Gerade spielt Anne-Sophie Mutter in den Studios des Bayerischen Rundfunks Musik zeitgenössischer Komponisten ein. Im BR-KLASSIK-Interview verrät die Geigerin, warum jede neue Aufnahme für sie zum aufregenden Abenteuer wird – und manchmal auch zu einem Kampf.
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BR-KLASSIK: Sie nehmen hier beim Bayerischen Rundfunk derzeit Werke von Sebastian Currier, André Previn, Jörg Widmann und Aftab Darvishif auf – zusammen mit Ihnen sehr vertrauten Musikern: Maximilian Hornung, Daniel Müller-Schott, Roman Patkolo und Lambert Orkis. Wie sehen Sie die Bedeutung von Aufnahmen für die Interpretation und das Verständnis neuer Werke?
Anne-Sophie Mutter: Ich sehe es als riesiges Privileg, dass so viele Komponisten seit fast 40 Jahren für mich schreiben. Letzten Endes sind die Aufnahmen auch ein Geschenk an die nächste Generation. Darum ist es mir auch so wichtig, diese zeitgenössischen Werke einzuspielen. Denn was nicht als Aufnahme existiert, existiert auch nicht in den Köpfen der Studenten und des Publikums. Das ist eine Riesenchance für die zeitgenössische Musik. Es geht nicht nur um mich, sondern darum, mit meinen wunderbaren Kollegen eine Repräsentation der Werke zu finden.
Man kann jeden Tag etwas lernen.
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BR-KLASSIK: Geht es also darum, für diese jungen Werke den Anfang zu machen?
Anne-Sophie Mutter: Es ist der Versuch, möglichst viel von dem eigenen Wissen und den eigenen Emotionen rüberzubringen. Aber es ist uns Künstlern natürlich klar, dass die Werke so komplex sind, dass es uns nie gelingen wird, alle Aspekte abrufen zu können.
Geigerin Anne-Sophie Mutter spielt in den Studios des Bayerischen Rundfunks Musik zeitgenössischer Komponisten ein. | Bildquelle: © Monika Höfler
Bei Kammermusik, wie dem "Ghost Trio" von Sebastian Currier, ist es immer ein Dialog unter Freunden. Und dieser Dialog wird sich immer wieder neugestalten. Deshalb ist jede Aufnahme, mag sie noch so leidenschaftlich gespielt sein, so lebendig und mitreißend, nur ein Versuch, sich dem Werk anzunähern. Aber dieser Versuch ist sehr wichtig, weil ohne den Versuch der Appetit nicht geweckt wird. Die Partitur klingt nicht von sich aus. Darum ist es wahnsinnig wichtig, besonders für zeitgenössische Musik, dass sie ihre Entsprechung in einer Aufnahme findet. Eine Aufnahme, die einen hoffentlich umhaut.
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BR-KLASSIK: Gab es in Ihrer Karriere Werke, bei denen Sie sich schwergetan haben?
Anne-Sophie Mutter: Es gab ein Werk in meinem Leben, dem der Pianist Lambert Orkis und ich uns nicht annähern konnten – trotz leidenschaftlicher Hinwendung. Es war ein Stück für Klavier und Violine. Ich bat den Komponisten, dieses Werk umzuschreiben. Es hat dann leider zu einer zehnjährigen Funkstille zwischen uns geführt. Ich würde sagen, im Prinzip hat der Komponist immer recht. Es gibt aber auch Momente im Leben, die einen Interpreten vielleicht idealer für ein Werk machen als andere. Ich struggle beispielsweise immer noch mit dem Violinkonzert von Arnold Schönberg. Entscheidend ist im Leben glaube ich, dass man Freude am Lernen hat. Und dass man sich nicht davon abhalten lässt, dass man vieles nicht weiß. Man kann jeden Tag etwas lernen.
BR-KLASSIK: Wie ist das bei den aktuellen Stücken?
Anne-Sophie Mutter: Das "Ghost Trio" von Sebastian Currier ist zum Beispiel ein Werk, das mich rhythmisch immer wieder an die Grenzen bringt. Da gibt es Vierteltöne und ein komplexes Spiel der Klangfarben. Man darf nicht vergessen: Ich bin in meiner musikalischen Ausbildung nur so bis 1920 vorgedrungen. Und selbst die Konzerte von Alban Berg und Igor Strawinsky habe ich in meiner Zeit als Studentin in der Schweiz nicht studiert. Ich habe mit 16 Jahren mein Studium dort schon beendet. Den Stücken habe ich mich erst später, mit Anfang 20, genähert. Dann entdeckte ich auch meine Liebe zur zeitgenössischen Musik. Für mich ist es jedes Mal ein Sprung in Wasser, das nicht mal null Grad hat. Ein Big Struggle. Aber wie alles im Leben, das für einen schwierig ist, ist es umso schöner, wenn man dann auf dem Achttausender ankommt. Ich kann es nur empfehlen.
Für mich ist es jedes Mal ein Sprung ins Wasser.
Das aktuelle Projekt von Anne-Sophie Mutter in den Studios des Bayerischen Rundfunks ist eine Koproduktion mit BR-KLASSIK.
Die Aufnahmen werden voraussichtlich im Herbst 2025 veröffentlicht und auch auf BR-KLASSIK gesendet.
Anne-Sophie Mutter (Violine)
Maximilian Hornung (Violoncello)
Daniel Müller-Schott (Violoncello)
Roman Patkolo (Kontrabass)
Lambert Orkis (Klavier)
Programm:
Sebastian Currier: "Ghost Trio" für Klaviertrio
André Previn: Klaviertrio
André Previn: "The Fifth Season" für Violine und Klavier
Sebastian Currier: "Ringtone Variations"
Aftab Darvishi: "Likoo" für Violine solo
Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff.
Sendung: "Leporello" am 17. Juni 2025 ab 16:03 Uhr auf BR-KLASSIK
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