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Erstmals Oper im Radio Ein Experiment, das Radio-Geschichte schreibt

Berlin, 18. Januar 1924. Dass dieser Wintertag ein historischer Tag für die Musikwelt werden würde, das ahnt an diesem Freitag wohl kaum jemand. Denn zum allerersten Mal wird ein musikalisches Bühnenwerk komplett im Radio übertragen.

Arbeitsraum im Voxhaus in der Potsdamer Strasse in Berlin, Aufnahme von 1924 | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Was heute geschah – 18. Januar 1924

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Die Zeitungs-Anzeigen für die Premiere von Franz Lehars neuester Operette „Frasquita“ im Thalia-Theater versprechen zwar das „Ereignis der Berliner Saison“. Dieser Theaterabend wird aber nicht wegen des neuen Werks des Erfolgskomponisten in die Geschichte eingehen. Der Kritiker der Vossischen Zeitung erwähnt am nächsten Tag zwar die Gaffer und zahlreichen Schaulustigen, die sich vor dem Thalia-Theater versammelt hatten, um einen Blick auf die Hautevolee Berlins zu erhaschen – aber nicht die technische Neuerung, die an diesem Abend ebenfalls Premiere feiert.

Achtung, hier ist Berlin, Vox-Haus.

Nicht nur die Höreransprache war damals verhältnismäßig primitiv, auch die Technik steckte noch in den Kinderschuhen. Unterhalb des ersten Ranges hatten die Techniker des Telegraphischen Reichsamtes ein Diktiermikrophon aufgehängt, verbunden mit einer Verstärkeranlage in einer Loge des Thalia-Theaters. Das Tonsignal wurde ins Berliner Vox-Haus geschickt und konnte dann in einem Umkreis von etwa 150 Kilometern rund um Berlin live empfangen werden.

Start des Rundfunks in Deutschland wenige Monate vorher

Achtung, Achtung. Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus, auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig.
Erste Ansage der Sendestelle Berlin am 29. Oktober 1923

Mit diesen Worten schaltete der erste offizielle deutsche Radiosender in Berlin am 29. Oktober 1923 auf regelmäßigen Sendebetrieb. Techniker der Reichspost hatten vroher drei Jahre lang experimentiert, die allererste Rundfunksendung überhaupt ging vom Funkerberg in Königs Wusterhausen am 22. Dezember 1920 mit einem kleinen Weihnachtskonzert in den Äther: Reichspostbeamte spielten damals nach einer kleinen Ansprache unter anderem "Stille Nacht, heilige Nacht".

Oper im Radio - enttäuschende Tonqualität

Diese erste Radio-Übertragung eines vollständigen musikalischen Bühnenwerks war vor allem eines: ein Experiment. Im Januar 1924 gab es in Deutschland erst rund 1.600 Radiogeräte, auch wenn diese Zahl innerhalb eines Jahres auf über eine halbe Million anwachsen sollte. Und: Die Tonqualität muss enttäuschend gewesen sein.

Das reichlich gespendete Klatschen klang, als schütte jemand einige Säcke Erbsen auf ein Blech.
Zeitzeuge

Radio und Oper, eine Beziehung mit Zukunft

Es gibt keine Aufzeichnungen dieses Radioabends. Aber in zeitgenössischen Berichten ist von starken Lautstärkeunterschieden die Rede, die sich aus den wechselnden Entfernungen der Darsteller zu dem einzigen Mikrophon ergaben.

Franz Lehárs "Frasquita" – ein Aufguss des "Carmen"-Stoffs – war zwar vom Berliner Publikum stürmisch gefeiert worden, sollte dann aber in London und in New York durchfallen; inzwischen ist diese Operette so gut wie vergessen. Aber eines blieb von diesem Abend: Die Erkenntnis, dass das Musiktheater auf einen Partner wie das damals noch junge Medium Radio nur gewartet hatte. Radio und Oper, eine Beziehung mit Zukunft.

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 18. Januar 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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