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Derek Welton bei den Bayreuther Festspielen Traumrolle im Parsifal

Es ist eine Premiere für Derek Welton: Zum ersten Mal singt der Bariton im Parsifal den Amfortas. Eine Traumrolle, wie er betont. Die Intensität und Komplexität des Charakters fasziniert den Sänger. Amfortas sei zutiefst menschlich, so Welton im BR-KLASSIK-Interview.

Derek Welton als Amfortas Parsifal 3. Aufzug  | Bildquelle: BR/Enrico Nawrath

Bildquelle: BR/Enrico Nawrath

BR-KLASSIK: Derek Welton, Sie haben seit 2017 viermal in der Oper "Parsifal" in Bayreuth die Partie des Klingsor gesungen, jetzt übernehmen Sie den Amfortas. Die beiden Figuren sind ja Gegenspieler, stehen in einer Art Täter-Opfer-Verhältnis,  Klingsor schlägt mit dem Speer die Wunde, die dann bei Amfortas nicht verheilt. Warum, Herr Welton, machen Sie diesen Rollenwechsel?

Derek Welton: Also, ich muss gestehen, dass Amfortas immer eine meiner Traumrollen war. Auch wenn ich enorm Spaß habe, wenn ich Klingsor spiele, war Amfortas immer das Ziel, und ich glaube, dass das besser zu meiner Stimme passt. Aber ich habe erst vor ein oder zwei Jahren gefühlt, dass ich bereit für die Rolle war. Amfortas ist viel lyrischer. Obwohl  Klingsor normalerweise als Charakterrolle betrachtet wird, ist es meiner Meinung nach doch durchaus möglich, beide zu singen. Und ich bin auch nicht der erste, der das gemacht hat, sogar in Bayreuth: Donald McIntyre hat mit Klingsor angefangen und hat dann später den Amfortas gesungen.

So war die Parsifal-Premiere

Eine Kritik lesen Sie hier hier.

BR-KLASSIK: Und was macht die Partie des Amfortas mit Ihrer Stimme, wohin bringt Sie die Komposition von Wagner, wenn Sie sagen, er ist irgendwie eher lyrischer angelegt, was kitzelt diese Partie bei Ihnen ihn hervor?

Derek Welton: Ja, diese Begriffe sind natürlich immer schwierig. Im Fach des Gesangs bezeichnet "lyrisch" ganz oft die weicheren Stimmen, die leiseren Stimmen sozusagen. Ich meine das in der Phrasierung. Klingsor ist böse, man hört das in der Entwicklung der Komposition: Er singt viel kurz und böse, und die Phrasen sind eher kurz. Er singt leise und natürlich ist er sehr schwach, obwohl er dann später stärker wird, da singt er diese schönen, langen Phrasen, da muss natürlich auch eine Stärke in der Stimme haben. Also für mich ist es eigentlich ein Genuss, das zu singen. Er hat teilweise die schönste Musik der ganzen Oper!

Mensch und Opfer - Zur Person des Amfortas

BR-KLASSIK: Die Rolle, die Amfortas ist vielleicht nicht die schönste Rolle. Er ist nämlich der ewig Leidende, der eben mit dieser Wunde zu tun hat, die nicht heilen wird und der ja irgendwie sich auch den Fehltritt der Begegnung mit Kundry, glaube ich, nie so ganz verzeihen wird, weil er ja eigentlich ein keuscher Gralsritter sein soll. Wie sehen Sie ihn denn, Herr Weltonr, den Amfortas? Was sind seine Stärken?

Die Handlung des Parsifal

Eine kurze Inhaltsangabe finden Sie hier.

Parsifal - Bayreuther Festspiele 2023 | Bildquelle: © Enrico Nawrath Elīna Garanča als Kundry | Bildquelle: © Enrico Nawrath Derek Welton: Ja, das ist ein komplexer Charakter. Natürlich beschwert er sich sehr viel, das hören wir. Aber er drückt das auch sehr eloquent aus. Er ist einfach ein Opfer. Ich glaube, man kann es nicht anders sehen. Er wurde schwer verletzt, man hört, dass seine Wunde ihm unglaublich wehtut, und er möchte nur sterben. Aber das kann er nicht. Ich finde seine Strafe ist unangemessen, das ist unfair, denn er ist nicht der einzige, der Kundry verfällt. (Die Rolle der Kundry übernahm als Einspringerin Elīna Garanča - Anm. d. Redaktion). Aber er ist derjenige, der trotzdem jedes Mal das Amt erfüllen muss. Vielleicht ist der Charakter nicht unbedingt schön, aber das hat eine wunderbare Intensität und eine Komplexität, das macht mir sehr viel Spaß.

BR-KLASSIK: Und würden Sie auch sagen, er ist der menschlichste Typ von allen in dieser Oper, von diesen Herren?

Derek Welton: Das ist eine schwierige Frage. Parsifal ist auch menschlich. Amfortas ist menschlich. Er verfällt einer der schönsten Frauen der Welt, das kann man verstehen. Er ist ein stolzer Mann, das wissen wir auch - wegen seines Stolzes dachte er, dass er sich gegen sie hätte wehren können. Aber das konnte er nicht. Ja, ich finde, er ist menschlich

Wagners Texte - Fremdsprache auch für Muttersprachler

BR-KLASSIK: Wagners Verse sind die an einem ganz speziellen Deutsch geschrieben. Sie sind Australier, Sie nähern sich also von außen sprachlich erstmal diesen Texten, und ich finde, auch inhaltlich sind Sie ja auch wie aus einer anderen Welt. Wie geht man damit als Sänger von heute um? Was können Sie inhaltlich diesen Versen abgewinnen?

Derek Welton:  Ich bin Australier, aber mittlerweile eingebürgerter Deutscher. Ich habe in Australien Deutsch und Sprachwissenschaft studiert, das war mein erstes Studium, bevor ich Gesang studiert habe. Ich finde, das hilft mir immer noch sehr: Wenn man die Struktur der Sätze aufgliedern kann, kann man sicherstellen, dass man das völlig versteht und deswegen natürlich auch mitteilen. Es ist einfach eine Aufgabe des Sängers, Texte in Fremdsprachen zu beherrschen. Und ich finde, die Texte von Wagner sind auch für deutsche Muttersprachler fast eine Fremdsprache.

BR-KLASSIK: Sie sind sehr krude, auch vom Inhalt her!

Derek Welton: Was cool ist, und was schön ist - diese Schreibweise ist so dicht, Wagner hat so viel Information pro Satz eingebaut, dass die Texte auch sehr bildhaft sind. Das kann man als Schauspieler oder Darsteller nutzen.

Wagner und Bach - für Derek Welton "Komponistengötter""

BR-KLASSIK: Ihnen sind ja viele Wagner-Partien vertraut. Wotan, Wanderer, König, Marke, Klingsor haben Sie auch schon erwähnt. Was fasziniert Sie generell als Sänger an der Art, wie Wagner komponiert hat, an seinem Opernschaffen? Und was bietet er Ihnen als Sänger?

Derek Welton: Ich finde nicht nur ist die Musik wahnsinnig schön. Also für mich sind Wagner und Bach wirklich die Götter der Komponisten! Aber was mich vor allem an diesen Opern fasziniert, ist diese Untrennbarkeit zwischen Text und Musik. Wagner setzt Texte so klug, die Rhythmen drücken so präzise aus, was man sagt, und die Musik ist auch so bildhaft, dass man fast allein von den Melodien und Harmonien hören kann, was stattfindet oder wie sich die Charaktere fühlen. Ich finde, als Zuschauer ist das ein fast überirdisches Erlebnis. Und es ist natürlich auch für uns so.

Musikalisch verbunden mit Dirigent Heras-Casado

BR-KLASSIK: Am Grünen Hügel gibt mit dem Parsifal der Dirigent Pablo Heras-Casado sein Debüt, ein Neuling im Festspielhaus. Sie haben es jetzt schon ein paar Jahre erkunden und erobern können das Festspielhaus mit seiner ganz besonderen Akustik. Welche Art von Unterstützung brauchen Sie auf der Bühne vom Dirigenten und welche bekommen Sie von Pablo Heras-Casado?

Derek Welton: Ich finde es immer am schönsten, wenn das Dirigat eigentlich eine Zusammenarbeit ist. Ich versuche, meine Partien immer möglichst genau zu lernen, damit ich idealerweise ohne Unterstützung zum Beispiel meine Einsätze finden kann. Und dann kann man mit dem Dirigenten einfach nur auf die Details achten. Das ermöglicht viel Flexibilität. Und mit Pablo habe ich das Gefühl, dass diese Musik immer live ist. Wir reagieren die ganze Zeit aufeinander. Es gibt immer eine nahe Verbindung zwischen der Bühne und dem Orchestergraben.

BR-KLASSIK: …Sie können sich ein bisschen in der Freiheit auch befruchten und gegenseitig inspirieren…

Derek Welton: Genau. Für mich ist das das Besondere bei Live-Aufführungen: So wie heute war die Musik noch nie und wird so nie wieder sein, das ist wirklich enorm spannend. Ich glaube, nicht nur für uns auch für das Publikum, dass die was Einmaliges und Einzigartiges erleben.

Gemeinsames Entwickeln der Rolle mit Regisseur Jay Scheib

BR-KLASSIK: Die Inszenierung des Parsifal liegt in den Händen von Jay Scheib, dem Regisseur, und er bietet eine zweite optische Ebene, die man nur mit einer Augmented-Reality-Brille sehen kann. 330 davon stehen zur Verfügung, zu wenige für alle Menschen im Festspielhaus. Wie verlief denn für Sie die Zusammenarbeit, abseits dieser digitalen Erweiterungen? Wie haben Sie gemeinsam die Rolle des Amfortas entwickelt?

der Parsifal-Premiere 2023 Bayreuther Festspiele | Bildquelle: Bayreuther Festspiele/Joshua Higgason Bildquelle: Bayreuther Festspiele/Joshua Higgason Derek Welton: Wie Sie gesagt haben - das war wirklich eine gemeinsame Entwicklung. Ich finde das sehr schön, Jay war das ganz wichtig. Obwohl die Inszenierung offensichtlich modern ist - das wissen wir wegen der AR-Brillen - zum Beispiel die Geschichte der Oper zu erzählen und uns mit den wichtigen Themen zu befassen. Das wurde uns nicht nur auferlegt, wir haben das wirklich zusammen entwickelt, haben uns Fragen gestellt. Wie ist die Beziehung zwischen Amfortas und seinem Vater zum Beispiel, was passiert Amfortas, nachdem er geheilt wird. Das war wirklich schön, weil wir den Eindruck hatten, dass wir hier wirklich kreieren, also zusammen. Und ich finde, Jay hat ein wirklich schönes Auge für Ästhetik und ist auch mutig genug, die Stille in Parsifal zu finden. Ich finde es wirklich schön, auch ohne die Brillen, die Inszenierung wirklich wahnsinnig schön.

Regisseur Jay Scheib

Ein Video-Interview über Scheibs Parsifal-Inszenierung sehen Sie hier.

Umbesetzungen sind in Bayreuth kein Problem

BR-KLASSIK: Bayreuth ist ja für viele Mitwirkende eine Art Wagner-Mekka mit ganz besonderem Flair. Dieses Jahr gab es im Vorfeld ein paar Unruhen und Umbesetzungen. Inwieweit hat Sie das in den Proben beschäftigt?

Derek Welton: Ich würde sagen wenig. Jeder, der in diesem Beruf arbeitet, ist an Umbesetzungen gewöhnt. Ich war fünf Jahre im Ensemble der Deutschen Oper Berlin, und solche Umbesetzung kommen im Repertoire häufig vor, das ist für uns leider Alltag. Und so war es auch hier. Man empfindet immer großes Mitleid mit Kollegen, die sich monatelang vorbereitet haben und dann absagen müssen. Besonders hart ist das bei Neuinszenierungen. Aber hier haben wir natürlich den Luxus, dass es auf diesem Hügel gleichzeitig immer - sagen wir mindestens drei - top-erfahrene Sänger für jede Partie gibt. Also, letzten Endes haben wir wirklich ein sehr gutes und sehr erprobtes Team!

BR-KLASSIK: Herr Welton, wenn Sie die Gelegenheit hätten, mit Ihren Charakter, den Sie darstellen, dem Amfortas, ein Bier trinken zu gehen, hier in Bayreuth, worüber würden Sie sich gerne mal mit ihm unterhalten?

Derek Welton: (lacht) Ja, interessant. Ich würde sehr gerne verstehen, wie man so leben kann, dass er nicht sterben darf und so viele Schmerzen hat. Also, wie man den Tag verbringen kann, wenn man so leidet. Alle können davon lernen! Mein Großvater ist vor 30 Jahren an Krebs gestorben, das dauerte mehrere Jahre. Ich war damals zu jung, zu verstehen, wie das für ihn war, ich war acht Jahre alt oder so. Aber ich würde wirklich gerne verstehen, wie jemand so was macht und trotzdem lebt und verstehen, wie schwierig das ist.

BR-KLASSIK: Derek Welton, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Derek Welton: Sehr gerne, vielen Dank.

Sendung: Live aus dem Festspielhaus - ARD Radiofestival, 25. Juli 2023 ab 15:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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