BR-KLASSIK

Paris, 23. Mai 1304: Jehan de Lescurel wird hingerichtet. Sein Leben lang hat er von der Liebe gesungen. Seine Verse: voller Poesie, seine Melodien: voller Melancholie. Jehan de Lescurel war der Gentleman unter den Pariser Liederdichtern. Er stand an der Grenze zwischen den mittelalterlichen Trouvères und dem anbrechenden Humanismus, zwischen höfischen Idealen und bürgerlichen Tugenden. In einem langen Traumgedicht verfocht er das neue Ideal der treuen Ehefrau.

(Bild: Troubadore und Minnesänger. Historische Illustration)

Aber da gab es auch noch eine dunkle Seite. Einen Jehan de Lescurel, der für Angst und Schrecken sorgte in Paris. Als Kleriker auf Abwegen, als Dieb, als brutaler Verbrecher. Zusammen mit seinen Kumpanen gesucht – wegen mehrfacher Morde in der Schwangerschaft, wegen Entführungen und wegen Übergriffen gegen Nonnen und andere Frauen.

Tags Dichter, nachts Mörder?

Führte Jehan de Lescurel ein Doppelleben? Tagsüber der blumige Dichter, nachts der blutige Mörder? Hatten falsche Freunde den jungen Mann auf die schiefe Bahn gebracht? Oder waren Jehan de Lescurel, der Trouvère, der die Frauen besang, und Jehan de Lescurel, der Kirchenmann, der die Frauen bedrohte, zwei verschiedene Personen, die zufällig den gleichen Namen trugen und zur gleichen Zeit am gleichen Ort lebten?

Die Lieder bleiben unsterblich

Nur das ist sicher: Jehan de Lescurel, 24 Jahre alt, Sohn einer Buchhändlerin, Kleriker an der Kathedrale Notre-Dame, wird am 23. Mai 1304 hingerichtet – "am gewöhnlichen Galgen der Diebe", so ist es überliefert. Die Lieder von Jehan de Lescurel dagegen leben weiter, überliefert in einer der wichtigsten Handschriften des 14. Jahrhunderts, Seite an Seite mit dem legendären "Roman de Fauvel".

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Jehan de Lescurel: A vous, douce debonnaire

Ich möchte YouTube-Inhalte aktivieren und stimme zu, dass Daten von YouTube geladen werden. Meine Datenschutz-Einstellungen

Sendung: "Allegro" am 23. Mai 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK