienst mir weder genügend bekannt noch genügend gefördert zu sein scheint".
Diese 1. Sinfonie ist ein äußerst bemerkenswertes Werk
Soweit die Vorgeschichte. Erst ein Forschungsprojekt rüttelt Louise Farrencs dann aus dem Dornröschenschlaf. Und mit der NDR Radiophilharmonie unter Leitung von Johannes Goritzki gibt’s dann auch an jenem 11. Juni um Punkt 20 Uhr ein Wiederhören mit der Musik! Nur, mal eben die Noten aufs Pult legen und loslegen mit dem Proben, war im Fall von Louise Farrencs Sinfonie nicht möglich. Es existierte ja bis zum Jahr 1996 nur das Autograph der Partitur, also eine handschriftliche Ausgabe ohne Einzelstimmen. Völlig ungeeignet zum Musikzieren.
Mit einem Budget von damals einer Millionen DM entsteht in Oldenburg eine kritische dreizehnbändige Werkausgabe von Louise Farrencs Schaffen und damit erscheint auch die erste Symphonie (sowie alle anderen Orchesterwerke) in einer weitaus praktikableren Ausgabe. Dank dieses Forschungsprojekts wird nicht nur ein weltweites Interesse am Werk der französischen Romantikerin ausgelöst, die bis dahin maximal als Geheimtipp für Klaviermusik gehandelt wurde.
Überhaupt erfährt das Interesse an Komponistinnen einen verdienten Aufwind. Musikalisch vorangetrieben wird das sogar ganz konkret durch die überrumpelnden Orchesterschläge in Louise Farrencs erster Sinfonie.
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Symphony No. 1 in C Minor, Op. 32: I. Andante sostenuto. Allegro
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