Schlicht, rund, samtig - so spielte er Klavier. In seinen späten Jahren war der Österreicher Alfred Brendel vor allem als Schriftsteller bei Lesungen zu erleben. Nun ist er im Alter von 94 Jahren in seinem Haus in London gestorben. Ein Nachruf.
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Unvergessen eine Szene im Münchner Gasteig: Das Publikum hustete penetrant während eines langsamen Satzes. Brendel brach ab, richtete mit tief zerfurchter Stirn den Blick auf den Übeltäter, sagte: "Musik lebt von Stille" – und fing noch mal an. Doch Alfred Brendel war alles andere als ein Hohepriester der Klassik. Nicht um weihevolle Stimmung ging es ihm, sondern um Konzentration auf die Musik. An den Klassikern Haydn, Mozart und Beethoven liebte Brendel nichts so sehr wie ihren Humor.
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Alfred Brendel war unbestreitbar einer der größten Pianisten der Jahrzehnte nach dem Krieg. Doch er war nie ein Virtuose im üblichen Sinn – und wollte es auch nicht sein. Technik war ihm immer nur Mittel zum Zweck. Schwierige Stellen beherrschte er nicht deshalb, weil er täglich Etüden durchgeackert hatte, sondern weil er mit aller Energie daran arbeitete, wie es hier, in diesem ganz besonderen Zusammenhang klingen muss. Neben die Wiener Klassiker hat er immer wieder auch schwierige Kost wie das Spätwerk von Franz Liszt oder das Klavierkonzert von Schönberg gestellt.
Der Philosoph am Flügel wurde er genannt, denn brillant war nicht nur Brendels Spiel, brillant waren auch seine Formulierungen. Als Konzertpianist hatte er sich 2008 von der Bühne zurückgezogen, mit Vorträgen und Lesungen füllte er noch lange danach die Säle. Doch sein Zugang zur Musik war keineswegs kopfgesteuert. Wer Musik macht, muss Charaktere darstellen, lautete sein Credo. Ein guter Interpret ist demnach eine Art Schauspieler in Tönen.
"Es gibt den Musiker, den Schriftsteller, den Dichter.
Den Lehrer, den Staatsbürger, den Anarchisten, den Skeptiker, den Dadaisten, den Vater, das Kind.
Den privaten Menschen, der, wie ich glaube, mit dem Künstler nur lose zusammenhängt.
Den fühlenden und intuitiven Brendel, und den denkenden, prüfenden und ordnenden Brendel.
Und das ist sicher noch nicht alles."
Am 5. Januar 1931 wurde Alfred Brendel in Wiesenberg, tschechisch Loucna, in Nordmähren geboren. Seine Kindheit verbrachte er überwiegend in Jugoslawien auf der Ferieninsel Krk, wo seine Eltern ein Hotel betrieben. Der kleine Alfred durfte den Plattenspieler für die Hotelgäste bedienen. Die Operettenmelodien hatte er sofort auswendig im Kopf. Klavierunterricht bekam er auch. Und dabei blieb es – trotz der Impulse, die Brendel durch seinen Lehrer Edwin Fischer bekam.
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2008 im Wiener Musikverein
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2008 bei der Verleihung des Herbert-von Karajan-Musikpreises
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2006 beim Lucerne Festival
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Alfred Brendel in den 80er Jahren
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1996 veröffentlicht Alfred Brendel sein Buch "Fingerzeig".
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Alfred Brendel um 2000
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2007 in Venedig
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Alfred Brendel 1969 am Klavier
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Alfred Brendel gibt einen Meisterkurs (um 1960)...
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... und spielt dabei auch selbst.
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Dietrich Fischer-Dieskau mit Alfred Brendel
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2008 im Wiener Musikverein
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2011 bei einer Lesung in Wiesbaden beim Rheingau Musik Festival
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1991 mit Claudio Abbado bei den 41. Berliner Festtagen
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2016 bei der Verleihung des Echo Klassik
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Als Teenager konnte sich Alfred Brendel lange nicht entscheiden, ob er Maler, Schriftsteller oder Komponist werden sollte. 1949 gewann er den Busoni-Wettbewerb, das gab seinem Leben die Richtung. Doch langsam ging's voran. Wenn man Brendels bedächtige Karriere mit dem heutigen Medien-Hype um junge Klassikstars vergleicht, wirkt er wie eine Figur aus einer anderen Welt. Doch auch als Guru ließ er sich nicht vermarkten – zu unspektakulär, zu klug und integer war sein Spiel.
1931 geboren in Wiesenberg
1937 erster Klavierunterricht
1943 Klavierstudium in Graz, später in Wien
1948 Studium von Orchesterleitung und Komposition in Graz
1948 erstes Recital als Pianist in Graz
1949 Preisträger beim Busoni-Wettbewerb in Bozen
1960 Salzburger Festspiele mit Wiener Philharmonikern
1970 Verlegung des Wohnsitzes nach London
1976 Veröffentlichung des ersten Buches
1978 Verleihung der ersten Ehrendoktorwürde (University London)
2004 Ernst von Siemens Musikpreis
2008 Herbert-von-Karajan-Musikpreis
2008 Beendigung der Pianistenkarriere
2009 Verleihung des "Praemium Imperiale" in Tokyo
Als Multitalent war Brendel gestartet. Seit den 1990er-Jahren gab er dem alten Hang zur Literatur wieder nach. Im Halbschlaf, sagte er, rumorte es im Kopf, und wenn er ihn schüttelte, purzelten Gedichte heraus, Skizzen über die Absurdität des Alltags. Eine Reihe von Lyrik-Bänden hat er veröffentlicht. Doch am besten wirkten seine skurrilen Texte, wenn er sie selber vorlas: Brendel, der Bühnenmensch.
Am Dienstag, 17. Juni 2025, ist Alfred Brendel im Alter von 94 Jahren in seinem Haus in London gestorben.
Autor des Artikels ist Bernhard Neuhoff.
BR-KLASSIK ändert aus diesem Anlass das Programm und widmet dem verstorbenen Pianisten die Sendungen "Klassik-Stars" am 18. Juni um 18:03 Uhr und "Feiertagsmatinee" am 19. Juni um 10:05 Uhr.
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