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Ein Fest für die Musik 150 Jahre Münchner Opernfestspiele

Was kann uns Oper heute sein? Wofür machen wir sie? Und für wen? Diese Fragen stellt sich die Bayerische Staatsoper jedes Jahr. Und beantwortet sie immer neu, immer wieder anders. Während des Jahres – und komprimiert, verdichtet, zum Saisonende im Sommer bei einem Festival. Und da steht in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum an: 150 Jahre Münchner Opernfestspiele.

Opernfestspiele München 2024 | Bildquelle: Geoffroy Schied

Bildquelle: Geoffroy Schied

Oper ist eine Kunstform aus Wort und Musik, die ihre Wurzeln in der griechischen Antike hat. Und die nicht totzukriegen ist, allen Unkenrufen zum Trotz. Sie ist intellektuelle Herausforderungsmaschinerie, Kraftwerk der Gefühle, sinnliches Überwältigungstheater. Oper weckt Emotionen; sie erzählt große Geschichten von Mord und Totschlag, Liebe und Hass, Religion und Glauben, Macht und Ohnmacht. Geschichten, die wir kennen und die wir dennoch immer wieder hören wollen, obwohl wir wissen, wie sie enden. Wir verweigern uns diesem Wissen, darin liegen Zauber und Geheimnis dieser Kunst. Vor über 400 Jahren hat Claudio Monteverdi die Oper mit seinem "Orfeo" zu uns gebracht. Und heute können wir aus über 85 tausend Nachfolgewerken wählen.

DER BEGINN: DER FESTLICHE SOMMER 1875

Seit 1653 wird in München Oper gespielt.1875 hat man zum ersten Mal die Idee, die Opernsaison in einem "Festlichen Sommer" gipfeln zu lassen – mit einer "Reihenfolge auserwählter Vorstellungen im königlichen Hof­ und Nationaltheater". Damit beginnen die Münchner Opernfestspiele. Eigentlich sollte dafür in München ein Festspielhaus für Richard Wagners stehen – das wünscht sich sein Bewunderer und Förderer König Ludwig II, der Wagner nach München gebracht hat. Doch Bevölkerung und Regierung sperren sich gegen den verschwendungssüchtigen Monarchen und seinen Lieblingskomponisten. Der zieht 1866 beleidigt ab.

Radio-Tipp

BR-KLASSIK überträgt die Premiere von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Don Giovanni" live aus der Bayerischen Staatsoper: am 27. Juni 2025 ab 19:00 Uhr.

Münchner Nationaltheater mit Festspielfahnen während der Opoernfestspiele 2018 | Bildquelle: BR Münchner Opernfestspiele 2018 | Bildquelle: BR Dass man Richard Wagner aus der Stadt vertrieben hat, werden sich die Münchner so schnell nicht verzeihen, denn Wagners Opern starten ziemlich bald so richtig durch. Der Münchner Hoftheaterintendant Karl von Perfall betreibt Schadensbegrenzung – mit dem, was man heute unter dem Begriff "Umwegrentabilität" verbuchen würde: musikalisch herausragende Ereignisse als touristischen Anziehungspunkt für die Kunst- und Kulturstadt München. Und mit Wagners Musik. Der festliche Sommer von 1875 setzt mit "Tannhäuser", "Lohengrin" sowie "Tristan und Isolde" gleich drei Wagner-Opern aufs Programm. Das Motto "Dem Alltag enthoben" ist damals schon der Anspruch des jungen Festivals. Und Meister Wagner bekommt in München zwar kein Opernhaus, aber wenigstens, was er sich künstlerisch vorgestellt hat. Sagt Malte Krasting, Dramaturg an der Bayerischen Staatsoper: "Er möchte das ‚Ausnahmsweise‘, und zwar großgeschrieben als Substantiv; das ‚Ausnahmsweise‘ soll die Idee hinter solchen Festspielen sein."

Für das "Ausnahmsweise" im musikalischen Sinn sorgt 1875 Dirigent Hermann Levy, Hofkapellmeister und großer Wagner-Dirigent. Zur Wagnerstadt mit Opernhaus und eigenen Festspielen wird Bayreuth. Allerdings erst ein Jahr nach dem festlichen Sommer von München. 1913 erst steht Verona in den Startlöchern, 1920 zieht Salzburg nach.

DIE BAYERISCHE STAATSOPER UND IHRE HAUSGÖTTER

Richard Strauss | Bildquelle: Richard Strauss Institut/Bearbeitung: BR Richard Strauss, einer der "Hausgötter" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Richard Strauss Institut/Bearbeitung: BR Viele Opernhäuser haben einen Hausgott. Die Bayerische Staatsoper hat gleich drei: Mozart, Wagner und Richard Strauss. Das Verhältnis zu allen dreien ist zu nicht zu allen Zeiten ungetrübt. Richard Strauss, der gebürtige Münchner, bringt erst einmal keinen Fuß in die Tür. Seinen Opernerstling "Guntram" finden die Münchner 1895 nicht sehr prickelnd. Dabei hat er doch versucht, wie Wagner zu klingen. Es hilft ihm nichts – die damals schon Wagner-erprobten Münchner Opernfans bevorzugen eindeutig das Original und verwehren Strauss auch noch den Posten des Generalmusikdirektors. Er revanchiert sich mit seiner Oper "Feuersnot", "als kleine Rache gegen mein liebe Vaterstadt", die er als scheinmoralische Provinzstadt zeichnet. Später ist Strauss von den Münchner Opernfestspielen nicht mehr wegzudenken. Vor allem Wolfgang Sawallisch wird ihm in den 1980er Jahren in einer überwältigenden Werkschau Abbitte leisten. Spätestens 1882 schon hat sich München mit Richard Wagner versöhnt und zeigt, mit "Rienzi" angefangen, alle seine Werke – außer "Parsifal". Der darf nach der Uraufführung 30 Jahre lang nur in Bayreuth gespielt werden.

Münchner Opernfestspiele 2025

Mehr zu den diesjährigen Münchner Operfestspielen finden Sie hier.

Leicht hat es auch Wolfgang Amadeus Mozart nicht in München. Man hat versäumt, ihn 1781, nach der erfolgreichen Uraufführung seines Geniestreichs "Idomeneo", zu halten und zu beschäftigen. Sagt Stefan Vilsmeier vom Unternehmen Brainlab, das in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper Kulturprojekte entwickelt: "Das Einzige, wo ich mich wirklich ärgern könnte, ist, dass letztendlich Mozart in München kein Angebot gemacht wurde, denn sonst wäre es heute nicht die Wiener Klassik, sondern die Münchner Klassik."

Bei den Festspielen 1897 ist es – als Dirigent – der Mozartfan Richard Strauss, der mit seiner Wiederentdeckung von Mozarts "Così fan tutte" den Salzburger für alle Zeit fest in München verankert. Und gerade in letzter Zeit erfährt die Münchner Mozartpflege mit einem jungen Weltklasse-Ensemble eine beglückende Bereicherung und Neuausrichtung.

MUT ZUM RISIKO: URAUFFÜHRUNGEN

"Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme." Dieses schöne Zitat wird oft dem Komponisten Gustav Mahler untergeschoben. Doch der hat das nie gesagt – und diese Definition ist auch in keiner seiner Schriften zu finden. Sie geht auf den französischen Sozialisten Jean Jaurès zurück. Und sie bedeutet nichts anderes als: Wer nur bewahrt und das Feuer nicht weitergibt, bleibt stehen. Und ja: Gustav Mahler könnte das guten Gewissens unterschreiben.

Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme
. Gustav Mahler

Ein Opernhaus, das sich nur auf den Musikschätzen der vergangenen Jahrhunderte ausruht, wird zum Museum. Und wir erfahren nichts mehr über uns, sondern nur noch was über unsere Vorfahren. Oper hat die Mittel, sich den brennenden Fragen ihrer Zeit zu stellen – und uns den Spiegel vorzuhalten. Das kann auch schiefgehen: Die Oper "Friedenstag" von Richard Strauss wird nach ihrer Uraufführung bei den Münchner Opernfestspielen 1938 von den Nationalsozialisten vereinnahmt. Doch den angeblichen Friedenswillen der Nazis wollte Strauss damit nicht auf die Bühne bringen – und sein jüdischer Librettist Stefan Zweig erst recht nicht.

Ein erschütterndes Antikriegsbekenntnis gelingt der Bayerischen Staatsoper 1957 mit "Troades" von Aribert Reimann. Reimanns Einsamkeitsstudie "Lear" nach Shakespeare ist die Sensation der Münchner Opernfestspiele 1978 und wird vom Publikum und von der Presse gleichermaßen gefeiert. 

Krzysztof Pendereckis Rossini-Hommage "Ubu Rex" entzückt 1991 das Münchner Festspielpublikum – mit ihrem Witz und der zirzensischen Vokalkunst der Sängerinnen Doris Soffel und Pamela Coburn. Und bei Unsuk Chins Opernerstling "Alice in Wonderland" sind sich im Jahr 2007 Kritik und Publikum einig in ihrer Begeisterung für die Klangfantasie der Komponistin und die Wunderbilder von Regisseur Achim Freyer. Uraufführungen sind immer ein Bekenntnis zum Risiko. Doch was gibt es Schöneres, als beim Entstehen einer neuen Welt dabei zu sein.

RASEREI UND OPULENZ – VIEL HÄNDEL UND DER GANZE STRAUSS

Giulio Cesare in München | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl "Giulio Cesare" in München | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl 21. März 1994: "Giulio Cesare" von Georg Friedrich Händel. Die erste Barockproduktion unter der Staatsopern-Intendanz von Sir Peter Jonas trifft das Publikum visuell wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Zitat aus der Premierenkritik der "SZ": "Als der gewaltige Tyrannosaurus Rex, Sinnbild für ein so aberwitzig vergangenes wie pittoreskes Ägypten in die ganze Bühnenhöhe hingeklotzt, perfekt, musiklos-stumm und in Zeitlupe in zwei Teile zerbrach, da erhob sich im Publikum lautes Wehklagen." (Wolfgang Schreiber in der "SZ" am 23. März 1994)

Für kurze Zeit muss man an jenem Abend im Münchner Nationaltheater um die Fortsetzung der Vorstellung fürchten; vier Stunden später dann aber: Raserei und Ekstase. Der tosende Schlussjubel klingt irgendwie anders als sonst. Befreit. Dankbar für ein hinreißendes Opernerlebnis, das man so noch nicht hatte. Dieser "Giulio Cesare" markiert den Startpunkt eines beispiellosen Musiktheatertriumphs. Er wandert in die Festspiele – wie alle folgenden Händel-Bühnenwunder der Ära Peter Jonas. Schrille, sinnliche, hochintelligente Spektakel. Süchtig machende Frischluftzufuhr für die Augen – und die Ohren, mit einer immer wieder fantastischen Sängerschar und einem federleicht schwebenden Barockensemble namens Bayerisches Staatsorchester.

Opernintendant Sir Peter Jonas | Bildquelle: picture-alliance/dpa Sir Peter Jonas | Bildquelle: picture-alliance/dpa Dass dieser variable Klangkörper ein phänomenales Strauss-Orchester ist, weiß die Münchner Musikwelt schon lange. Als Staatsoperndirektor Wolfgang Sawallisch 1988 ankündigt, die Opernfestspiele einem einzigen Komponisten, nämlich Richard Strauss, zu widmen, reagieren die Musikfans ein wenig verwundert. Keine Frage, Sawallisch ist ein brillanter Strauss-Dirigent, aber: Muss das sein?

Es musste sein. Wenigstens einmal im Leben sollte man das gemacht haben. Eine Neuinszenierung der "Liebe der Danae" eröffnet den opulenten Münchner Strauss-Reigen – und Sawallisch gelingt mit allen 15 Opern (die er zum großen Teil auch noch selber dirigiert) eine singuläre Werkschau des Münchner Komponisten. Für spektakuläre Abende sorgen Cheryl Studer als Kaiserin in der "Frau ohne Schatten", Gwyneth Jones als ägyptische Helena – sowie Christa Ludwig und Hildegard Behrens als nachtschwarzes Mutter-Tochter-Gespann auf dem "Elektra"-Höllentrip. Gespenstisch, gruselig, unvergesslich.

DER TÜRÖFFNER – OPER FÜR ALLE

Event Oper für alle 2024 im Rahmen der Münchner Opernfestspiele im Nationaltheater mit der Live-Opernübertragung von Giacomo Puccinis Tosca auf dem Max-Joseph-Platz. München, 27.07.2024 | Bildquelle: Wilfried Hösl Oper für alle 2024 | Bildquelle: Wilfried Hösl "Von Oper verstehe ich nichts. Oper ist teuer. Oper ist nichts für mich." Diese Sätze kennt Serge Dorny, der Intendant der Bayerischen Staatsoper, zur Genüge. Und er geht dagegen an – mit "Oper für Alle", einem Münchner Projekt mit Geschichte. Dramaturg Malte Krasting: "Das ist ein Geniestreich von Sir Peter gewesen, der diese Idee aus England mitgebracht hat – dass man unsere Kunstform, die so komplex ist und so teuer, aber so prachtvoll, als Spektakel zeigen muss."

"Oper für Alle" – 1997 hat Intendant Peter Jonas damit das Münchner Nationaltheater der Münchner Stadtgesellschaft zugänglich gemacht. Oper für Alle – Open Air, zum Nulltarif. Nicht im weichen Sessel, dafür mit Sitzkissen auf dem Max-Joseph-Platz. Und das schon Stunden vorher. Deshalb müssen wir uns auch bedingt etwas zu essen und zu trinken mitbringen. Für die aktuelle Ausgabe 2025 hängen seit Wochen große erdbeerrote Plakate an den Münchner Litfasssäulen. Oper als überraschendes, beglückendes Gemeinschaftserlebnis – und als demokratisches Instrument. Intendant Serge Dorny will das Nationaltheater, diesen Ort der Emotionen, teilen: "Wir wollen die Türen öffnen. Von unseren Opernbesuchern, die jetzt Stammgäste sind, haben viele über ‚Oper für Alle‘ den Weg ins Nationaltheater gefunden."

Und selbst wer schon seit Jahren ‚drin‘ ist, muss sich unbedingt noch einmal draußen dazusetzen – und hoffen, dass die Knie und die Bandscheiben mitmachen. Vor uns eine Riesenleinwand mit fantastischer Bild- und Tonqualität. Der Himmel im Idealfall weiß und blau. Allmählich lässt die Hitze nach – und plötzlich greift auch hier die Magie der Oper. Die Geräuschkulisse erstirbt, das Entkorken der Weinflasche wird um ein paar Minuten verschoben, die Schüssel mit dem Nudelsalat zur Seite gestellt – und alle halten bei Toscas "Vissi d’arte" den Atem an. Und der schönste Moment, sagt Dramaturg Malte Krasting, ist immer der, wenn sich das Drinnen und das Draußen vermischen: "Und wenn dann die Sänger beim Applaus, der notwendigerweise auf der Hauptbühne etwas verkürzt ausfällt, durchs Haus zum Portal gehen und dann von den Menschen da draußen begrüßt werden – ach, mit nichts zu vergleichen!"

Mit nichts zu vergleichen – wie auf ihre Weise auch die Münchner Opernfestspiele. Sie feiern in diesem Sommer 2025 ihren 150. Geburtstag.

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