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Daniel Harding beim BRSO Mahlers eigenartige und intime Symphonie

Intim, kompliziert, verrückt – so könnte man die 7. Symphonie von Gustav Mahler beschreiben, die das BRSO gemeinsam mit Daniel Harding nun in der Isarphilharmonie und auf Tournee spielt. Daniel Harding hat dabei einen ganz eigenen Blick auf die Symphonie. BR-KLASSIK ist im Radio und im Videostream live dabei.

Daniel Harding | Bildquelle: Andrew Staples

Bildquelle: Andrew Staples

Diskussionen um das Finale Mahlers 7. Symphonie

BR-KLASSIK: Sie haben gerade eben das Finale aus Mahlers 7. Symphonie geprobt, da gibt es viele Diskussionen um den Satz. Ist er misslungen, wie Adorno meinte, ist es eigentlich ein fröhliches Stück? Oder ist es eigentlich nur durchgedreht?

Daniel Harding: Ich glaube, es ist ein fröhliches Stück – und es ist ein bisschen wahnsinnig. Es kippt manchmal so um. Mahler hatte einen unglaublich vielseitigen Charakter und er war so kompliziert als Mensch. Das spürt man in diesem Satz. Er ist manchmal, würde ich sagen, richtig fröhlich und manchmal tut er so, als ob er fröhlich wäre, oder versucht fröhlich zu sein. Wir bei aller großen Musik: Es bleibt niemals lange nur bei einer Sache, es sind viele Kontraste darin.

Mahlers 7. Symphonie bei BR-KLASSiK

19. Mai ab 20 Uhr live im Radio auf BR-KLASSIK 
22. Mai ab 20 Uhr als Videolivestream auf BR-KLASSIK

BR-KLASSIK: Wie dirigiert man sarkastische Musik?

Daniel Harding: Man macht das, was dasteht und man hört zu. Das ist das Wichtigste beim Musizieren. Wir haben sogar heute davon geredet: Manchmal hat man so viel Lust, ein Stück gut zu machen, aber am Anfang muss man, auch bei so einem Stück – das Orchester hat das seit ein paar Jahren nicht gespielt, aber natürlich kennt es jeder sehr gut – erst einmal ein bisschen zurücktreten und hören, was da ist und was der Musiker uns erzählt, was wir machen sollen. Und man darf nie vergessen, dass das Stück schon komponiert ist. Wir müssen es nicht komponieren, wir müssen es nur entstehen lassen.

Freiraum für Interpretation?

BR-KLASSIK: Mahler hat ja wahnsinnig viel hineingeschrieben. Er war selbst Dirigent, er wusste genau, wie ein Orchester funktioniert. Ist es so eine Musik, wo man sich eigentlich ein bisschen zurücknehmen muss und der Versuchung widerstehen muss, noch selbst einen draufzusetzen?

Daniel Harding: Es gibt viele verschiedene Arten, diese Musik zu spielen. Ich gehöre zur Schule von Claudio Abbado und für mein Empfinden tut eine gewisse Subtilität und Diskretion bei Mahler sehr gut. Das heißt überhaupt nicht weniger Engagement, aber man lässt den Inhalt die Geschichte erzählen und muss nicht noch allzu viel Sauce hinzufügen. Er schreibt ja, wie Sie sagen, alles rein. Ich glaube, er wollte sicher gehen, dass jeder in jedem Moment genau versteht, was er will – und manchmal wird das dann zu buchstabiert. Man sollte versuchen zu verstehen, was er verlangt, und das dann natürlich machen, aber man sollte den Bleistift im Konzert nicht hören.

Langsame oder flotte Tempi?

BR-KLASSIK: Bernstein hat langsame Sätze bei Mahler sehr langsam gemacht. Sie mögen schnelle Tempi, dass die Musik pulsiert, dass es vorangeht, oder?

Daniel Harding: Man versucht, in jedem Moment den richtigen Puls zu finden für den Inhalt der Musik. In diesem letzten Satz, da gibt es Sachen, die sind fast unspielbar schnell. Aber das gehört zu diesem wilden, manchmal zirkusartigen Charakter der Musik. Wenn es heftig gespielt wird, ist es unspielbar schnell und dann muss man eine gewisse Leichtigkeit finden, dass es so wild und flott klingt.

Ich war soooo fasziniert von den Schwierigkeiten in dem Stück... So etwas Doofes würde ich nicht mehr sagen.
Daniel Harding, Dirigent

BR-KLASSIK: Sie gehen damit ja auch auf Tournee und haben schon viele Mahler-Symphonien mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gemacht. Wird daraus ein Zyklus?

Daniel Harding: Ich dirigiere schon sehr viel Mahler. Das ist ein Komponist, der mich schon seit mehr als 30 Jahren fasziniert. Man lernt immer mehr und geht immer tiefer hinein, also will man immer wieder zurückkommen. Die siebte – und ich bin nicht der einzige, der das sagt – habe ich nicht so oft dirigiert wie viele andere Symphonien. Es ist ein kompliziertes Stück, man braucht mehr Zeit zum Proben. Es ist ein bisschen so ein Connaisseur-Stück. Ich hatte eine Zeit, da dachte ich, es wäre meine Lieblings-Mahler-Symphonie. Ich war soooo fasziniert von den Schwierigkeiten in dem Stück... So etwas Doofes würde ich nicht mehr sagen (lacht). Aber es ist ein ganz eigenartiges Stück. Und diese Intimität: Man hat fast den Eindruck, in der zweiten Nachtmusik im vierten Satz, in intimen Momenten zwischen Gustav Mahler und Alma dabei zu sein. Und das ist selten bei ihm, dass er so etwas zeigt. Diese Intimität und dieser Humor, – das hat vielleicht mit einer ganz privaten Beziehung zu tun – das finde ich sehr berührend.

Klicktipp

Als Dirigent wird er umjubelt, als Opernregisseur bewundert und angefeindet, als Komponist bleibt er unverstanden: In seiner zehnteiligen Hörbiographie erzählt Jörg Handstein Gustav Mahlers Leben vor dem Hintergrund einer spannungsreichen Epoche, farbig und vielstimmig, faktentreu und nah an den Quellen.

Keine Naturklänge, aber dennoch Natur

BR-KLASSIK: Es steckt aber auch ganz viel Natur da drin. Mahler war ja selbst immer in den Bergen. Der erste Satz ist vielleicht eine Wanderung, dann gibt es diese Kuhglocken, diese alpinen Szenen. Wie sehr muss man das vielleicht auch aus dem Naturerleben heraus gestalten?

Daniel Harding: Es sind nicht richtig Naturklänge. Er schreibt die Musik, wie wir die Natur erleben – und das ist schon etwas anderes. Sogar die Kuhglocken sind nicht die Kühe. Es ist immer so: Mahler schreibt in seinen Symphonien, das, was er in seinem Leben hört und er bringt die Klänge von der Straße und die Klänge vom Wald und die Klänge von der Wiese in die Symphonie. Er beschreibt seine Art, die Welt zu erleben.

Eine Nachtsymphonie

BR-KLASSIK: Diese Nachtmusiken sind ja auch ungewöhnlich, dass er zwei Sätzen in einer Symphonie den Titel "Nachtmusik" gibt. Nachts, wenn man nicht so viel sieht, hört man vielleicht besser. Oder vielmehr: Der Mensch konzentriert sich mehr auf das, was er hört, weil der andere Sinn nicht so viel Nahrung bekommt.

Daniel Harding: Es gibt eigentlich vier Nachtmusik-Sätze in der Symphonie, nur der letzte Satz hat irgendwie mit Tag zu tun. Das ist für mich ganz eindeutig. Auch der Anfang der Symphonie spielt in der Nacht und ist dadurch so stimmungsvoll. Und dann dieses Tenorhornsolo – das klingt so wie ein verletztes Tier. Es ist eine geheimnisvolle Symphonie. Da tanzen diese Gespenster im Scherzo und dann ein so ungewöhnliches, positives und humorvolles Finale. Das findet man nirgendwo sonst in seinen Symphonien.

BR-KLASSIK: Ein richtiges Happy End? Es gibt ja ganz zum Schluss noch einmal so eine komische Ausweichung in eine total falsche Tonart und so einen komischen Triller. Da fragt man sich: Ist das wieder die Narrenkappe?

Daniel Harding: Es kommen vor dem Schluss auch viele Figuren aus dem ersten Satz und man denkt: 'Oh Gott, das wird jetzt alles schiefgehen' – und dann findet er wieder die Sonne. Ich glaube, am Schluss im vorletzten Takt ist das Fragezeichnen noch da, aber dieser letzte Takt ist mehr mit Humor gedacht. Er steht ein bisschen weit weg von sich selbst und sagt: Ich bin so ein Mensch, aber es ist doch alles gut am Ende. Nach der tragischen sechsten Symphonie war das sicher nötig.

Sendung: "Leporello" am 19. Mai 2023 ab 16:15 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Freitag, 19.Mai, 17:18 Uhr

Beate Schwärzler

Daniel Harding mit Gustav Mahler

Nach d i e s e m Interview zittere ich dem Abend und der Live-Überragung im Radio entgegen.
Und wenn ich nicht Alles verstehe - dann höre ich am Montag in Leipzig noch einmal zu.
Von Ferne, nur von Ferne leider. Wäre gerne live dabei gewesen.

Aber: S i e zwei können einen schon neugierig machen und in Spannung versetzen,
sehr geehrter Herr Neuhoff.

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