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Kritik – "Titanic" als Musical in Linz Bombastik verdrängt Details

Ein Riesending mit ganz viel Personal: Fast vierzig Solisten tummeln sich im Musical "Titanic" auf dem Luxusdampfer, der effektvoll untergeht. Die Musik erinnert an ein ausladendes Oratorium, da schrumpfen die Einzel-Schicksale auf Ameisengröße.

Passagiere auf dem Weg auf den Luxusdampfer | Bildquelle: Barbara Pálffy/Landestheater Linz

Bildquelle: Barbara Pálffy/Landestheater Linz

Wer jemals den Eiffelturm oder die chinesische Mauer fotografieren wollte, der kennt das Problem: Das Motiv ist riesengroß, das Kameraformat vergleichsweise klein. Also geht entweder alles drauf und es ist nichts zu erkennen oder der Ausschnitt ist detailgenau, aber nicht mehr imposant. So ähnlich erging es auch Librettist Peter Hess Stone (1930 - 2003) und Komponist Maury Yeston (76), als sie ein Musical über den Untergang der "Titanic" vorbereiteten.

Einzelschicksale auf der "Titanic" werden übersehen

Gäste auf dem untergehenden Luxusdampfer. | Bildquelle: Barbara Pálffy / Landestheater Linz Bildquelle: Barbara Pálffy / Landestheater Linz Der berühmt-berüchtigte Luxusliner war 269 Meter lang und hatte rund 2.200 Menschen an Bord. Das Absaufen im Atlantik war eine Riesenkatastrophe, die womöglich in drei Stunden Kino reinpasst, aber sicher nicht in drei Stunden Musical. Und so hat der Zuschauer durchweg das Gefühl, das Ganze in einer Totalen zu sehen: Ist zwar alles drauf, aber Details sind nicht erkennbar. Dafür spricht auch die Besetzungsliste mit fast vierzig Solisten-Rollen - außer dem Kapitän und dem Schiffseigner bekommt niemand die Chance, seine Geschichte auch nur länger als drei Minuten auszubreiten. Das macht die Handlung fahrig, unübersichtlich, verwirrend und leider auch wenig anrührend. Die Stärke dieses Musicals liegt woanders, weshalb es in den letzten Jahren auch gern auf Freilichtbühnen inszeniert wurde: Es ist monumental in jeder Hinsicht, näher beim Oratorium als bei der Operette, mehr Untergangs-Ode als Gesellschaftsdrama.

"Titanic" als Bühnenfassung

Die Bühnenfassung kam 1997 heraus, zufällig im selben Jahr wie der gleichnamige Film von James Cameron. Dabei war das Musical bei weitem nicht so erfolgreich wie die Kino-Version, obwohl es immerhin zwei Jahre am Broadway lief und einige Theaterpreise abräumte. Aber das Problem, dass die Macher einfach zu viel aufs Bild bringen wollten, war auch am Landestheater Linz unübersehbar, und dass, wo Regisseur und Choreograph Simon Eichenberger eines der modernsten Theater im deutschsprachigen Raum bespielen konnte und wirklich ein Händchen hatte für diesen ausladenden Stoff. Die stehenden Ovationen des Publikums gaben seinem Konzept Recht, an dem Bühnenbildner Charles Quiggin natürlich enormen Anteil hatte.

Monumentales Requiem auf einen Luxusdampfer

Ein Matrose singt mit erwartungsvollem Blick | Bildquelle: Barbara Pálffy/Landestheater Linz Bildquelle: Barbara Pálffy/Landestheater Linz Ja, die Bilder überwältigen, die Bühnentechnik ist grandios, die Musik streckenweise auch. Als Requiem auf einen Luxusdampfer geht das völlig in Ordnung. Und vielleicht ist es ja nur selbstverständlich, dass alle Mitwirkenden vor diesem Stahl-Monstrum zu Ameisen schrumpfen. Dirigent Tom Bitterlich hatte hörbar Spaß am symphonischen Rauschen und Tosen, am opulenten Chorsatz, der in merkwürdigem Kontrast zum tatsächlichen Wetter beim Untergang der "Titanic" stand: Damals soll der Atlantik ja spiegelglatt gewesen sein, Windstille und surreale Lautlosigkeit sollen die Szene geprägt haben. Komponist Maury Yeston zitierte immerhin den Choral "Näher mein Gott zu dir", der in den letzten Minuten der Katastrophe gesungen worden sein soll - ein Geiger allein im Lichtkegel, das machte was her. Am Orchestersound gab es nun wirklich nichts auszusetzen, auch nicht an den Ragtime- und Irish Jig-Einlagen, und die allermeisten Solisten machten das Beste aus ihren Kurzauftritten.

Geschichten ohne Tiefe

Etwas arg harmlos wurde der Konflikt zwischen dem rekordsüchtigen Schiffseigner Bruce Ismay (Karsten Kenzel) und dem schwermütigen Kapitän Smith (Dean Welterlen) abgehandelt: Der eine will so schnell wie möglich in New York sein, der andere so schnell wie möglich in Rente. Entsprechend wenig Zündstoff war in diesem Duell. Und bei all den jungen und alten Paaren, die sich mal liebten, mal nervten und mal rumstanden, fehlten letztlich Vergangenheit und Zukunft: Was sie auf die "Titanic" verschlagen hatte, was sie in Amerika wollten, blieb ziemlich nebulös. Auch der Humor kam leider zu kurz: Noch am witzigsten der Einfall, einen Passagier die Abfahrt verpassen zu lassen: Er hielt sich glatt für einen Pechvogel, womit er die Lacher auf seiner Seite hatte.

Insgesamt ein Abend für Freunde optischer und musikalischer Überwältigung und natürlich für alle "Titanic"-Fans. Der Dampfer kann einen schon in den Wahnsinn treiben, wie den Erbauer, der noch im Untergang fieberhaft darüber nachdenkt, wo der Konstruktionsfehler lag. Dabei hätte er doch nur den Eisberg einplanen müssen, aber der war ihm wohl zu unmodern.

Sendung: "Allegro" am 20. Februar 2022 ab 06:05 Uhr af BR-KLASSIK

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