BR-KLASSIK

Inhalt

Was heute geschah – 08. Juni 1968 Benjamin Britten flieht aus der Oper

Aldeburgh, 8. Juni 1968. Harrison Birtwistles Oper "Punch and Judy" wird uraufgeführt. Nichts für schwache Nerven, was da auf der Bühne der Jubilee Hall passiert: Ein Mann im Hanswurst-Kostüm wirft sein Baby ins Feuer, erdolcht seine Freundin, zersägt schließlich den Conférencier. Die Musik dazu: brutal, grotesk, sarkastisch.

Der Komponist Harrison Birtwistle; Foto von 1968 | Bildquelle: picture-alliance / United Archives

Bildquelle: picture-alliance / United Archives

Was heute geschah – 8. Juni 1968

Bild: Der Komponist Harrison Birtwistle 1968 – im Jahr der Uraufführung seiner Oper "Punch and Judy"

"Punch and Judy" heißt die erste Oper des jungen Harrison Birtwistle. Punch und Judy sind eigentlich Figuren des englischen Kasperletheaters. Aber die Grausamkeiten, über die man beim Puppenspiel lacht, sorgen für einen Skandal, wenn sie von Sängern aus Fleisch und Blut gespielt werden. Zu den Zuschauern, die das Spektakel fluchtartig verlassen, gehören der berühmte Komponistenkollege Benjamin Britten und sein Lebensgefährte Peter Pears, "offenbar entsetzt über das, was sie gehört hatten", wie sich Operndirektor John Tooley später erinnert.

Brittens fatale Empfehlung

Das Pikante daran: Benjamin Britten hatte zuvor mit seiner Empfehlung erst dafür gesorgt, dass Harrison Birtwistle überhaupt eine Oper für das Aldeburgh Festival schreiben durfte. "Er hat mehr zu sagen als die meisten seiner jungen Zeitgenossen. Ich bin sicher, er wird etwas Auffälliges und Provokantes, aber dennoch Ernsthaftes und Aufrichtiges hervorbringen" – so ist es in dieser Empfehlung zu lesen.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

PUNCH & JUDY                                                                      H.BIRTWISTLE | Bildquelle: stereomango (via YouTube)

PUNCH & JUDY H.BIRTWISTLE

Parodistische Collage

Benjamin Britten | Bildquelle: picture-alliance/dpa Er konnte "Punch and Judy" nicht ertragen: Benjamin Britten | Bildquelle: picture-alliance/dpa Was Britten nicht ahnte: Birtwistle hatte sich vom lyrischen Charakter seiner ersten Stücke verabschiedet, seine Musik war lauter, schroffer, dramatischer geworden – durchaus passend zum Stoff seiner ersten Oper. Dass Birtwistle hier ganz unterschiedliche Formteile – wie Serenade, Choral oder auch Wetterbericht – einfach parodistisch nebeneinandersetzte, das machte Altmeister Britten auch ein Jahr nach der Uraufführung noch fassungslos: "Zeitgleich zu dieser Uraufführung wurden nebenan andere Opern aufgeführt. Und es wirkte sehr seltsam auf mich, dass dieser junge Komponist nicht hinging und schaute, wie Mozart seine Probleme löste. Wenn er von hier nach Newmarket fahren wollte, würde er doch auch eine Landkarte konsultieren. Warum konsultiert er dann keine Landkarte, die ihm zeigt, wie man eine Oper schreibt?"

Und wenn sie nicht gestorben sind …

Auch ohne Landkarte: Harrison Birtwistle hat seinen ganz eigenen Weg gefunden. Und Punch und Judy treiben noch heute frech ihr Unwesen auf den Opernbühnen der Welt.

WAS HEUTE GESCHAH

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 8:30 und 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

    AV-Player