BR-KLASSIK

Inhalt

Was heute geschah – 18. Oktober 1995 Die Dawidow-Morini-Stradivari wird gestohlen

New York, 18. Oktober 1995: In einem Zimmer im Mount Sinai Krankenhaus liegt Erika Morini im Sterben. Geigerin, weltberühmt, ein Wunderkind seinerzeit, mit acht Jahren war sie die jüngste Studentin am Wiener Konservatorium – und die erste, die kein Mann war.

Stradivari-Geige | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk

Bildquelle: Bayerischer Rundfunk

Die Sendung zum Anhören

(Bild: eine Geige von Stradivari)

Schnell ist Morini zur führenden Geigerin der jungen Generation aufgestiegen. 1918 noch, als sie mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Nikisch ein Mozart-Konzert gespielt hat, hat man erstaunt gelacht, als die Solistin des Abends auf die Bühne kam. Ein schmales, vierzehn-fünfzehnjähriges Mädchen, mit einer Dreiviertel-Geige. "Ich bin das einzige Kind gewesen", sagt sie, "das mit dem Gewandhausorchester auftreten durfte."

Abschiedskonzert mit einundsiebzig

1932 heiratet sie. Ihr Mann, ein italienischer Diamantenhändler, gibt seinen Beruf auf, um sich der Karriere seiner Frau zu widmen. Morini ist Jüdin, 1935 emigrieren die beiden nach Amerika. Nach einer langen, weltweiten Karriere gibt sie – 71-jährig – ihr Abschiedskonzert in New York. Danach, heißt es, habe sie ihre Geige nicht mehr angerührt. Das hat dann, als sie auf dem Totenbett lag, der Dieb erledigt.

Die eingesperrte Stradivari

Die Geigerin Erika Morini. Photographie von 1930 | Bildquelle: picture alliance / Imagno Den Diebstahl ihrer Stradivari bekam sie nicht mehr mit: Erika Morini | Bildquelle: picture alliance / Imagno Morini spielt eine Stradivari. Die sogenannte "Dawidow". Ihr Vater hat die Geige in den 20er Jahren für eine erstaunlich niedrige Summe von einem Pariser Händler gekauft. Seit sie sie nicht mehr spielt, liegt die Stradivari eingesperrt in einem Schrank in Morinis Appartement in der Fifth Avenue. Wo immer mal wieder eine gute Bekannte nach dem Rechten schaut. Und dabei sieht sie jedes Mal auch nach der Stradivari. Von dem Schlüssel zum Schrank wissen viele. Freunde, Nachbarn, Haushaltshilfen. An diesem Nachmittag öffnet die Bekannte den Schrank, sie öffnet auch den Geigenkasten, doch der ist leer. Die Stradivari: verschwunden. Ein Rätsel. In der Wohnung wurde nicht eingebrochen, das Schrankschloss: intakt. Der die Geige weggenommen hat, muss Zugang zu beiden Schlüsseln gehabt haben. Das klingt nach einer überschaubaren Anzahl Menschen, doch der Dieb wurde bis heute nicht gefunden. Und die Geige fehlt noch immer.

Für immer verschwunden?

Der todkranken Morini hat man, aus Rücksicht auf ihr Seelenheil, nichts davon erzählt. Das Instrument ist acht Millionen Dollar wert und im Grunde unvorzeigbar. Vermutlich liegt es irgendwo im Tresor eines Stradivari-Sammlers und wartet dort auf den jüngsten Tag. Und dass es jemals vorher wiederauftauchen wird, ist sehr, sehr unwahrscheinlich.

WAS HEUTE GESCHAH

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 8.30 Uhr und um 16.40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

    AV-Player