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Zum Tod von Andrea Pancur Ihr Herz schlug für das Jiddische

Sie hatte die umwerfende Idee, alpenländische und jiddische Volksmusik miteinander zu verbinden: Mit Alpen Klezmer hat Andrea Pancur die internationale Musikszene aufgemischt. Nun ist die Sängerin völlig überraschend im Alter von nur 54 Jahren in ihrer Heimatstadt München gestorben.

Andrea Pancur bei einem Auftritt im Jahr 2023 | Bildquelle: © Andrea Pancur

Bildquelle: © Andrea Pancur

"Eigentlich bin ich als Sängerin auf jiddische Musik spezialisiert, aber in den letzten Jahren wuchs in mir der Wunsch, mich auch mit meinen bayerischen Wurzeln musikalisch zu befassen", erklärte die Alpen Klezmer-Erfinderin ihre Neugier und Spurensuche. Akribische Recherchen in Archiven und Bibliotheken folgten, 2012 erschien das Album "Alpen Klezmer". Da war die studierte Anglistin und Historikerin Andrea Pancur längst in der internationalen Klezmerszene etabliert, als Musikerin und Veranstalterin, durch Bands wie Massel-Tov oder das Festival Yiddish Summer Weimar.

Andrea Pancurs eigenes Genre: die Jiddische Jodelparty

Andrea Pancur und Akkordeonist Ilya Shneyveys vor einer Bergkulisse.
| Bildquelle: © Werner Bauer Ilya Shneyveys und Andrea Pancur auf ihrem Albumcover "Alpen Klezmer" | Bildquelle: © Werner Bauer Mit ihrem Ansatz, alpenländische und jiddische Musiktraditionen zu einer spannenden, nie dagewesenen Mischung zu vereinen, begründete Andrea Pancur nicht weniger als ein neues Genre: mit Fantasie, Seele, Witz und Humor. Und diese "Jiddische Jodelparty", wie sie es nannte, ist keineswegs abwegig. Denn es gibt Lieder, die sowohl in der jiddischen wie auch in der bayerischen Tradition vorkommen. Bestes Beispiel ist das berühmte Volkslied "Drunten in der grünen Au", das im Bayerischen in Dur gesungen wird, im Jiddischen in Moll. So einfach kann es sein, Gegensätze zu verbinden. Für ihr Projekt "Alpen Klezmer" erhielt Andrea Pancur 2012 den Volkskulturpreis der Landeshauptstadt München und 2014 den Weltmusikpreis RUTH beim Rudolstadt Festival.

Wichtige Vertreterin der jiddischen Kultur in Deutschland

Am 16. Januar 1969 in München geboren, entdeckte Andrea Pancur ihre Liebe zum Jiddischen als Jugendliche bei einem Konzert der israelischen Folksängerin und Komponistin Chava Alberstein. Sie studierte neben Anglistik und Geschichte auch Jiddisch, war als Stadtführerin für das jüdische Leben in ihrer Heimatstadt unterwegs – und machte sich schnell einen Namen in der internationalen Klezmerszene. Denn sie war eine der wenigen deutschen nichtjüdischen Sängerinnen, die Jiddisch von der Pike auf gelernt hatte, es richtig singen und sprechen konnte. Sie trat gemeinsam auf mit Klezmerstars wie Laurin Sklemberg, Daniel Kahn, Guy Schalom und dem lettisch-jüdischen Akkordeonisten Ilya Shneyveys, ihrem Wegbegleiter, von dem auch viele Arrangements für "Alpen Klezmer" stammen. Und mit Größen der bayerischen Musikszene wie Stofferl Well, Geigerin Evi Heigl und Bassist Alex Haas. Die Tageszeitung "Der Neue Tag" nannte sie die "wichtigste Vertreterin der jiddischen Kultur in Deutschland".

Wir ziehen weiter und weiter der Sehnsucht nach, die die Richtung, aber nie ein Ziel vorgibt.

Andrea Pancur als große Brückenbauerin

Es ist kaum zu glauben, wie viele Talente Andrea Pancur in sich trug und mit Kraft und erfrischendem Temperament auslebte: Sängerin, Chorleiterin, Schauspielerin, Pädagogin, Veranstalterin, Aktivistin. Sie war ungemein engagiert, kümmerte sich um Geflüchtete und benachteiligte Kinder, gab Benefizkonzerte für internationale NGOs, musizierte im Rahmen des Projekts "Musik.vor.Ort" mit Menschen, die an der Münchner Tafel ihre Lebensmittel bezogen, seit Mai 2023 leitete sie in Giesing das Mitsing-Projekt FRIDA & KURT. Und natürlich war sie auch musikalisch über Alpen Klezmer hinaus eine personifizierte Brückenbauerin: Auf ihrem Album "Weihnukka" brachte sie das christliche Weihnachtsfest und das jüdische Chanukka-Fest zusammen.

Auf der Suche nach Jiddischland

Andrea Pancur und Stofferl Well | Bildquelle: BR Andrea Pancur und Stofferl Well | Bildquelle: BR Neben dem Jiddischen schlug ihr Herz ganz besonders für jene Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt waren, für die Abertausenden, die über das Mittelmeer geflüchtet sind. "Wir singen ums Überleben, wir singen gegen Hass und Ausgrenzung“, schrieb die Sängerin 2016 im Booklet zu ihrer zweiten Alpen Klezmer-CD "Zum Meer". Dort thematisierte sie die Flüchtlingskrise, Elend und Überlebenskampf, die katastrophalen Fluchtbedingungen und die Ignoranz der Gesellschaft. Und Andrea Pancur ging in der Durchdringung von bayerischen und jiddischen Musiktraditionen noch einen Schritt weiter: "Für 'Alpen Klezmer – Zum Meer' habe ich die koscheren Gebirgsjodler ins Reisebündel gepackt und ziehe über die Alpen. Meine musikalischen Weggefährten und ich wildern wie es uns gefällt und schmuggeln Lieder über den Brenner auf der Suche nach Jiddischland bis man nicht mehr weiß, ob Obergiesing nicht doch in Italien liegt. Wir ziehen weiter und weiter der Sehnsucht nach, die die Richtung, aber nie ein Ziel vorgibt."

Andrea Pancur ist im Alter von 54 Jahren gestorben

Nun trauert die bayerische und jiddische Musikwelt um einen wunderbaren Menschen – "a mentsh", wie es in ihrem geliebten Jiddisch heißt. Um eine große Netzwerkerin, die Gesellschaften und Musikszenen zusammenbrachte. Andrea Pancur starb vor am 16. August 2023 völlig überraschend mit nur 54 Jahren in ihrer Heimatstadt München.

Sendung: "Leporello" am 23. August 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Donnerstag, 24.August, 18:49 Uhr

Michael Strassmann

Andrea Pancur

???? ???? ???? Andrea, ich bin sprachlos, ich fasse es nicht!

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