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Johannes Brahms Violinkonzert D-Dur, op. 77

Als Johannes Brahms in Pörtschach am Wörthersee im Sommer 1878 sein Quartier aufschlug, hatte der 45-jährige Brahms noch kein Violinkonzert geschrieben. Das sollte sich nun ändern. Die Musikwelt wartete mit Spannung auf sein erstes Violinkonzert, schließlich wollte man wissen, ob sein Werk neben den Konzerten von Beethoven und Mendelssohn bestehen würde. Ilona Hanning stellt das Werk zusammen mit dem Geiger Frank-Peter Zimmermann vor.

Portrait Johannes Brahms | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das starke Stück zum Anhören

Widersprüche tun sich auf für den Geiger Frank Peter Zimmermann, wenn er über das Violinkonzert von Johannes Brahms spricht. "Ich denke natürlich sofort an Pörtschach, an den Wörthersee, ja die ganze Stimmung ist einfach so, wie man sich in Österreich diesen wunderbaren See am Morgen vorstellt", beschreibt Zimmermann einerseits die Stimmung des Werks. Andrerseits: Brahms komponierte kein Virtuosenkonzert, wie Beethoven oder Mendelssohn, sondern ein Werk, wo Solist und Orchester zu gleichen Teilen die musikalische Substanz tragen und eng miteinander verflochten sind. Der Geiger steht nicht im Vordergrund, im Gegenteil, er muss sich des Öfteren gegen das Orchester behaupten. Und darüber ist dann auch Zimmermann nicht restlos glücklich: "Das Brahms-Konzert ist einfach so ein symphonischer Koloss und dagegen die kleine Geige … Man hat ja nicht umsonst in der Kritik über das Konzert gegen die Geige gesprochen."

Im ersten Satz ist eine Stelle, bei der ich absolut sicher bin, dass Joachim sie geändert hat.
Frank-Peter Zimmermann

Rat und Tat von Joseph Joachim

Der Pianist Brahms hatte lange gezögert ein Violinkonzert zu schreiben. Ehrfurcht und Scheu hielten ihn ab, zudem war er mit der Technik des Geigenspiels nicht vertraut. Sein Freund und Geiger Joseph Joachim war es, der ihm bei der Komposition mit Rat und Tat zur Seite stand. Frank Peter Zimmermann sagt dazu: "Hier, im ersten Satz, ist so eine Stelle, bei der ich absolut sicher bin, dass Joachim sie geändert hat. Aber grundsätzlich hat Brahms doch sehr viel von seinen eigenen Ideen einfach stehen lassen. Joachim hat Brahms nicht umsonst kurz vor der Uraufführung noch einen Brief geschrieben und hat gefragt, ob man das tatsächlich alles in einem heißen Saal so sauber spielen kann wie der Komponist sich das vorstellte."

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Eine Herausforderung

Schon der Kopfsatz ist eine Herausforderung. Mit gut 20 Minuten ist er der längste Satz des Konzertes. Im Orchestervorspiel werden alle drei Themen vorgestellt, das lyrische erste Thema, das mysteriöse zweite und das punktierte, der ungarischen Volksmusik entlehnte dritte Thema. "In dieses Thema hinein setzt die Geige auf einem Orgelpunkt und umspielt die Bläser", erklärt Zimmermann. "Das ist eine unglaubliche technische neue Erfindung, das hat es vorher nie gegeben."

"Bravo, Herr Brahms!"

Nach diesem fulminanten Einstieg klärt sich alles langsam auf, erst dann spielt die Geige das erste, wunderbar lyrische Thema. Im Verlauf des Satzes ordnet sich die Geige immer mal wieder unter, begleitet die Themen der Streicher und Bläser und erst später, wenn sie das rhythmisch akzentuierte, ungarische Thema spielen, beginnt sich die Geige gegen das Orchester aufzubäumen.

Die Durchführung klingt so ganz anders als in den Violinkonzerten von Beethoven und Mendelssohm- Denn statt einer lyrischen Durchführung komponiert Brahms einen Kampf mit dem Orchester. Die Geige versucht mit großen Sprüngen, das Orchester zu bändigen.

Geiger, Violonist, Dirigent Joseph Joachim | Bildquelle: picture alliance/akg-images Der Geiger Joseph Joachim. Für ihn komponierte Brahms sein Violinkonzert. | Bildquelle: picture alliance/akg-images Der Kampf dauert bis zur Kadenz an. Viele Komponisten haben für das Brahms-Konzert Kadenzen geschrieben. Frank Peter Zimmermann aber spielt meistens nur die von Joseph Joachim – "weil ich denke, dass das doch wirklich in unmittelbarer Zusammenarbeit mit dem Brahms geschehen ist. Es gibt eine Geschichte, dass Joachim vier Fassungen von dieser Kadenz geschrieben hat. Das hier ist eigentlich die längste, und die hat Brahms gar nicht so gut gefallen, denn er wollte eigentlich eine viel schlichtere Kadenz haben." Und danach kommt die Stelle, auf die sich Zimmermann am meisten freut: "Der wunderschönste Moment in diesem ersten Satz ist für mich nach der Kadenz, wenn die Geige in ganz wunderbaren Pianissimo mit den Bläsern zusammen das Thema noch einmal anklingen lässt und in schwebenden Höhen sich befindet, das ist einzigartig … also Bravo, Herr Brahms!" (lacht)

Übermütiger Ausklang

"Den Schluss des ersten Satzes kann sich nur ein Pianist ausdenken, dieses große Crescendo über 20 Takte", sagt Frank-Peter Zimmermann dazu. Die Geige spielt in Terzen, Quarten, Sexten und Dezimen und versucht sich so gegenüber dem Orchester zu behaupten.

Nach diesem langen, für den Geiger anstrengenden ersten Satz, folgt der langsame Satz. Dem Geiger Pablo Sarasate schien der Beginn dieses Satzes eine Zumutung, "mit der Geige in der Hand zuzuhören, wie die Oboe dem Publikum die einzige Melodie des ganzen Stücks vorspielt". Frank-Peter Zimmermann hingegen schwärmt: "Wenn man das Stück dann ein, zwei Jahre nicht gespielt hat und dann wieder, gleich schon in der ersten Probe vor dem Orchester steht und diese Einleitung hört, das ist irgendwie jedes Mal wieder zum Niederknien, das ist einzigartig, was Brahms mit diesen paar Bläsern macht." Sobald die Geige im zweiten Satz beginnt, führt sie durch den gesamten Satz, in dessen liedhaftem Mittelteil der Solist seine Fähigkeit, auf der Geige zu singen, voll auskosten kann.

Geiger Frank Peter Zimmermann | Bildquelle: © Harald Hoffmann Frank-Peter Zimmermann | Bildquelle: © Harald Hoffmann Im bewegten Schlusssatz ist ein gewisser folkloristischer Charakter unüberhörbar: "Ungarisches Thema in Terzen, die Geige spielt immer verrücktere Dinge, alles in Doppelgriffen, permanent Sechszehntel, Doppelgriffe, Sprünge", erklärt Frank-Peter Zimmermann: "Dann kommen die ganzen Läufe, die immer schneller werden; da musst du einen sehr, sehr guten Dirigenten haben, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Und schließlich kommt dann ein Thema ganz in Oktaven mit einem Riesensprung, davor hat man als Geiger auch immer sehr große Angst." Frank Peter Zimmermann kennt die technisch heiklen Stellen in- und auswendig und beherrscht sie eigentlich fast im Schlaf. Trotzdem setzt er sich vor jedem Konzert noch mal intensiv damit auseinander: "Diese ganzen Doppelgriffe – ich habe da immer meinen Spaß, und zwar, weil ich das vorher acht Tage oder zehn Tage wie ein Tier übe. Sonst funktioniert man nämlich nicht."

Es gibt Stellen, bei denen man vorher nie weiß, ob es gut geht oder nicht.
Frank-Peter Zimmermann

Der 3. Satz, ein Rondo, ist im Vergleich zu den ersten beiden Sätzen weniger kompliziert geschrieben und daher leichter verständlich für die Zuhörer. Er ist der Satz, der das solistisch-virtuose Element am deutlichsten zeigt. Er trägt die Überschrift: "Allegro giocoso, ma non troppo vivace", heiteres Allegro aber nicht zu lebhaft. Ein wichtiger Hinweis für die Tempowahl, um die immens hohen technischen Schwierigkeiten anständig meistern zu können. "Man hat einige wirkliche schwere Stellen, bei denen man vorher nie weiß, ob es gut geht oder nicht", warnt Zimmermann.

Ein gewisser Zwiespalt

Der feurige dritte Satz war es auch, der die Zuhörer bei der Uraufführung des Violinkonzerts am meisten beeindruckte. Für Frank Peter Zimmermann ist das Brahms-Konzert ein schwerer Brocken, dem er mit Ehrfurcht begegnet: "Das ist unglaublich, aber es gibt komischerweise beim Brahms-Konzert Zeiten, in denen ich dieses Werk eigentlich gar nicht so gern spiele. Es ist so ein gewisser Zwiespalt und so eine gewisse Widerborstigkeit in der Musik, eben weil man gegen so ein großes Orchester anspielt. Da muss man wirklich so oft in die Saite gehen, um sich gegen das Orchester zu behaupten."

Musik-Info

Johannes Brahms:
Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 77


Frank Peter Zimmermann (Violine)
Berliner Philharmoniker
Leitung: Wolfgang Sawallisch

Label: EMI CLASSICS

Sendung: "Das starke Stück" am 10. Mai 2022, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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