Zum ersten Mal in ihrer Geschichte spielen die Münchner Philharmoniker gemeinsam mit dem Israel Philharmonic Orchestra. Anlass ist der 80. Jahrestag zur Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus. Dieses einzigartige Projektorchester spielt erst in München, dann in Dresden und schließlich Dortmund.
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Deutsche und Juden sitzen nebeneinander und spielen Musik eines jüdischen Komponisten. Das war vor 80 Jahren undenkbar und schon allein rein gefühlsmäßig gar nicht vorstellbar. Als die Mitglieder der beiden Orchester sich zur ersten Probe treffen, sind sich die meisten noch fremd.
Lahav Shani ist Chefdirigent beim Israel Philharmonic Orchestra und ab Herbst 2026 auch Chef bei den Münchner Philharmonikern. | Bildquelle: Tobias Hase
Nur einer im Saal kennt alle: der Dirigent Lahav Shani. Er ist Chef beim Israel Philharmonic Orchestra und ab Sommer 2026 offiziell neuer Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Trotzdem fühlt er sich bereits bei beiden Orchestern richtig zuhause. Mit einem fröhlichen Lachen begrüßt Shani das Doppel-Orchester. Seine Aufregung ist spürbar: "Dass diese zwei Völker zusammenspielen, das ist nicht selbstverständlich. Und irgendwie macht es Sinn, gerade aus diesem Anlass. Es fühlt sich natürlich an und es hat etwas ungemein Menschliches."
Dirigent Lahav Shani und der Intendant des Orchesters, Florian Wiegand, lassen durchblicken, dass sich aus diesem Projekt zukünftig noch mehr entwickeln könnte. "Freundschaft entsteht ja oft aus gemeinsam Erlebtem, aus dem Teilen intensiver Erfahrungen", so Wiegand. "Ich habe das Gefühl, dass bereits ganz viele Schritte zu etwas Größerem gemacht wurden, was über dieses Konzert hinausreichen kann. Die Freundschaft beginnt also vielleicht gerade jetzt.
8. Mai 2025, 19:30 Uhr
Isarphilharmonie München
9. Mai 2025, 18:00 Uhr
Kreuzkirche Dresden
10. Mai 2025, 19:30 Uhr (Kammerkonzert)
11. Mai 2025, 16:00 Uhr (Sinfoniekonzert)
Konzerthaus Dortmund
Mitglieder des Israel Philharmonic Orchestra und der Münchner Philharmoniker
Dirigent: Lahav Shani
Das Konzertvideo vom 8. Mai 2025 können Sie 30 Tage lang in der ARD Mediathek abrufen.
Beinahe wäre es gar nicht zu diesem "ersten Mal" gekommen. Drei Stunden vor Abflug der Musikerinnen und Musiker aus Israel schlug eine Rakete aus dem Jemen neben dem Flughafen in Tel Aviv ein. Bei Boaz Meirovitch, dem Flötist und einer der drei Orchestermanager, klingelte das Telefon daraufhin pausenlos. Auch besorgte Anrufe aus München waren dabei, ob denn nun der Besuch abgesagt würde. Aber das Orchestermanagement hat ohne mit der Wimper zu zucken beschlossen, dass man auf jeden Fall nach Bayern reist. "Die Musik steht über allem, sagt Boaz mit entschlossener Stimme, wenn wir wegen einer Rakete absagen, haben die feindlichen Huthis erreicht, was sie wollen. Uns zu zermürben."
Der Krieg ist in Israel zum Alltag geworden, das Land kämpft um seine Existenz. Genau die ist eng verbunden mit dem Ende des zweiten Weltkriegs, mit der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus. Es mutet darum fast grotesk an, dass ohne die deutsche Geschichte wahrscheinlich nie ein Staat Israel gegründet worden wäre.
Dass die Konzerte stattfinden, hat für das israelische Orchester also eine tiefe Bedeutung. Bereits 1936 wurde es gegründet, damals als Palestine Orchestra und es bestand nur aus Juden. Alles waren Musiker, die gerade noch rechtzeitig aus Europa fliehen konnten.
Ich sehe uns als Leuchtturm der israelischen Kultur.
Damit ist das Orchester heutzutage eben auch Ausdruck einer nationalen Identität. Wobei Manager Boaz Meirovitch betont, dass es sich beim Israel Philharmonic nicht um ein staatliches Orchester handelt, also kein Aushängeschild der Regierung. Entsprechend steuert der Staat auch nur 10% zum Budget bei. Der große Rest wird von Spendengeldern finanziert und dem, was es selbst erwirtschaftet. "Ich sehe uns als Leuchtturm der israelischen Kultur", erklärt Boaz, "wir repräsentieren das Licht, wir bringen die Helligkeit, und wir zeigen durch Musik, wie schön Israel ist."
Für die Musikerinnen und Musiker aus Israel spielt es darum auch keine Rolle, welche Leute zu den deutschen Konzerten kommen: ob es Antisemiten sind, Anhänger einer rechtsnationalen oder linksextremen Partei. Das gilt auch für das Publikum Zuhause in Israel: Keiner fragt nach, ob jemand für den Premierminister gestimmt hat oder nicht. Allein, dass die Menschen ins Konzert kommen und Musik hören wollen, ist Konsens genug. Darin sieht Boaz die Bestimmung des Orchesters. "Wir bringen Kultur, wir bringen die Kunst und unsere Aufgabe ist es, die Menschen glücklich machen."
Was sich auf den ersten Blick etwas blauäugig anhört, ist der Versuch einer Differenzierung, ohne die ein Leben in Israel nicht möglich ist: Es gibt die Musik, ohne Politik. Und es gibt die Angriffe der Hamas, das tägliche Aufheulen von Sirenen, die vielen Nächte im Schutzraum, wogegen die Kunst nichts ausrichten kann, erklärt Lahav Shani: "Es gibt so viel, worauf man in Israel stolz sein kann, gerade die Kultur und die Musik. Und dann gibt es gleichzeitig so viel, wo man denkt, wohin geht das jetzt alles? Der Krieg und die ganze politische Situation, die ja schon länger andauert, als zwei Jahre. Das muss zu einem Ende kommen. Wir müssen uns mehr kümmern um unsere Kultur, darum, miteinander zu leben und eine gemeinsame Grundlage zu finden."
Mitglieder der Münchner Philharmoniker und des Israel Philharmonic Orchestra bei der Probe. | Bildquelle: Co Merz
In Gustav Mahlers sechster Sinfonie wird die Grundlage schnell gefunden, in jedem Satz wächst das Vertrauen untereinander. Aus einem anfänglichen zaghaften Zulächeln wird Anerkennung. Orchestervorstand Alexandra Gruber beobachtet das nicht nur bei sich am Klarinettenpult: "Egal wer ein Solo hat, es wird immer in unserer Musiker-Geheimsprache Beifall gegeben. Entweder schabt man leise mit dem Fuß oder man macht mit den Fingern ein kleines Tremolo auf dem Knie in Richtung des Kollegen, der gespielt hat."
Gustav Mahlers sechste Sinfonie ist ein Stück voller Extreme. Es beutelt einen hin und her. Nur ein paar Takte reichen aus, und man erlebt eine Achterbahnfahrt, die einen Verzweiflung, Fatalismus, Beklemmung spüren lässt, die aber auch an einer bäuerlichen Idylle mit Kuhglockengebimmel vorbeiführt und von sanftmütiger Schönheit sein kann. Damit drückt die Musik aus, was in gesprochener Sprache zu diesem Anlass, also 80 Jahre Kriegsende, häufig zu ausgelutschten Plattitüden verkommt. Für Lahav Shani ist es das perfekte Stück: "Es steckt alles drin. Und gerade der Andante-Satz ist so voller Liebe. Genau das ist für mich der Grund, warum wir Mahler spielen und keinen anderen Komponisten. Ein solches Spektrum an Emotionen kann man nur bei Mahler finden."
Das Spektrum der Emotionen zuzulassen, ist die Grundlage für ein friedliches Miteinander. Egal, ob man 80 Jahre Kriegsende feiert, die Befreiung von einer Diktatur oder eben vom Frieden träumt, wie es auch viele Israelis tun. Intendant Florian Wiegand: "In der Musik können wir hören, wie viele Anläufe, Modulationen, Umwege, Verwandlungen es manchmal braucht, bis sich eine Spannung löst und eine neue Erzählung atmosphärisch beginnen kann. Der Weg zu Versöhnung war und ist steinig." Und er beginnt immer und überall mit dem Wunsch, diesen Weg auch gehen zu wollen!
Dieser Artikel wurde am 7. Mai 2025 erstmals publiziert und am 9. Mai aktualisiert und erweitert.
Sendung: "Allegro" am 7. Mai 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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