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Kritik – Evita" am Roten Tor in Augsburg umjubelt Wunder schlagen Fakten

Sie war eine frühe "Influencerin" und Populistin, die sich auf die direkte Kommunikation mit dem Volk verstand: Eva "Evita" Duarte machte Karriere an der Seite des argentinischen Politikers Juan Perón und wurde verehrt wie eine Heilige. Die bittere Musical-Satire von Andrew Lloyd Webber ist aktueller denn je, wie sich in der Augsburger Freilicht-Inszenierung erwies – und leider auch ernstzunehmender als bei der Uraufführung 1978.

Szene aus "Evita" (Staatstheater Augsburg, Premiere 21. Juni 2025) | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr

Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr

Erstaunlich, wie unterschiedlich die Musicals von Andrew Lloyd Webber gealtert sind: "Cats" zum Beispiel wirkt gut vierzig Jahre nach der Uraufführung ziemlich museal, sein Jugendwerk "Jesus Christ Superstar" dagegen ist seit fünfzig Jahren absolut zeitgemäß und kein bisschen bemoost. Und dann gibt es "Evita" über den sagenhaften Aufstieg der gleichnamigen argentinischen Populistin und Schauspielerin: 1978, als das Musical herauskam, schienen die westlichen Demokratien noch innerlich gefestigt, damals war "Evita" eher eine skurrile Pop-Satire, heute, fast fünfzig Jahre später, wo Stimmungsmacher von rechts wie links sogar altehrwürdige Staatswesen bedrohen, mutet das Musical fast schon wie ein Lehrstück von Brecht/Weill an. Mit anderen Worten: "Evita" wird jedes Jahr aktueller, leider.

Zahlreiche aktuelle Bezüge

Szene aus "Evita" (Staatstheater Augsburg, Premiere 21. Juni 2025) | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Insofern war es folgerichtig, damit die Sommersaison auf der Freilichtbühne am Roten Tor in Augsburg zu bestreiten. Die Reaktionen des Premierenpublikums, nicht zuletzt der Jubel für alle Beteiligten, machten deutlich: Die Botschaft kam an. Politiker, die keine Moral kennen, denen jedes Mittel recht ist und die für Wahlen nur Hohn und Spott übrighaben, sind auch ohne jede äußere Aktualisierung bei "Evita" sofort präsent. Regisseur Florian Mahlberg: "Das zu inszenieren macht so viel Freude, weil man da so feinfühlig mit umgehen muss, weil man so viele aktuelle Bezüge drin haben kann, ohne dass man dafür viel machen muss. Es gibt so viele Persönlichkeiten, die genauso an die Macht gekommen sind, über so viele Leichen gegangen sind, so korrupt waren wie Evita und ihr Mann. Wir haben Putin vor Augen, auch Trump, da kommen direkt Assoziationen, die man gar nicht inszenieren muss. Man überlässt dem Zuschauer eigentlich das Bild."

Ab einem bestimmten Punkt verlören die Fans von Superstars aus Politik und Showbranche den "faktischen Bezug", so Mahlberg: "Wir gucken dann nur noch darauf, was das emotional mit uns macht, und übersehen die Abgründe, die dahinter verborgen sind. Das ist aktueller denn je, weil es so viele Leute gibt, bei denen wir das nicht mehr hinterfragen. Deshalb möchten wir zeigen: Guckt mehr hin, was hinter Persönlichkeiten steckt."

Evita – eine Meisterin der Direktkommunikation

Natürlich gibt es Stücke, die besser auf die historische Freilichtbühne am Roten Tor in Augsburg passen. Was haben mittelalterliche Schießscharten schon mit "Evita" zu tun? Bühnenbildner Karel Spanhak hatte es demnach nicht leicht. Er entwarf eine schäbige lateinamerikanische Häuserzeile, die auch durch Evitas gleißende Roben kein bisschen glanzvoller wird. Aber die Fakten zählen nicht, nur Wunder, wie Evita treffend bemerkt. Sie war eine Meisterin der Direktkommunikation, lange vor den sozialen Medien. Übers Radio warf sie ihr populistisches Netz aus und setzte die traditionellen Eliten ihrer Zeit schachmatt. Stark, wie Florian Mahlberg und sein Team das ohne aufdringliche Mätzchen bebildern. Stets ist auf der riesigen Bühne klar, wer gerade im Mittelpunkt steht. Die Auftritte der Titelheldin sind grandios: Sie glitzert und funkelt als ihr eigener Mythos. Ironie war nicht gerade Andrew Lloyd Webbers starke Seite, aber in diesem Fall ist das unerheblich: Über diese Satire will ohnehin kaum noch einer lachen, so nah, wie sie der aktuellen Politik gekommen ist.

Manchmal fehlt der "Musical-Schmelz"

Szene aus "Evita" (Staatstheater Augsburg, Premiere 21. Juni 2025) | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Dirigent Sebastiaan van Yperen und Choreograf Ricardo Fernando sorgten vor allem im ersten Akt für mächtig Tempo, nach der Pause dominierte Melancholie, die auch mal in Sentimentalität abglitt – was bei einem Musical völlig in Ordnung geht. Katja Berg ist als Idol und ätherische "Heilige" der Massen überzeugender denn als eiskalte Karrieristin und Agitatorin. Alexander Franzen als Juan Perón als Machtmensch absolut authentisch, als charismatischer Latin-Macho weniger. Hannes Staffler als Che, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen kubanischen Revolutionshelden Guevara, moderierte als argentinischer "Mann des Volkes" so lässig wie sarkastisch durch den zweieinhalbstündigen Abend. Mit etwas mehr Musical-Schmelz in der Stimme hätte das noch paradoxer und entlarvender gewirkt.

Insgesamt eine unbedingt lohnende Produktion auf der Freilichtbühne am Roten Tor, deren Zukunft wegen des maroden Bauzustands leider ungewiss ist. Die Sommersaison 2027 wird wegen Renovierungsarbeiten ausfallen.

Sendung: "Allegro" am 22. Juni 2025 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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