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Luisa Miller? Sehr erfreut!

Am Sonntag werde ich ihr begegnen. Einer schönen Unbekannten. Und an was für einem festlichen Ort! Im Prinzregententheater in München: Mit allem Drum und Dran. Strahlende Beleuchtung. Gepflegt gekleidete Menschen. Bier, Wein, Champagner. Das aufwändige Deckengemälde im Gartensaal, Stuck, Malerei und Marmor im Zuschauerraum. Schon der Gedanke an diese Räume steigert meine Vorfreude. Laszlo Molnar liebt seit langem die Opern von Giuseppe Verdi und freut sich nun, "Luisa Miller" beim Antrittskonzert des neuen Chefdirigenten des Münchner Rundfunkorchesters Ivan Repušić zu erleben.

Verdioper Luisa Miller - Klavierauszug | Bildquelle: wikimedia

Bildquelle: wikimedia

Ja, ich gebe es ohne Scham zu: ich habe Luisa Miller bisher noch nicht gekannt. Es geht nicht um irgendein Fräulein Miller; Friedrich Schiller hat sie in die Welt gesetzt und Giuseppe Verdi sie zur Heldin einer Oper gemacht. Eine Heldin von Verdi, die ich noch nicht kenne - das ist der Grund meiner Vorfreude.

Ehrfurcht gegenüber Verdi und seinem Werk

Giuseppe Verdi | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Komponist Giuseppe Verdi | Bildquelle: picture-alliance/dpa Verdi ist einer meiner Operngötter. Obwohl ich kein ausgesprochener Opernfan bin - und schon gar keiner, der keine Aufführung am Wohnort auslässt und den Rest des Jahres nach den Spielplänen der Opernhäuser im Rest der Welt gestaltet. Trotzdem gehe ich gerne in die Oper. Ich mag die Atmosphäre der Foyers, das Dunkelwerden im Zuschauerraum, den Geruch nach Bühne und Werkstätten während der Aufführung. Was ich bei meinen Opernbesuchen von Verdi gesehen habe, das waren immer wieder die großen Nummern, Aida, Rigoletto, Don Carlos, Der Troubadour, La Traviata, Macbeth, Otello, gelegentlich ein Maskenball, einmal Nabucco. Diese Opern, Nabucco nicht so sehr, haben in mir tiefe Ehrfurcht gegenüber Verdi und seinem Werk erregt. Das sind Opern, bei denen man nicht nachdenkt, warum sie so starke Eindrücke hinterlassen, warum sie mich immer wieder so tief erschüttern. Sie wirken bei mir ganz ohne Umweg, quasi intravenös.

Ich fühle mich zusammen mit Violetta Valery vergehen und mich mit Otello wahnsinnig vor Eifersucht werden. Die Verzweiflung Rigolettos fährt mir wie ein Schock in die Glieder und Lady Macbeth scheint auch mir das Gift der Mordlust einzuträufeln. Gestalten größer als das Leben, die aber am Leben leiden und vergehen. Verdi hat Helden der Literaturgeschichte durch Musik zu Menschen gemacht wie nur wenige andere: Monteverdi, Mozart, Wagner. Verdi selbst ist einer der Größten.

Verdi erscheint wie ein Komet

Ich schaue mir das Werkverzeichnis wieder einmal an. Ernani. Alzira. Attila. I Lombardi. Giovanna d’Arco. Stiffelio. Und mehr. Namen, den ich kaum je begegnet bin. Alle gut versteckt. Für mich auch Fräulein Miller. Da ist also Musik von Verdi, die man nur selten zu hören bekommt. Warum ist das so? Und was bedeutet diese Musik für den Komponisten?
Ich wohne in einer Wohngemeinschaft mit einem Musikwissenschaftler. Öfters sprechen wir über Opern und hören Opern. Wir hören Rossini, Bellini, Donizetti. Und dann fragen wir uns, wie es auf einmal zu Verdi kommen konnte. Im Licht der Opernspielpläne erscheint er wie ein Komet aus dem All. Plötzlich da, alles überstrahlend, alles überwältigend. Nun kommt Fräulein Miller ins Spiel. Danke Signorina, dass sie Signor Verdis Aufmerksamkeit erregen konnten; so wissen wir etwas über den Werdegang eines Genies.

Luisa Miller - ein etwas anderes Meisterwerk

Ich freue mich auf Luisa Miller, weil auch sie ein Meisterwerk ist. 1846 erhielt Verdi den Auftrag zu dieser Oper, vom Teatro San Carlo in Neapel, 1849 war sie fertig. Nabucco, nur zum Vergleich, entstand 1842, der rundum geniale Macbeth 1847, allerdings überarbeitete Verdi den 1865. Die Oper um Signorina Miller fällt nicht aus dem Rahmen, weder zum Guten noch zum Schlechten. In meiner Vorfreude habe ich mir die Miller-Oper angehört. Ich gebe zu, dass ich zu Hause zu Verdis Miller-Klängen geputzt habe. Das ging beschwingt. Weiter gehört habe ich im Auto - die Fahrt zu Freunden war schneller vorbei als erwartet, fast zu schnell.

Die Musik ist toll gemacht, ungemein kraftvoll, energisch, farbig, schon mit so vielen Harmonien, mit denen das spätere Genie seine Zuhörer gefangen nahm. Nummer für Nummer dürfen seine Sängerinnen und Sänger brillieren. Allerdings: eine Nummer so richtig zum sich Versenken, eine, wegen der ich das Putzen unterbrochen oder im Auto einen Parkplatz angesteuert hätte, war für mich nicht dabei. Aber der Schwung der Musik, das Drama der Handlung trägt locker durch die drei Akte und die zweieinhalb Stunden. Was ist also anders gegenüber den späteren Meisterwerken?

Schillers Einfluss

Büste des deutschen Dichters Friedrich von Schiller | Bildquelle: picture-alliance/dpa Büste des deutschen Dichters Friedrich Schiller | Bildquelle: picture-alliance/dpa Da muss ich jetzt in mein musikgeschichtliches Nähkästchen greifen: Verdi vertiefte sich zu dieser Zeit noch nicht derart in das psychisch-psychologische Gekröse seiner Figuren wie in seinen späteren Opern. Hier handelt er die Handlung, die immerhin auf Schillers "Kabale und Liebe" basiert, in der Form jener Nummernoper ab, wie sie Mitte der 1840er Jahre in Italien angesagt war. Damit hatten zunächst Rossini, dann Bellini und Donizetti ihre großen Erfolge. Verdi war eine Super-Begabung. Allerdings brauchte auch die ihre Zeit, um sich voll zu entfalten. Und in dieser Zeit schrieb er Opern, die auch der Methode Bellini-Donizetti folgen und deren Namen sich heute versteckt halten. Ernani, Attila, Luisa und Co. Er hatte riesige Erfolge, und experimentierte weiter.

Luisa offenbart einige Geheimnisse

Die Begegnung mit Luisa freut mich nun so, weil ich durch sie etwas vom Entstehen eines Genies erfahre. Ich kann Mit-Hören, wie aus Verdi VERDI geworden ist. Für mich mit Monteverdi der größte italienische Opernkomponist. Ich kann hören, wie er seinen früheren Kollegen Respekt zollte und zugleich über sie hinaus wuchs. Deshalb ist das Treffen mit Signorina Miller so ungeheuer spannend: Sie erzählt uns, wie es Maestro Verdi ging, inmitten seiner "Galeerenjahre", als er zwischen 1842 und 1850 zwölf Opern komponierte. Er bearbeitete die Nummernoper und verließ sie dabei. Er gelangte auf dem Weg zu Rigoletto, Troubadour und Traviata, zu den wirklichen Helden der Opernliteratur.

Obwohl ich 25 Jahre Musikkritiker war, ist mir Fräulein Miller nicht begegnet. Nicht in Wien, Salzburg, Hamburg, anderen Orten mit großen Opernhäusern. Vielleicht bin ich ihr auch nicht beherzt genug nachgereist oder entgegen gegangen. Egal. Nun, nächsten Sonntag, haben wir unser erstes Rendezvous, im Prinzregententheater in München. Und dass die Aufführung konzertant ist, ist mir doppelt recht. Ohne Ablenkung werden die Ohren die Musik einsaugen. Marina Rebeka singt die Luisa. In meinem Kopf werde ich dazu Bühnenbildner, Kostümdesigner und Regisseur in einem sein.

"Luisa Miller"

Melodramma tragico in drei Akten von Giuseppe Verdi
Sonntag, 24. September 2017 um 19.00 Uhr
München, Prinzregententheater

Mitwirkende
Marina Rebeka, Sopran - Artist in Residence
Judit Kutasi, Mezzosopran
Corinna Scheurle, Mezzosopran
Ivan Magrì, Tenor
George Petean, Bariton
Ante Jerkunica, Bass
Marko Mimica, Bassbariton
Chor des Bayerischen Rundfunks
Münchner Rundfunkorchester
Ivan Repušić, Leitung

BR-KLASSIK überträgt das Konzert live im Videostream und im Radio.

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