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Der DDR-Komponist Gerd Natschinski Ungebrochen unterhaltsam

Die Operetten-Satire "Messeschlager Gisela" aus dem Jahr 1960 füllt ein Theaterzelt vor dem Roten Rathaus in Berlin: Die Musik von Natschinski überzeugt bis heute mit ihrer Nostalgie – und überraschend satirischen Texten.

Der Operetten-Komponist Gerd Natschinski. | Bildquelle: picture alliance / E54 | Detlef Zmeck

Bildquelle: picture alliance / E54 | Detlef Zmeck

Sie alle waren in der DDR angesagte und von der Politik geförderte Komponisten: Hanns Eisler, Paul Dessau, Siegfried Matthus, aber wohl kein Werk von ihnen ist heute noch so populär, dass dafür eigens ein Zelt vor dem Roten Rathaus in Berlin aufgebaut würde. Ebenso schwer vorstellbar, dass sich das Publikum um die Karten reißen würde, dass Zusatzvorstellungen anberaumt werden müssten. Aber wer ist dieser Gerd Natschinski, der fast schon Kult wurde - 35 Jahre nach dem Untergang der DDR und fast zehn Jahre nach seinem Tod?

In Berlin der Hit der Saison: "Messeschlager Gisela"

An der Komischen Oper Berlin ist seine Operetten-Satire "Messeschlager Gisela" der Hit der Saison ("Verflixt und zugenäht"), nach wie vor wird auch sein Musical "Mein Freund Bunbury" nach dem Theaterstück "Ernst sein ist alles" von Oscar Wilde gern und oft inszeniert zwischen Chemnitz und Rostock. Im Westen allerdings blieb Natschinski weitgehend unbekannt, obwohl er unter anderen politischen Umständen sicherlich das Zeug gehabt hätte, eine Weltkarriere wie sein Zeitgenosse Bert Kaempfert hinzulegen, dem unvergessenen Bandleader, Easy-Listening-Maestro und "Strangers in the Night"-Komponisten.

Natschinski: DDR-Abgeordneter, Chefidirigent, Komponist

Doch der Weg nach Amerika war dem 1928 geborenen Gert Natschinski natürlich versperrt: Ein Musiker, der bei Hanns Eisler gelernt und das Große Unterhaltungsorchester des Leipziger Rundfunks geleitet hatte, zeitweise sogar Abgeordneter der DDR-Volkskammer war, hatte es schwer, sich im Westen im wahrsten Sinne des Wortes Gehör zu verschaffen, zumal im Kalten Krieg. Und so blieb Natschinski künstlerisch auf seine engere Heimat beschränkt. Auch da hätte er deutlich mehr Profil zeigen können, wenn die DDR nicht mit jedem Jahr humorloser und intoleranter geworden wäre.

Die Musik: im besten Sinne nostalgisch

1960, ein Jahr vor dem Bau der Mauer, konnte Natschinski mit "Messeschlager Gisela" noch eine echte Satire schreiben: Der spießige Betriebsleiter vom volkseigenen Betrieb "Berliner Schick" produziert außer politischen Plattitüden ("Ausgerechnet vor der Messe dieser schwere Schicksalsschlag") nur unverkäufliche Mode und wird von der titelgebenden Arbeiterin Gisela herausgefordert, die gemeinsam mit dem Kollektiv bezahlbare und zeitgemäße Outfits entwirft. Auf der Leipziger Messe, wo die DDR ihr Fenster zur Welt öffnet, wird Gisela zum Star. Die unausgesprochene Botschaft: Wer in der Konkurrenz zum Kapitalismus bestehen will, muss einfach besser sein, statt nur Phrasen zu dreschen. Die Musik dazu ist jederzeit tanzbar, fröhlich, parodistisch. Sie klingt nach den Sechzigern, aber nicht angestaubt, sondern im besten Sinne nostalgisch.

Mein Vater war der einzige Komponist, den ich kenne, der kein Klavier brauchte. Der hatte alle Noten im Kopf.
Thomas Natschinski

Das überzeugt augenscheinlich sogar das Berliner Großstadtpublikum - 64 Jahre nach der Uraufführung. Dagegen haben es die politischen Bekenntnisstücke von Hanns Eisler, und nicht nur von ihm, heute schwer. Sage keiner, Unterhaltung sei nun mal marktgängiger und leichter zu bewerkstelligen. Thomas Natschinski, der Sohn des Komponisten erinnerte sich in einem Interview: "Mein Vater war ja ein Workaholic, das heißt, der hat von früh bis spät gearbeitet. Der kam nur zum Essen raus oder wenn Urlaub war. Obwohl, da hatte er auch immer Notenpapier dabei. Mein Vater war der einzige Komponist, den ich kenne, der kein Klavier brauchte. Der hatte alle Noten im Kopf."

Die Komische Oper setzt die Natschinski-Erfolgswelle fort

Mal sehen, ob der posthume Erfolg von Gerd Natschinski auch weiter anhält, wenn sie in Berlin das Zelt vor dem Roten Rathaus am 7. Juli abgebaut haben. Die Komische Oper Berlin wird im Sommer nächsten Jahres die Natschinski-Erfolgswelle mit "Mein Freund Bunbury" fortsetzen. Und weil das Haus als Trendsetter im Musiktheater-Geschäft gilt, zumindest bei den Revue- und Unterhaltungsstücken, dürfte der Natschinski-Trend nicht aufzuhalten sein!

Sendung: "Piazza" am 22. Juni 2024 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Sonntag, 23.Juni, 06:50 Uhr

Joachim

Natschinski

Ja, ich finde das sehr erfreulich; Es wird langsam aber sicher Zeit, die angenehmen Erinnerungen an die DDR zu pflegen, immerhin viele Millionen Menschen 50-45 plus haben dort durchaus angenehme Zeiten erlebt abseits des Dunklen.

Samstag, 22.Juni, 21:24 Uhr

Klaus Thiel

Gerd Natschinski

War Natschinski außerhalb der DDR wirklich so wenig bekannt ? Sein Musical "Mein Freund Bunbury" wurde bisher 155mal inszeniert - in zehn Sprachen ! Es war auch in der BRD nicht unbekannt, und sein "Casanova" kam nach der Berliner Uraufführung in Detmold und Graz heraus. Die glanzvolle Pscherer-Inszenierung des Münchner Gärtnerplatz-Theaters von 1980 wurde vom ZDF aufgezeichnet und zuletzt 2005 ausgestrahlt. Mir erschien es, als ob der größte Hit in Webbers "Phantom of the Opera" schon in diesem "Casanova" anklang...
Natschinski war übrigens kein SED-Mitglied, sondern gehörte der LDPD an.
Das Berliner Metropol-Theater hatte nach 1945 keinen besseren Intendanten als ihn.
Nichts für ungut...

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