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Komponistinnen im Fokus Esther Abramis neues Album "WOMEN"

Esther Abramis neues Album "WOMEN" ist ausschließlich Komponistinnen gewidmet. Die Geigerin macht nicht nur Musik dieser Frauen hörbar, sondern erzählt auch ihre Geschichten – voller Mut, Schmerz und künstlerischer Kraft.

Esther Abrami | Bildquelle: Esther Abrami

Bildquelle: Esther Abrami

"Schon wieder ein Album über Frauen?“ Oft hat Esther Abrami diesen Kommentar gehört. Für die Geigerin ist das Symptom eines viel tiefer liegenden Problems. "Wissen Sie, wie viele Alben über Mozart veröffentlicht wurden? Und das stellt niemand infrage." Mit ihrem Album „WOMEN“ macht Esther Abrami nicht nur die Musik von Komponistinnen hörbar, sondern erzählt auch deren Geschichten – voller Mut, Schmerz und künstlerischer Kraft. "Ich hoffe, dass ich in zehn Jahren kein Album mehr veröffentlichen muss, das WOMEN heißt", sagt sie. "Aber wir sind aktuell noch lange nicht so weit."

Esther Abrami: Frühe Leidenschaft für die Geige

Bereits im Alter von drei Jahren bekam die Französin von ihrer Großmutter die erste Geige geschenkt. Mit 14 zog sie allein nach Manchester, ging an die Chetham's School of Music - ohne Englischkenntnisse, aber mit dem festen Ziel, professionelle Geigerin zu werden. Rückschläge und Kritik stärkten sie - bis heute: "Komischerweise sind es im Nachhinein oft die negativen Erfahrungen, die mich am meisten geprägt haben. Kritik, mit der ich anfangs nur schwer umgehen konnte, die mir aber später geholfen hat, mich stärker zu fühlen, selbstsicherer zu werden. Selbstbewusst zu sein, besonders als junge Frau“, erzählt sie im Gespräch mit BR-KLASSIK. Und schon bald folgten die ersten Auftritte, die sie in ganz Europa bekannt machten.

Neues Album "WOMEN" erzählt von Komponistinnen

Esther Abrami im Aufnahmestudio. | Bildquelle: Esther Abrami Esther Abrami im Aufnahmestudio für ihr Album "WOMEN". | Bildquelle: Esther Abrami Drei Jahre lang tauchte Abrami tief in die Welt vergessener Komponistinnen ein. Sie hörte hunderte von Melodien, bis sie die fand, die ihr beim ersten Klang ein merkwürdig vertrautes Gefühl schenkten. Doch erst die dahinterstehenden Lebensgeschichten gaben den Stücken ihre volle Kraft. Von Hildegard von Bingen, die im Mittelalter gegen religiöse Vorbehalte komponierte, bis zu der modernen Violin‑Adaption von Miley Cyrus’ Song "Flowers", der die Selbstliebe und Unabhängigkeit feiert. "Für mich war entscheidend, welche Geschichte hinter einem Stück steht. Musikalisch wähle ich zuerst die kraftvollsten und schönsten Melodien aus – doch dann frage ich: Welche Lebensgeschichte der Komponistin berührt mich am meisten?", beschreibt Abrami den Prozess.

Frauen hinter der Musik sichtbar machen

Bei ihren Konzerten schildert Esther Abrami die Hindernisse und Triumphe der jeweiligen Komponistin. Erst dann setzt sie den Bogen an. Sie ist davon überzeugt, dass das Publikum die Musik dann intensiver genießen kann und sich mehr auf das Gehörte einlässt. Ein achtjähriges Mädchen, das nach einem Konzert weinend zu ihr eilte, bewies: "Da draußen finden sich gerade junge Menschen in diesen Geschichten selbst wieder." Abrami schafft so ein intensives Erlebnis, das die Frauen hinter den Musiken sichtbarer und nahbarer macht.

Esther Abrami auf Social Media: Identifikationsfigur

Auf TikTok und Instagram zeigt Abrami nicht nur perfekte Passagen, sondern auch ihre menschlichen Momente: das nervöse Aufwärmen, das letzte tiefe Durchatmen vor dem Auftritt, das kurze Anspielen einer schwierigen Passage oder das schnelle Hochstecken Ihrer Haare. Ein Video, das zigtausendfach gelikt, kommentiert und geteilt wurde. Diese Offenheit macht sie zur Identifikationsfigur für eine Generation, die Ehrlichkeit schätzt. Sie ist längst zu einem Vorbild für viele junge Menschen, vor allen Dingen aber Mädchen geworden. Mädchen, die morgens auf dem Weg in die Schule ihre Musik hören, die bei Konzerten zu ihr stürmen, um sie zu umarmen, die sagen: "Ich will sein wie Esther." Für Esther Abrami ist das eine immense Ermutigung, genau so weiterzumachen wie bisher. "Für mich gibt es nichts Schöneres, als so junge Menschen bei einem klassischen Konzert zu sehen – das ist der beste Beweis dafür, wie sehr sie sich mit meiner Musik identifizieren."

Mode, Mut und Menschlichkeit

Esther Abrami spürt keinen Druck, sondern Stolz – gerade, weil ihr Erfolg ganz aus ihrer Authentizität erwächst. Sie begann, all jene Facetten zu zeigen, wegen derer sie früher Bedenken hatte: ihre Leidenschaft für Mode etwa, das sorgfältige Auswählen ihres Konzertkleids, aber auch den kleinen Schub von Panik kurz vor dem Auftritt. "Ich wusste, dass man mich für oberflächlich halten könnte, weil ich gern modisch bin", sagt sie. Doch genau dieses Sichtbarmachen ihrer Persönlichkeit – nicht als inszenierte Rolle, sondern echt und ungeschminkt – macht sie für junge Zuhörerinnen so nahbar. Wenn sie sehen, wie Esther ihr Kleid richtet oder kurz zittrig atmet, fühlen sie: "Sie ist wie ich." Und sie merken: Klassik darf schön, modisch und menschlich sein.

Gerade weil klassische Musik oft ohne Worte auskommt, kann sie Botschaften vermitteln, die tief gehen.
Esther Abrami

Politisches Klangbild "March of the Women"

Mit "March of the Women", einem der Titel auf ihrem Album, setzt Abrami ein starkes Statement. Sie kombiniert Original‑Reden der Suffragetten von 1908, darunter Auszüge von Emmeline Pankhurst, mit ihrer eigenen Neukomposition. Das Resultat ist ein kraftvolles Klangbild, das den historischen Kampf um Frauenrechte erlebbar macht. "Musik gibt uns die Freiheit, etwas auszudrücken, ohne Angst vor Missverständnissen. Gerade weil klassische Musik oft ohne Worte auskommt, kann sie Botschaften vermitteln, die tief gehen", sagt Abrami. In einer Zeit, in der Gleichberechtigung erneut infrage gestellt wird, gewinnt dieses Stück an dringlicher Aktualität.

Von der Interpretin zur Komponistin

Abrami geht noch einen Schritt weiter: Sie komponierte ein persönliches Werk für ihre Großmutter, die das Violinspiel zugunsten der Familie aufgab. Die Aufnahme des Stücks "Transmission" mit Orchester wurde zu einem emotionalen Höhepunkt ihrer Karriere. "Vor dem Orchester zu stehen und meine eigene Komposition zu hören, war unbeschreiblich", berichtet sie im Gespräch mit BR-KLASSIK. "Als ich mich mit dem Leben all dieser Frauen beschäftigte, fragte ich mich: Warum erinnern wir uns heute an sie? Weil sie etwas hinterlassen haben. Ich möchte auch etwas hinterlassen. Ich möchte versuchen, das, was ich heute im Jahr 2025 als Frau lebe, in Musik zu fassen."

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Transmission (Official Video)

Das Albumcover: Freiheit statt Erwartung

Esther Abramis Album "WOMEN" | Bildquelle: Sony Classical Das Cover des neuen Albums "WOMEN" von Esther Abrami. | Bildquelle: Sony Classical Dass "WOMEN" weit über ein klassisches Konzeptalbum hinausgeht, zeigt sich nicht nur in der Musikauswahl, sondern auch in der visuellen Gestaltung. Das Cover ist ein Statement: Esther Abrami sitzt dort selbstbewusst auf einem Stuhl und zeigt ihre nackten Beine – was in der konservativen Welt der Klassik nicht selbstverständlich ist. "Ich verstehe, dass es einige Leute in der Branche schockiert", sagt sie. "Aber ich werde mich auf keinen Fall dafür schämen, wer ich sein will und wer ich bin, wenn ich ein Album präsentiere, auf dem die Musik von Frauen ist, die so hart dafür gekämpft haben, dass ihre Stimmen gehört werden. Wie könnte ich also Angst davor haben, auf dem Cover meines Albums im Jahr 2025 ich selbst zu sein?" Für Abrami bedeutet das Cover eine persönliche Befreiung. "Ich will mich nicht verstecken, nur weil ich Angst habe, kritisiert zu werden. Angst hält uns davon ab, so viele Dinge im Leben zu tun. Und ich versuche, meine Ängste zu überwinden – jedes Mal aufs Neue."

Ich will mich nicht verstecken, nur weil ich Angst habe, kritisiert zu werden.
– Esther Abrami

Die Entscheidung für dieses Bild war deshalb kein kalkulierter Tabubruch, sondern Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach Authentizität. Sie sei Musikerin, aber auch Frau, Künstlerin, Mensch. Esther Abrami glaubt fest daran, dass es möglich ist, all das zu zeigen – ohne sich für irgendeinen Teil davon zu schämen.

"WOMEN": Einladung, die eigene Stimme zu finden

Abrami weiß: Gerade junge Menschen, vor allem Mädchen, reagieren sensibel auf solche Signale. Sie sehen in ihr nicht nur eine Geigerin, sondern ein Vorbild für Selbstbestimmung. Das Album "WOMEN" ist deshalb nicht nur eine musikalische Hommage an vergessene Komponistinnen – sondern auch eine Einladung an alle, die eigene Stimme zu finden. Mit Mut, Können und mit Haltung.

Bildquelle: Bayerischer Rundfunk 2023

Zu Gast im Studio

Esther Abrami

Esther Abrami ist Musikerin des Monats bei Sweet Spot, dem jungen Magazin von BR-KLASSIK

Sendung: "SWEET SPOT" am 8. Mai 2025 ab 19:03 Uhr auf BR-KLASSIK

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