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John Eliot Gardiner über Sparpläne der BBC "Das ist ein Skandal!"

Die BBC Singers sollen weggespart werden. Für Sir John Eliot Gardiner ein Unding. Gerade ist der Dirigent beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu Gast. Im Interview mit BR-KLASSIK macht er sich Gedanken über die Zukunft der Klassik – nicht nur in Großbritannien. Und er erzählt von seiner Beziehung zu König Charles, dem er zutraut, ein Botschafter für klassische Musik zu werden.

Sir John Eliot Gardiner | Bildquelle: picture alliance / dpa | Rene Fluger

Bildquelle: picture alliance / dpa | Rene Fluger

BR-KLASSIK: Sir John Eliot Gardiner, in ein paar Wochen findet in England die Krönung von König Charles statt. Sie kennen ihn persönlich und werden zum Auftakt der Feierlichkeiten ein kurzes Konzert dirigieren mit ihrem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists. Was bedeutet es für Sie, persönlich da dabei zu sein? So eine Königskrönung dirigiert man ja nicht jeden Tag.

Gardiner: Nein, das stimmt, und für mich ist das eine große Sache. Ich schätze König Charles sehr. Kennengelernt hab ich ihn vor etwa 25 Jahren, er war auch ein paar Mal bei mir zuhause. Und er ist auch unser Schirmherr. König Charles interessiert sich sehr für Musik. Und gerade in dieser Zeit ist das so wichtig für unseren Beruf. Seit Covid und dem Brexit gibt es ja so viele Probleme. Er ist da wirklich eine Art Held. Ich fühle mich deshalb sehr geehrt, dass ich bei seiner Krönung dirigieren darf ...

Charles interessiert sich sehr für Musik
Sir John Eliot Gardiner über den britischen König

BR-KLASSIK: Denken Sie denn, dass sich mit ihm als König auch positiv etwas ändern wird, dass das Image der klassischen Musik in Großbritannien einen Aufschwung erhält?

Gardiner: Das ist meine Hoffnung, absolut! Ich glaube, dass Charles sehr stark ist in dieser Hinsicht.

Gardiner kritisiert Sparpläne der BBC

BR-KLASSIK: Jetzt hat die BBC gerade ein Sparkonzept bekanntgegeben, das auch Auswirkungen auf die klassische Musik hat: die BBC Singers sollen abgeschafft werden. Der einzige Chor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Großbritannien also. Und auch die Orchester der BBC sind betroffen. Dort sollen rund 20 Prozent der festen Stellen gestrichen werden. Das Ganze sorgte für einen Aufschrei in der Klassikwelt.

Gardiner: ... absolut, das ist ein Skandal ...

BR-KLASSIK: ... Sie selbst haben sich vor ein paar Tagen in der "Times" dazu geäußert, kritisch, haben das Ganze als Unsinn bezeichnet. Was befürchten Sie denn, was diese Sparmaßnahmen für die Zukunft der klassischen Musik bedeuten könnten?

Gardiner: Ich glaube, das ist vielleicht ein Symptom für eine drohende Pandemie in der klassischen Musikszene. Ich kann mir nämlich gut vorstellen, dass auch in anderen Länder, in Frankreich, in Deutschland oder in Italien, in der Zukunft mehr Beschränkungen geben wird. Und das wäre katastrophal für klassische Musik. Andererseits glaube ich, dass es seit Covid einen gewissen Hunger gibt beim Publikum, wieder Livemusik zu erleben. Und das finde ich wirklich wunderbar, das stimmt mich sehr optimistisch.

Wie Gardiner zum Originalklang kam

BR-KLASSIK: Sie beschäftigen sich mit Originalklang und historischer Aufführungspraxis, da spielt natürlich Johann Sebastian Bach eine große Rolle. Sie haben unter anderem sämtliche Bach-Kantaten aufgenommen, eine Bach-Biografie veröffentlicht, zuletzt ein Buch über Claudio Monteverdi, dazu auch eine eigene Podcast-Serie. Woher kommt denn Ihr Interesse für den Originalklang? Gab es da einen Schlüsselmoment in ihrem Leben, wo sie gesagt haben: Wenn Musik, dann aber bitte auch richtig!?

Ich bin Historiker
Sir John Eliot Gardiner

Dirigent John Eliot Gardiner  | Bildquelle: © Chris Christodoulou Historisch? Lebendig! – Sir John Eliot Gardiner am Pult | Bildquelle: © Chris Christodoulou Gardiner: Ich bin Historiker. Ich habe Geschichte studiert, und das hat meine ganze Karriere als Musiker beeinflusst. Ich bin überhaupt kein Fanatiker in dieser Hinsicht, aber ich finde, ich bin die historische Aufführungspraxis hatte einen sehr, sehr positiven Einfluss. denken Sie zurück an die 50er. Egal ob es Monteverdi, Palestrina, Mahler, Strawinsky oder Richard Strauss waren – es gab damals die Tendenz, alles im gleichen Stil aufzuführen. Und dagegen habe ich jetzt 50 Jahre lang gekämpft. [lacht] Und jetzt als Gastdirigent bin ich sehr dankbar, wenn ich zu einem so gebildeten Orchester wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks komme. Die Musikerinnen und Musiker sind so flexibel, so neugierig auch. Und zusammen können wir nach eine Synthese suchen zwischen historischer Aufführungspraxis auf der einen Seite und der Klangtradition des Orchesters auf der anderen.

Biobauer und Dirigent – wie passt das zusammen?

BR-KLASSIK: Sir John Eliot, Sie sind nicht nur Historiker und Dirigent, sondern haben auch einen Bauernhof, dort züchten Sie Rinder und Schafe und betreiben ökologische Landwirtschaft. Das ist für sie auch mehr als nur ein Hobby. Gibt es da eine Parallele zwischen biologischer Landwirtschaft und dem Originalklang. In beidem äußert sich ja so ein Bedürfnis nach Ursprünglichkeit, nach Natürlichkeit, nach ...

Gardiner: ... Harmonie. Nach Harmonie! Die ist wichtig, sowohl in der Musik als auch in der Landwirtschaft. Das ist meine Leidenschaft.

Im April wird Gardiner 80 Jahre alt

BR-KLASSIK: Sir John Eliot, Sie feiern im April Ihren 80. Geburtstag. Wie werden Sie denn den Tag verbringen?

Gardiner: Puh. [stöhnt] Natürlich werde ich ein bisschen meditieren, auf die letzten 50 Jahre zurückblicken. Und wenn ich das so sagen darf: Musik hat für mich eine erlösende Kraft, die uns miteinander und mit der Welt, in der wir leben, versöhnt. Sie ist unser Glück, unser Privileg und – als ausübende Musiker – unsere Verpflichtung. Wir geben das musikalische Erbe der Vergangenheit an ein Publikum der heutigen Generation weiter. Und es ist unsere Aufgabe, der Resonanz nachzuspüren, die die Musik, die wir aufführen, bei den Zuhörern hat oder haben kann – und heute findet, was die Jahre überdauert, was gar ewig Gültigkeit zu besitzen scheint oder auch was sein Publikum plötzlich unerwartet, mit ganz außergewöhnlicher Kraft erhält. Werke, die manchmal unbeachtet und unaufgeführt in Bibliotheksregalen verstauben, können plötzlich eine erstaunliche Aktualität und Dringlichkeit entfalten.

Konzertinfos – Gardiner beim BRSO

Am 24. März 2023 ist Sir John Eliot Gardiner zu Gast beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Auf dem Programm steht Musik von Joseph Haydn, Carl Maria von Weber und Franz Schubert. Los geht's um 20 Uhr. BR-KLASSIK überträgt das Konzert live im Radio.

Kommentare (1)

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Donnerstag, 30.März, 16:54 Uhr

Beate Schwärzler

Sir John Eliot Gardiner führt das BRSO

Ich habe dieses Konzert am 24. März im Radio angehört; ruhend; aufmerksam;
und habe auch, in der Konzertpause, das Interview mit John Eliot Gardiner gehört.
Wie ein ruhiger beständiger Fluß durch wechselnde Landschaft ist mir dieser Abend vergangen.

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