Das Münchner Rundfunkorchester widmet sein Konzert am 11. Mai dem Komponisten Dmitri Schostakowitsch. Im Interview erzählt Dirigent Patrick Hahn, warum ihn Schostakowitschs Zyklus "Aus jiddischer Volkspoesie" besonders bewegt.
Bildquelle: Uwe Schinkel
BR-KLASSIK: Sie dirigieren beim Konzert mit dem Münchner Rundfunkorchester am 11. Mai auch die Kammersinfonie von Dmitri Schostakowitsch. Spielt die persönliche Situation, in der Schostakowitsch steckte, für Sie beim Dirigieren eine Rolle?
Patrick Hahn: Ja, der persönliche Hintergrund spielt schon eine Rolle. Wobei es bei der Kammersinfonie ausnahmsweise mal so ist, dass Schostakowitsch in einer guten mentalen Verfassung war, mit frisch geborenem Kind und Vaterglück. Er sagte auch selbst, dass er einfach mal ein schönes C-Dur, eine schöne Frühlingsstimmung schreiben wollte. Das ist ja ganz untypisch, wenn man seine anderen Werke betrachtet, in denen immer diese versteckte Kritik zu finden ist.
BR-KLASSIK: Schostakowitsch ist einerseits immer wieder ausgebrochen aus dem System, andererseits hat er seinem Zyklus "Aus jiddischer Volkspoesie" noch drei Stückchen angehängt, die zum Beispiel das schöne Leben "auf dem Kolchos" feiern. Hat er da versucht, sich ans Regime anzubiedern?
Patrick Hahn: Ich glaube, dieses "Anbiedern" ist nicht aus Überzeugung entstanden, sondern aus einer Notwendigkeit heraus. Bei anderen Stücken sieht man noch deutlicher, dass er sich einfach wirklich um sein Leben sorgen musste. Vor der 5. Sinfonie zum Beispiel hat er Drohungen bekommen und hatte Angst, dass nachts plötzlich an seiner Haustür geklopft und seine Familie abtransportiert wird. Um dem zu entgehen, musste er immer mal wieder etwas schreiben, was dem Regime gefallen hat: "Schaut, ich bin eh nicht so kritisch, lasst mich in Frieden." Das hat manchmal funktioniert und manchmal nicht. Gerade das macht es besonders spannend. Was sind die Elemente in der Musik, die auf den ersten Blick etwas verherrlichen, aber wenn man sie genauer analysiert, merkt man, dass es doch eine versteckte Kritik ist? Schostakowitsch hat immer versucht, zu überleben und trotzdem sich selbst möglichst treu zu bleiben.
Schostakowitsch hat immer versucht, zu überleben und trotzdem sich selbst möglichst treu zu bleiben.
BR-KLASSIK: Wie dirigiert man denn so einen doppelten Boden?
Das Münchner Rundfunkochester spielt am 11. Mai Musik von Schostakowitsch und Weinberg. | Bildquelle: © Felix Broede
Patrick Hahn: So ein doppelter Boden ist dirigentisch faktisch nicht darzustellen. Da geht es in der Probenarbeit vielmehr darum, dass alle im Orchester und die Sänger wissen, damit umzugehen. Und ein doppelter Boden ist natürlich gesanglich leichter dazustellen als instrumental: ein scheinbar schöner Text, der eigentlich bitterböse oder bittertraurig ist. Aber auch instrumental sind es kleine Botschaften wie wahnsinnig schnelle Tempoangaben, in einer ganz kleinen Einheit, nur damit es der Konvention eines schnellen Finales Rechnung trug und Schostakowitsch von weiteren Repressalien gegen seine Person verschont blieb. Im Konzert kann man dann nur hoffen, dass sich diese Botschaften auf das Publikum übertragen, wobei das sehr individuell von jedem aufgenommen wird - und genau das ist ja auch das Spannende.
Sontag, 11. Mai 2025, 19:00 Uhr
Prinzregententheater München
Konzert zum Schostakowitsch-Jahr 2025
Dmitrij Schostakowitsch: Kammersinfonie, op. 49 a; "Aus jiddischer Volkspoesie", op. 79
Mieczysław Weinberg: Sinfonie Nr. 12 d-Moll - "Dem Gedenken an Dmitrij Schostakowitsch"
Dorothea Röschmann, Sopran
Hagar Sharvit, Mezzosopran
Maximilian Schmitt, Tenor
Münchner Rundfunkorchester
Leitung: Patrick Hahn
BR-KLASSIK überträgt das Konzert live im Radio.
BR-KLASSIK: "Aus jiddischer Volkspoesie" ist ein Zyklus aus verschiedenen Liedern. Sie gehen zurück auf Gedichte, die ins Russische übersetzt wurden. Worum geht es in diesen Liedern?
Patrick Hahn: Da kommt die Freundschaft zu Mieczysław Weinberg zum Tragen. Schostakowitsch selbst hat gesagt, dass Weinberg ihm diese jüdische Musik und diese Art zu musizieren nähergebracht hat, die man heute als Klezmer bezeichnet. Die Texte sind unglaublich ergreifend. Die Lebensumstände und Gedanken dieser Zeit spiegeln sich in sehr verständlicher Sprache mit wunderschönen Metaphern wider. Manche wirken wie einfache Kinderlieder, aber wenn man sie ein zweites Mal hört, sind sie teilweise extrem traurig und bedrückend.
Manche wirken wie einfache Kinderlieder, aber wenn man sie ein zweites Mal hört, sind sie teilweise extrem traurig und bedrückend.
BR-KLASSIK: Zum Abschluss des Konzerts wird es ein Stück von Mieczysław Weinberg geben: die Sinfonie Nr. 12 d-Moll - "Dem Gedenken an Dmitrij Schostakowitsch". Weinberg hat diese Musik zu Schostakowitschs Tod geschrieben. Woran hören Sie, dass die Sinfonie speziell für Schostakowitsch komponiert wurde?
Patrick Hahn: Dadurch, dass die beiden sehr eng befreundet waren, haben sie sich gegenseitig sehr befruchtet. Ihre Art zu instrumentieren ist relativ ähnlich, ohne dass es jemals eine Kopie ist. Es ist trotzdem immer die eigene Tonsprache Weinbergs. Die unterscheidet sich von Schostakowitschs in kleinen Details, was die Ausarbeitung und die Stimmführung betrifft. Ich glaube, Weinbergs Sinfonie Nr. 12 ist wirklich eine Verbeugung vor seinem großen Freund Schostakowitsch, von dem er viel gelernt hat, den er selber aber auch viel gelehrt hat. Es ist der größte Ausdruck an Verehrung, ihm dieses sehr monumentale Werk zu widmen.
Sendung: "Live aus dem Münchner Prinzregententheater: Zum Schostakowitsch-Jahr 2025. Aus Jiddischer Volkspoesie". Sonntagskonzert mit dem Münchner Rundfunkorchester. Sonntag, 11. Mai 2025 ab 19:00 Uhr auf BR-KLASSIK
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