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Daniel Hope über Menahem Pressler "Anders als alles, was ich bisher erlebt habe"

"Ich bin heilfroh, dass Menahem Pressler diese Zeit gerade nicht mehr mitbekommt." Das sagt Geiger Daniel Hope über seinen Freund und Mentor, mit dem er im legendären Beaux Arts Trio spielte. Am 16. Dezember wäre Menahem Pressler 100 Jahre alt geworden.

Der Preisträger in der Kategorie "Würdigung des Lebenswerkes", Menahem Pressler (r), und der Violinist Daniel Hope posieren am 18.10.2015 in Berlin | Bildquelle: Clemens Bilan/dpa

Bildquelle: Clemens Bilan/dpa

BR-KLASSIK: Daniel Hope, Sie sind 2002 als Geiger Mitglied im Beaux Arts Trio geworden. Da war Menahem Pressler knapp 80 Jahre alt. Sie waren knapp 30. Wie hat der Pianist damals auf Sie gewirkt?

Daniel Hope: Er war ein besonders freundlicher, offener, sehr großzügiger Kollege. Ein Freund, ein älterer Herr, der aber ganz genau wusste, was er wollte. Er war besessen von der Musik, er war sehr offen für neue Entdeckungen und neue Farben. Aber wir haben natürlich die Stücke gespielt, die er ein ganzes Leben lang beherrscht hat, sei es die Trios von Schubert, von Beethoven, von Haydn, und er brachte eine ungeheure Erfahrung mit sich.

Die erste Begegnung war deshalb eine freundliche und offene. Aber als wir angefangen haben, das Trio zu spielen, kam innerhalb von Sekunden fast ein Bombardement von Vorschlägen, von Ideen, von Verbesserungen. Und das war am Anfang nicht ganz einfach. Man darf nicht vergessen, ich war sehr jung, und er war sehr erfahren, und man musste erst mal mit der Tatsache klarkommen, dass man neben Menahem Pressler sitzt und mit ihm spielt. Aber das, was kam, war so inspirierend und so anders, als ich es bisher gelebt habe, dass ich einfach meine Ohren ganz weit aufgemacht habe und versucht habe, alles wiederzugeben.

BR-KLASSIK feiert Menahem Pressler

Sendungen:

13. Dezember, 20:05 Uhr: Konzertabend mit Menahem Pressler
16. Dezember, 11:05 Uhr: Meine Musik mit Menahem Pressler
16. Dezember, 15:05 Uhr: Sonderprogramm
19. Dezember, 00:00 Uhr im BR Fernsehen: "Der Pianist Menahem Pressler: Das Leben, das ich liebe"

Im Beaux Arts Trio: Menahem Pressler regiert von hinten

BR-KLASSIK: Herr Hope, was haben Sie noch mitgenommen, was prägt Sie bis heute?

Daniel Hope: Wenn jemand diese Stücke kennt wie er, dann weiß er jede Eventualität abzuschätzen. Er weiß, in welchem Tempo man Sachen spielen kann, darf, nicht darf. Vor allem hat er mir aber beigebracht, wie die Verteilung der Stimmen innerhalb eines Klaviertrios zu verstehen ist. Wer hat die erste Stimme? Wer hat die Nebenstimme? Man hat beim Klaviertrio den ziemlich sonderbaren Usus, dass das Klavier alles beherrscht, klanglich sowie auch von der Struktur. Die beiden Streicher, Violine und Violoncello, bilden eine Art Team zusammen. Und der Clou im Klaviertrio ist, wie diese drei Stimmen koexistieren. Menahem hat sich als Primus inter Pares verstanden. Also er hat von dahinten regiert, von dem Flügel, von dem größten Instrument. Aber er hat immer zugelassen, dass man seine Stimme findet. Und wenn du ganz jung bist und du hast wunderbare Musik, dann spielst du mit voller Leidenschaft und du denkst nicht so oft drüber nach, sondern du spielst einfach. Und er hat mir beigebracht, einen Moment innezuhalten, die Struktur zu erkennen, um mich dann einzupassen. Aber ohne diese Intensität und diese Leidenschaft zu verlieren. Und das war eine Learning Curve. Man musste wirklich lernen, das zu verstehen und einzusetzen. Aber als ich gemerkt habe, wie große Freude es mir gemacht hat und je mehr ich mich in der Materie vertieft hatte, gerade die Beethoven-Trios zum Beispiel, dann lernt man Beethoven von einer ganz anderen Seite kennen. Und man hatte am Ende das Gefühl, quasi eine Unterhaltung mit diesen Komponisten zu führen.

BR-KLASSIK: Menahem Pressler war also die Seele des Beaux Arts Trios. Er hat 53 Jahre als Pianist dieses Ensemble geführt. Sie sagten auch "regiert". Wie kam es überhaupt, dass Sie Mitglied wurden? Sie waren ja einer der jüngsten Geiger überhaupt, die das Trio aufgenommen hatte.

"Beaux Arts Trio": Antonio Meneses, Menahem Pressler, Daniel Hope | Bildquelle: © Marco Borggreve Das Beaux Arts Trio. | Bildquelle: © Marco Borggreve Daniel Hope: Also, ich war bei weitem der jüngste Spieler, und das kam alles durch einen ziemlichen Zufall. Mein Vorgänger Yung Uck Kim ist plötzlich erkrankt und das Trio stand damals, im Jahr 2002, vor einer großen Europatournee. Und fünf oder sechs Tage davor ist Yung Uck Kim ausgefallen. Menahem Pressler hat dann gesagt, gut, dann werden wir einfach das Trio beenden. Wir haben jetzt lange genug gespielt, wir finden niemanden, der in der Kürze der Zeit, nicht nur einspringen kann, sondern dem Namen des Beaux Arts Trio würdig ist. Das ist das berühmteste oder eines der berühmtesten Ensembles der Geschichte. Und Menahem Pressler war nicht bereit, zu riskieren, dass das Trio in den großen Konzertsälen in Europa halbherzige Auftritte spielt. Er hatte dann im Prinzip diese Tournee und damit auch das Leben des Trios beendet. Und erzählte es seiner Agentin, die diese Entscheidung verstanden hat. Sie schlug aber trotzdem einen jungen Geiger vor, von dem sie glaubte, er könne es schaffen. Und Menahem Pressler sagte, das sei unmöglich. Niemand könne das schaffen innerhalb so kurzer Zeit. Und außerdem, wenn er jung ist, dann hat er keine Erfahrung. Und sie sagte ja, das mag ja sein, aber willst Du es nicht mal probieren? Und da der Menahem Pressler sehr, sehr viel von Frau Adler gehalten hat, sagte er, gut dann lass ihn unseren Cellisten Antonio Meneses treffen. Die sollen erst mal sehen, ob die beiden überhaupt miteinander klarkommen. Und dann entscheide ich, ob ich das mache.

Am Anfang war Pressler von Daniel Hope nicht überzeugt

BR-KLASSIK: Wie war diese erste Begegnung mit Antonio Meneses für Sie?

Daniel Hope: Ich bin dann zu Antonio Meneses nach Basel gefahren. Wir haben uns zwei Tage lang hingesetzt und alles durchgespielt. Er ist ein wunderbarer Mensch und Musiker. Und ich habe sofort ein Gefühl gehabt, dass wir irgendwie musikalisch auf einer Wellenlänge sind. Und daraufhin hat er Menahem angerufen, hat gesagt ich glaube, der schafft es. Aber Menahem Pressler war immer noch nicht überzeugt. Er sagte gut, dann soll er nach Lissabon kommen und das erste Konzert fand dann in der Gulbenkian Stiftung in Lissabon statt, der wichtigste Konzertsaal in Lissabon. Wir haben uns zwei Tage vor dem ersten Konzert getroffen und hatten eine Unmenge von Repertoire, die wir vorbereiten mussten für 14, 15 Konzerte. Und irgendwie habe ich es tatsächlich geschafft, diese Tournee zu absolvieren und als die Tournee vorbei war und klar wurde, dass Yung Uck Kim nicht zurückkommen konnte, weil seine Verletzung so gravierend war, sagte Menahem Pressler zu mir: "Willst du nicht ein bisschen länger bleiben? Wir haben eine Amerika-Tournee. Die geht drei Wochen und wir haben 20 Konzerte und die sind im nächsten Monat." Und ich habe gesagt, gut, dann mache ich diese Tournee auch. Und siebeneinhalb Jahre und 400 Konzerte später war ich immer noch im Beaux Arts Trio.

Die deutsche Staatsbürgerschaft hat Menahem Pressler sehr viel bedeutet.
Daniel Hope

BR-KLASSIK: Ganze sechs Jahre haben Sie in diesem Trio gespielt. Und in diese Zeit ist auch etwas gefallen, was Sie vermutlich auch persönlich mit Menahem Pressler sehr verbindet. Sie haben sich dafür stark gemacht, dass er in Deutschland wieder eine Einbürgerung erhalten hat. Was hat denn dieser Schritt Menahem Pressler bedeutet?

Menahem Pressler bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes in Magdeburg am 18. November 2005. | Bildquelle: picture-alliance/ dpa/dpaweb | Peter_Foerster Menahem Pressler bekommt 2005 das Bundesverdienstkreuz in Magdeburg verliehen. | Bildquelle: picture-alliance/ dpa/dpaweb | Peter_Foerster Daniel Hope: Das hat ihm sehr viel bedeutet. Er rief mich an, das war aber tatsächlich schon nach dem Ende des Beaux Arts Trios, und sagte: "Ich will die deutsche Staatsbürgerschaft wieder haben. Sie wurde uns weggenommen, und ich möchte sie wieder haben. Und ich möchte Dich bitten, mir zu helfen." Und das ist für einen über 80-Jährigen, der viele von seiner Familie in der Shoah verloren hat und der fliehen musste, schon eine unglaubliche Aussage, dass er sich auf diese Art und Weise versöhnen wollte. Für mich war das natürlich ganz selbstverständlich, dass ich ihm helfe. Ich habe dann in einem langen, langen Prozess begonnen, mit der deutschen Bürokratie, man muss sagen, zu kämpfen. Es war nicht einfach. Erstaunlicherweise. Dieses Gesuch wurde beim ersten Mal sogar abgelehnt, aus verschiedenen Gründen. Aber wir hatten auch viele Menschen im Hintergrund, die viel geholfen haben. Und eines Tages bekam ich einen Anruf, wo es sich um 180 Grad gedreht hatte und plötzlich hieß es, ja, es ist möglich. Und dann habe ich und viele andere wirklich alles in Bewegung gesetzt, damit das schnell klappt und schnell passiert. Und dann gab es eine Einbürgerung in Berlin, wo ihm dann der deutsche Pass übergeben wurde. Das war für ihn und für uns alle ein sehr bewegender Moment.

BR-KLASSIK: Und sicherlich hat es auch Ihre Beziehung auch abseits der Musik noch mal sehr vertieft. Hat er Ihnen denn auch erzählt, warum es ihm so wichtig war, dass er noch einmal hier in Deutschland als Staatsbürger Fuß fassen konnte?

Daniel Hope: Das hat er eigentlich schon zu der Zeit als wir noch im Trio waren erzählt. Egal wo wir waren auf der Welt, in Asien oder in Amerika, er blieb ein Deutscher. Blieb jemand aus Magdeburg. Und ob das die deutsche Sprache war, ob es die deutsche Küche war, die ihm immer große Freude bereitet hat, er sagte, ich kann mich davon seelisch nicht trennen. Ich bin nach wie vor Deutscher, und das ist meine Heimat. Da komme ich her. Israel war für ihn inzwischen seine Heimat und seine spirituelle Heimat, auf jeden Fall. Aber er sagte: Deutschland ist da, wo ich herkomme, und ich möchte dazugehören.

Ich bin heilfroh, dass Menahem Pressler diese Zeit gerade nicht mehr mitbekommt.
Daniel Hope

BR-KLASSIK: Die tragischen Entwicklungen in Israel hat Menahem Pressler nicht mehr mitbekommen. Er ist in diesem Mai verstorben. Der Terror der Hamas Anfang Oktober in Israel, jetzt der Krieg im Gazastreifen und bei uns in Deutschland mehr und mehr Zeichen für wachsenden Antisemitismus. Herr Hope, was stellen Sie sich vor, hätte Menahem Pressler dazugesagt?

Daniel Hope: Er wäre entsetzt gewesen. Und so sehr wir ihn natürlich alle vermissen, ich bin heilfroh, dass er diese Zeit nicht mitbekommen hat, weil es hätte ihn total fertig gemacht. Und er wäre auch laut gewesen, er hätte seine Stimme laut erhoben. Gerade wenn es um die Bedrohung von Jüdinnen und Juden in Deutschland geht, wäre er der erste, der ganz laut dagegen protestiert und gesprochen hätte. Aber es hätte ihn auch das Herz gebrochen, die Bilder zu sehen, sei es die Bilder in Israel oder die Bilder in Palästina, den Tod und die Verwüstung in der Welt. Er hätte ihn sehr, sehr traurig und wütend gemacht.

BR-KLASSIK: Daniel Hope, Sie sind überall unterwegs, Sie konzertieren international. Sie sind aber mittlerweile in Berlin zu Hause. Wie wird in Ihrem Umfeld über die momentane politische Situation im Nahen Osten diskutiert, unter Künstlerinnen und Künstlern?

Daniel Hope: Ich nehme wahr, dass die ganze Welt beunruhigt ist und dass es auch keine Überraschung eigentlich. Es ist eine beunruhigende Zeit und ich denke, dass die Musik nach wie vor eine unglaubliche Macht hat. Die Musik wird keinesfalls einen Krieg stoppen können. Es wird auch das Töten nicht verhindern können. Aber wir wissen, dass die Musik die Menschen erreichen kann. Ich glaube das. Unsere Hoffnung im Moment ist, dass man Menschen erreichen kann, am liebsten mit einem Dialog, vielleicht mit Musik. Wenn wir das scheitern lassen, dann gibt es nur noch Krieg und Tod, und ich liebe das Leben und die Menschheit zu sehr, um zu glauben, dass das unser einziger Ausweg ist aus dieser Sache. Und es gibt im Moment einige Künstler, und ich zähle zum Beispiel meinen Freund Igor Levit dazu, der viel dafür macht, um zu zeigen, dass wir eine Haltung haben müssen.

Wir müssen eine Haltung zeigen, und ich denke, dass die gespaltene Gesellschaft, die es in der Welt gibt, dass diese Kluft zwischen der einen Seite und der anderen Seite größer und größer wird. Als Musiker ist meine natürliche Sprache die Musik. Und deshalb werde ich persönlich immer versuchen, die friedliche Botschaft über die Musik einzufangen und zu streuen. Das ist letztendlich das einzige, was ich als Musiker in einer solch schwierigen und schrecklichen Zeit tun kann.

BR-KLASSIK: Was werden Sie am 100. Geburtstag von Menahem Pressler machen?

Daniel Hope: Am 16. Dezember werde ich in San Francisco sein und werde ein Konzert an dem Tag mit meinem amerikanischen Orchester, dem New Century Chamber Orchestra, geben. Und wir werden Menahem auf jeden Fall ein Musikwerk widmen. San Francisco war für ihn auch eine sehr wichtige Lebensstation. Dort hat er Ende der 1940er Jahre den Debussy-Wettbewerb gewonnen. Von dort startete seine internationale Karriere. Und er spielte auch schon mit diesem Orchester. Wir haben ihn begleitet mit einem Klavierkonzert von Mozarts vor einigen Jahren. Es ist ein unvergesslicher Moment, und wir werden ihn zelebrieren, selbstverständlich und hoffen, dass er irgendwo zuhört.

Sendung: "Leporello" am 13. Dezember ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Donnerstag, 14.Dezember, 09:51 Uhr

Beate Schwärzler

Daniel Hope erzählt Menahem Pressler

Danke, lieber Daniel Hope, für ihre guten Worte.
Die nächsten Tage werde ich ... i h m zuhören.
S e i n e m und I h r e m Spiel zum Frieden.

Dienstag, 12.Dezember, 18:40 Uhr

Anna Röcker

Menahem Pressler

Vielen Dank für die Würdigung dieses großen Musikers! Gerade jetzt ist es besonders wichtig, dem zunehmenden Antisemitismus etwas entgegen zu setzen. Danke

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