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Kommentar – Stoppt den Kulturkampf! Thielemann, Winnetou und der Führer

Bitte nicht noch so eine absurde Debatte! Bei den Bayreuther Festspielen ist Streit entbrannt um das Wort "Führer", das im "Lohengrin" gesungen wird. Festspielchefin Katharina Wagner ließ die anstößige Vokabel durch "Schützer" ersetzen. Dirigent Christian Thielemann spricht von einem Skandal. Beide haben Unrecht. Ein Kommentar von BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff.

Christian Thielemann bei einer Probe für die Salzburger Osterfestspiele 2022. | Bildquelle: picture alliance / BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com

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Kommentar

Thielemann, Winnetou und der Führer

Skandal, Zensur, unsere Klassiker – es geht schon wieder los. Diesmal erwischt es die Oper. Nach der Aufregung um den Partyschlager "Layla" (Freiheit der Kunst!!!) und dem anschließenden Winnetou-Wutbeben (der Kanzler muss eingreifen!!!) hat Christian Thielemann nun den Scheinwerfer grell auf eine weitere Ungeheuerlichkeit gerichtet. Und zwar bei den Bayreuther Festspielen. Thielemann war dort in diesem Jahr künstlerisch der unbestrittene Star. Seine Dirigenten-Kollegen stellte er klar in den Schatten. Doch Festspielchefin Katharina Wagner mag ihren einstigen Musikdirektor nicht mehr. Und das beruht offenbar auf Gegenseitigkeit. Sonst hätte Thielemann sie wohl kaum so heftig angegriffen.

"Führer" muss sein?

Im Gespräch mit der Tageszeitung "Die Welt", die sich zusammen mit der "BILD" als deutsches Zentralorgan für Cancel-Culture-Debatten profiliert, hat Thielemann beklagt, dass Katharina Wagner eine Textstelle im Libretto ihres Urgroßvaters verändern ließ. In der Probe hatte Tenor Klaus Florian Vogt gesungen, was in der Partitur steht: "Seht da den Herzog von Brabant, zum Führer sei er euch ernannt." Katharina Wagner bat ihn, stattdessen "Schützer" zu singen. Thielemann hält das für ein Sakrileg. Dann könne man ja gleich das halbe Libretto ändern. Und die "Tosca" dürfe man dann womöglich auch nicht mehr spielen, so ereifert er sich ohne rechten Zusammenhang, denn da komme ja Mord und eine versuchte Vergewaltigung vor. Ergo sieht Thielemann die Politik gefordert.

"Führer" geht nicht?

Katharina Wagner hält dagegen. Erstens, sagt sie, sei dieser Eingriff an vielen Häusern üblich. Und zweitens sei er gerade in Bayreuth nötig, weil hier Adolf Hitler als Hausfreund ein und ausging. Beide irren.

Droht ein Machtkampf bei den Bayreuther Festspielen?

Die Festspiele sind vorbei, Ruhe kehrt auf dem Grünen Hügel nicht ein: Georg von Waldenfels, Chef des Verwaltungsrats, spricht sich ausdrücklich für Christian Thielemann aus, dessen Verhältnis zu Katharina Wagner als zerrüttet gilt. Bahnt sich in Bayreuth ein Machtkampf an? Lesen Sie hier unseren Artikel.

Katharina Wagner unterschätzt ihr Publikum. Ja, Wagners Werke sind nicht harmlos. Aber das muss eine gute Interpretation nicht ängstlich bemänteln. Ich kenne keine einzige "Lohengrin"-Inszenierung der letzten 20 Jahre, in dem dieser bombastisch präsentierte "Führer" unkritisch gezeigt wurde. Als Künstler war Wagner tausendmal besser, denn als politischer Aktivist. Seine Werke sind faszinierend vieldeutig. Und wenn man Lohengrin als gefährlichen Manipulator zeigt, dann ist auch das angelegt in diesem schillernden Textbuch. Und genau das kann gute Regie zeigen. Zumal das Bayreuther Publikum längst nicht mehr kritiklos Wagners politischen Ideen huldigt. Es gibt deshalb keinerlei Notwendigkeit, Wagners Schattenseiten zu retuschieren.

Winnetou und die Politik

Unrecht hat aber auch Christian Thielemann. Dass einzelne Textwörter verändert werden, ist kein Skandal, sondern eine gängige, uralte Theaterpraxis. Auch in Bayreuth: Schon Wieland und der von Thielemann so verehrte Wolfgang Wagner ließen 1959 "Schützer" statt "Führer" singen. Geradezu absurd ist der Ruf nach der Politik. Ironischerweise kommt er ausgerechnet von der Seite, die regelmäßig über angebliche Zensur klagt und behauptet, die Freiheit der Kunst sei in Gefahr. Wenn jetzt tatsächlich Politiker dafür sorgen würden, dass ein Winnetou-Kinderbuch zu erscheinen hat und dass in Bayreuth gefälligst das Wort "Führer" gesungen wird, dann wäre tatsächlich die Freiheit der Kunst in Gefahr. Solche Entscheidungen liegen allein bei den künstlerisch Verantwortlichen und – solange alle sich an das Recht halten – am allerwenigsten bei der Politik.

Gigantische Kraftverschwendung

Fazit: Es ist dringend Zeit, dass in diesen hysterischen Kulturkampf-Debatten beide Seiten verbal abrüsten. Diese unverhältnismäßigen, unglaublich bitter und hartnäckig ausgetragenen Streitereien um symbolisch völlig überfrachtete Nebensächlichkeiten sind nicht nur unglaublich nervig, sie sind auch eine gigantische Kraftverschwendung. Unsere Freiheit ist nämlich wirklich in Gefahr. Aber nicht wegen Winnetou und des Führers im "Lohengrin". Sondern wegen Diktatoren und autoritärer Politiker. In einer Demokratie ist Streit kein Unglück – solange wir unseren Gegnern respektvoll zuhören. Deswegen bitte ganz dringend alle mal abregen. Die Zeiten sind ernst genug.

Sendung: "Allegro" am 9. September 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (9)

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Donnerstag, 15.September, 09:54 Uhr

Hans

Zensur oder Strich

Früher hieß es „Strich“ -
Schon ab 1979 wurde im Bayreuther Lohengrin die Passage „des Ostens Horden siegreich nimmer ziehen!“ zensiert. War es dem damaligen DDR-Regisseur Friedrich geschuldet ? Man weiß es nicht. Wenn man schon aus political correctness den Schluß mit „Schützer“ ersetzen möchte, … das Wort Führer taucht schon wesentlich früher im Libretto auf.
Aber warten wir ab, bald wird Lohengrin den König mit „Hi, König Heinrich“ begrüßen.

Dienstag, 13.September, 08:43 Uhr

TL

Thielemann, Winnetou und der Führer

Seit Katharina Wagner das Licht der Welt erblickte, gab es in Bayreuth fünf Neuproduktionen des "Lohengrin, die letzten zwei bereits unter ihrer Intendanz. Alle Aufführungen mit dem Originaltext am Ende. Und das fällt ihr jetzt erst auf?

Sonntag, 11.September, 12:38 Uhr

Hannelore Langmann

Lohengrin

Tielemann hat recht. Diese selbsternannten Moralisten sind unerträglich.
Richard Wagner ein Genie, verdient nicht so eine elende Nachkommenschaft.

Sonntag, 11.September, 09:21 Uhr

StJ

Aufkommenden diktatorischen Fundamentalismus

- Richard Wagner hat das Wort "Führer" nicht missbraucht, sondern in den Sinnzusammenhang seines Lohengrin gebraucht.
- Ein Missbrauch geschah durch den "heilbringenden" Diktator des Nationalsozialismus, nicht durch Richard Wagner.
- Aktuell missbrauchen selbsternannte Fundmentalisten diese kulturgeschichtlich bedingten Deutungen für Ihre persönliche Gefallsucht.
Eine Frage bleibt: Wer steht dem deutungsverengenden Extremismus näher: Wagner oder die wortklaubenden Minidikatoren? Was würde denn passieren, wenn wir der hier strittige Begriff durch eine Fremdsprache verschleiert würde. Zum "Duce" sei er euch ernannt. Denn der Begriff Duce ist zwar verknüpft mit dem italienischen Faschismus. Dem italienischen Faschismus fehlt aber der völkische Rassismus und Antisemitismus, der im Nationalsozialismus zur systematischen Ausrottung ganzer Bevölkerungsteile führte. Als hier unbedenklich, WENN man differenziert die Begriffe betrachtet.Wie wärs denn mit Bergduce, Duceschein ...

Samstag, 10.September, 19:01 Uhr

Tessen Ghost Summer

HERIZOGO

Herzog = Führer - also Gottfried, und nicht Lohengrin (der Schützer "auf Zeit").

Verstehen kann ich die Aversion schon - wo der "Führer" Vater und Onkel von Frau Wagner stets die Wange tätschelte.

Samstag, 10.September, 17:07 Uhr

Elizabeth Arenas

lächerlich!

Die Texte wurden von Philosophen, Schriftstellern, Dichtern, Romanciers mit Kenntnissen auf dem Gebiet der Literatur aus verschiedenen Epochen geschrieben, und jetzt wollen einige unwissende Leute, die keine Kenntnisse über Schreiben und Literatur haben, Besserwisser sein, das einzige, was sie sind wissen heißt, sich lächerlich zu machen, Herr Christian Thielemann hat recht, Drehbücher, libretos, etc aus vielen Jahren, die beim Publikum noch nie für Skandale gesorgt haben.

Samstag, 10.September, 09:53 Uhr

Gufo

Thielemann

Principiis obsta! Zuerst ändert man einzelne Worte, dann halbe Texte, jetzlich alles ,wie es gefällt. Sollen wir Schillers "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" umschreiben ( Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan.......) oder Verdis und Shakespeares Othello ? Oder sollen wir gar den Zugführer Zugschützer nennen ? Nein, man muß Texte aus ihrer Entstehungszeit verstehen und interpretieren und nicht immer dem manchmal von einer Minderheit kreierten Zeitgeist hinterherrennen.

Freitag, 09.September, 18:53 Uhr

Paul

Verharmlosung

Neuhoff verharmlost maßlos das gegenwärtige intolerante Klima, das mit dem unschönen Begriff "cancel culture" bezeichnet wird. Dass immer mehr zensiert wird (auch hier wird meiner Ansicht nach viel zu viel zensiert), freie Debatten kaum noch stattfinden können, Diskussionen mit propagandistisch eingebläuten Totschlagsvokabeln ("Rassismus", "Xenophobie", "Gynophobie", "Homophobie", "Transphobie" etc.) effektiv verhindert werden, ist eine unbestreitbare Tatsache.

Thielemann mag eingedenk dieses intoleranten Klimas denken: Wehret den Anfängen. Denn das weitet sich erfahrungsgemäß schnell aus. Vielleicht besteht man bald darauf, dass auch in den Opern gegendert wird, eventuelle musikalische Holprigkeiten werden dann auch noch zur Zuschaustellung seiner eigenen "moralischen Überlegenheit" in Kauf genommen. Nichts ist zu absurd, um nicht eventuell doch noch zu passieren,. Das sollten die letzten Jahre gezeigt haben. Und Neuhoff wird dann das auch verteidigen.

Freitag, 09.September, 09:49 Uhr

Susanne Pettinger

Thielemann hat nur angemahnt....

....denn dann müsse man als nächstes „ für deutsches Land das deutsche Schwert“ als Text umändern und so weiter.
Wo soll das hinführen? Das fragen sich viele. Thielemann hat recht!

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