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Zukunft der Klassik Wie viel ist uns die Musik noch wert?

Machen wir uns nichts vor: So ein Klassikevent ist nicht gerade ein Schnäppchen – vor allem in Zeiten der Inflation. Die Inflationsrate ist zwar im August etwas gesunken, teuer bleibt unser Leben dennoch. Und auch der erhoffte Aufschwung für die Klassik nach der Pandemie fiel nicht allzu groß aus. Da stellt sich zum Saisonbeginn die Frage: Können und wollen wir uns die Klassik überhaupt noch leisten? BR-KLASSIK hat mit einem Zukunftsforscher darüber gesprochen und sich in der Veranstaltungsbranche umgehört.

Gitarrenkoffer - Musik im öffentlichen Raum | Bildquelle: pexels

Bildquelle: pexels

Die Situation der Konzertbranche ist angespannt: Das Klassikpublikum wird immer älter, junges Publikum kommt nur spärlich nach und die Konzertsäle sind immer seltener ausverkauft. Hinzu kommt die Inflation, in der mancher schon überlegen muss, ob er im Monat noch allzu viel für Kulturveranstaltungen ausgeben möchte.

SOFA ALS EPIZENTRUM DER FREIZEIT

Wie genau wir unsere Freizeit nutzen und für was wir am liebsten unser Geld ausgeben, untersucht der Freizeitmonitor. Am 5. September wurde die neuste Erhebung für 2023 veröffentlicht. Bei dieser Untersuchung, die seit 1986 regelmäßig durchgeführt wird, hat das Meinungsforschungsinstitut GfK im Juli und August dieses Jahres über 2.000 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren zu ihren Freizeitaktivitäten befragt. Glaubt man den Umfragen, dann ist das Sofa das neue "Epizentrum unserer Freizeit". Heißt: Wir verbringen viel mehr Zeit zu Hause – auch ein Trend aus der Pandemie. Und wir sind in den eigenen vier Wänden hauptsächlich im Internet unterwegs. So beschreibt es die Stiftung Zukunftsfragen, die den Freizeitmonitor veröffentlicht.

WARUM BLEIBT DER KONZERTSAAL LEER?

Den wissenschaftlichen Leiter dieser Stiftung, Prof. Dr. Ulrich Reinhardt, hatte BR-KLASSIK vor Kurzem im Podcast "Klassik für Klugscheisser" zu Gast. Er hat verschiedene Erklärungsansätze, warum Klassikkonzerte tendenziell eher schlecht besucht sind: "Es liegt im Wesentlichen daran, dass wir natürlich heute viel mehr Möglichkeiten haben, nicht nur unser Geld, sondern auch unsere Zeit 'auszugeben'. Und je mehr Möglichkeiten gerade in der Freizeit vorherrschen, Dinge zu tun, desto mehr muss der Einzelne natürlich auswählen."

Umorientierung seit der Pandemie

Konzertveranstalter Andreas Schessl | Bildquelle: Denise Medve Konzertveranstalter Andreas Schessl | Bildquelle: Denise Medve Von je 100 Befragten gehen zumindest 30 einmal pro Jahr in die Oper, ins Theater oder ins Klassikkonzert. Das sind zwar etwas mehr als vor einem Jahr, aber das ist, ehrlich gesagt, auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Für Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt haben die Streamingdienste und das stetig wachsende Onlineangebot eine wesentliche Auswirkung darauf, dass viele von uns lieber zu Hause vom Sofa aus konsumieren, als den Weg ins Konzerthaus anzutreten – auch wenn das Erlebnis wohl schwer zu vergleichen bleibt. Auch Andreas Schessl, Geschäftsführer beim Konzertveranstalter MünchenMusik, bemerkt, dass sich die Menschen seit der Pandemie bezüglich ihrer Freizeitgestaltung umorientiert haben. "Das ist, denke ich, auch etwas, wo der Prozess noch nicht abgeschlossen ist: Wie viel Geld haben die Leute im Beutel? Wie können wir uns zwischen dieser Spanne von Kosten auf der einen Seite und der Preisgestaltung auf der anderen zurechtfinden?"

BEDEUTUNG DER EVENTKULTUR

Im Bereich der Popmusik zeichnet sich der Trend schon länger ab und auch in der Klassik wird er spürbar: Große Stars wie Taylor Swift oder Lang Lang lassen die Kassen klingeln und kleine Veranstalter spielen vor leeren Reihen. Sind wir etwa auf dem Weg zu einer sogenannten Eventkultur? Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt sagt: Ja! Und er gibt auch ein konkretes Beispiel aus seiner Heimatstadt Hamburg: "Man hat sich darüber identifiziert, dass man in der Elbphilharmonie war. Dass man einer der wenigen war, die ein Konzert miterleben durften in diesen neuen, heiligen Hallen – und das war alles etwas ganz Besonderes. Heute ist es weniger so."

Dementsprechend seien die Konzerte auch in der Elbphilharmonie nicht mehr so stark ausverkauft, wie noch 2017 nach der Eröffnung, sagt Reinhardt weiter. Da wir uns sehr stark über unsere Freizeitaktivitäten definieren und im Freundeskreis von tollen, neuen Erlebnissen berichten wollen, ziehen also kleinere Veranstaltungen abseits der großen Namen und Events in den meisten Fällen den Kürzeren.

Podcast-Tipp: Kassik für Klugscheisser

Die beiden Hosts Uli und Laury schauen sich in dieser Podcast-Ausgabe an, warum die Klassik heutzutage eigentlich so teuer ist. Zum Talk haben sie sich Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt eingeladen.

Gründe für teurere Tickets

Hinzu kommt, dass sich viele potenzielle Konzertbesucherinnen und -besucher weniger Konzerte leisten können, wenn sie schon für eine einzige Veranstaltung tief in die Tasche greifen müssen. Denn einige Klassik-Künstlerinnen und -Künstler verlangen teilweise enorm hohe Gagen für einen Konzertabend, nachdem sie während der Pandemie wenig bis gar nichts verdient haben. Aber auch andere Komponenten ließen die Preise in die Höhe schießen, meint Veranstalter Andreas Schessl: die vom Staat erhöhten Saalmieten, mehr Ausgaben für Licht, Ton und das Einlasspersonal.

Die Krise hat Veränderungen eingeleitet, mit denen wir relativ dauerhaft leben müssen.
Konzertveranstalter Andreas Schessl

Wege AUS DER KRISE

Doch was kann man tun, damit uns die Klassik wieder mehr wert wird? Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt sagt, es müssten noch mehr Hemmnisse gegenüber der Klassischen Musik abgebaut werden, das Genre an sich müsste noch mehr mit der Zeit gehen. Er wäre auch dafür, sich deutlicher von der Unterteilung in Unterhaltungsmusik und Ernste Musik zu distanzieren und statt der Eventkultur, eine Integrationskultur anzustreben: Warum Orchesterproben nicht öfter für Zielgruppen öffnen, die dem Konzertsaal bisher ferngeblieben sind? Warum nicht ein Kombiticket anbieten für ein Beyoncé-Konzert und einen zusätzlichen Besuch in der Elbphilharmonie?

Hohe Auslastung in letzter Saison

Aber wie umsetzen ohne Förderung von politischer Seite? Kulturförderung schüttelt man nicht eben so aus dem Ärmel und Konzertveranstalter Andreas Schessl meint auch: Die Politik müsse Rahmenbedingungen geben, aber man dürfe sich nicht zu sehr darauf verlassen. "Die Krise hat Veränderungen eingeleitet, mit denen wir relativ dauerhaft leben müssen. Wir müssen uns auf manche Dinge neu einstellen." Der Geschäftsführer von MünchenMusik bewertet die Krise in seiner Branche ohnehin als nicht allzu groß: Die Auslastung seiner Konzerte sei in der letzten Saison gut gewesen und das Klassikpublikum komme langsam wieder zurück. Hoffen wir, dass er recht hat.

Sendung: "Allegro" am 8. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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