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Was heute geschah – 16. September 2001 Stockhausen äußert sich zum 11. September

Hamburg, 16. September 2001: Karlheinz Stockhausen kommentiert die Terroranschläge vom 11. September. "Also, was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat." Ja, so hat er das wirklich gesagt, wenige Tage nach den Anschlägen von New York, auf einer Pressekonferenz im Hotel Atlantic. Eine Stunde lang hatte Karlheinz Stockhausen da schon über seine Konzerte beim Musikfest Hamburg geredet. Hatte geplaudert über Architektur und Akustik, über Techno und Elektronik.

Karlheinz Stockhausen | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Die Sendung zum Anhören

Ein ganz entspanntes Interview. Bis er auf die Hauptfiguren seiner "Licht"-Opern zu sprechen kommt: den Erzengel Michael, zu dem er jeden Tag bete, und seinen Widersacher Luzifer, dessen Präsenz sich gerade in New York wieder gezeigt habe. Und dann, auf Nachfrage, versteigt sich Stockhausen plötzlich zu seinem Vergleich der Terroranschläge mit einem Kunstwerk: "Dass also Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nie träumen könnten, dass Leute zehn Jahre üben, total fanatisch, für ein Konzert, und dann sterben. Und dann werden 5.000 Leute in die Auferstehung gejagt."

Ist das nicht ungeheuerlich, was mir da eingefallen ist auf einmal?
Karlheinz Stockhausen nach seinen fatalen Aussagen

Betretene Stille

Stockhausen fabuliert noch eine Weile weiter, über Intensität, Grenzüberschreitungen, den plötzlichen Sprung aus der Sicherheit. Erst als betretene Stille eintritt, realisiert er, dass er sich vergaloppiert hat. "Ist das nicht ungeheuerlich, was mir da eingefallen ist auf einmal?", rudert er da zurück. "Ist ja irre. Schreibt nicht ausgerechnet das, was ich da am Schluss gesagt habe. Das muss ja nicht alles gleich multipliziert werden, ist ja blöd."

Ligeti diagnostiziert Größenwahn

Aber es ist zu spät: Im Zeitalter der Massenmedien lässt sich kein Satz mehr ungesagt machen. Am nächsten Morgen steht Stockhausen in den Schlagzeilen: "Musikerneid auf Terroristenerfolg". Seine Konzerte werden abgesagt, und sein Kollege György Ligeti attestiert ihm "Größenwahnsinn".

Die verstörenden fünf Minuten von Hamburg

Auch wenn sich Stockhausen entschuldigt – die Sätze von Hamburg werden ihm noch bis an sein Lebensende nachhängen. Und die Nachrufschreiber werden dann nicht nur an seinen 29-stündigen Opernzyklus "Licht" erinnern, sondern auch an die verstörenden fünf Minuten von Hamburg – als "Ausdruck einer fatalen Weltferne".

WAS HEUTE GESCHAH

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 8.30 Uhr und um 16.40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

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