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Kritik: "Der Große Gatsby" in München Der Tag macht keinen Unterschied

Der mehrfach verfilmte Erfolgsroman von F. Scott Fitzgerald als Tanztheater über Menschen auf der verzweifelten Suche nach einem Lebenssinn in ihrer verlorenen Zeit: Das funktionierte am Deutschen Theater München hervorragend und wurde begeistert beklatscht.

Szene aus "Der Große Gatsby" am Deutschen Theater München | Bildquelle: Birgit Gufler/Deutsches Theater

Bildquelle: Birgit Gufler/Deutsches Theater

"What a difference a day makes, was ein einzelner Tag für einen Unterschied macht, das hängt ganz davon ab, welches Leben jemand gerade führt. Bei gelangweilten Superreichen, die jeden Tag zum Fest machen, dürften 24 Stunden völlig unerheblich sein - jeder Tag gleicht dem anderen. Wer dagegen unglücklich verliebt ist und immer noch auf die Erfüllung seiner Sehnsüchte hofft, für den macht jeder Tag gewiss einen gewaltigen Unterschied. Und deshalb macht es schon seinen Sinn, dass dieser Tanztheater-Abend im Deutschen Theater München mit dem Rhythm and Blues-Klassiker beginnt: What a difference a day makes!

Fulminant: Sängerin Greta Marcolongo

In F. Scott Fitzgeralds "Der Große Gatsby" geht es schließlich um das emotionale Elend im Überfluss, um Neureiche in den Wilden Zwanzigern, die querbeet lieben und leiden, aber keine Mitte finden - bis sie sterben und unter Ausschluss der Öffentlichkeit begraben werden. Enrique Gasa Valga machte daraus für das Tiroler Landestheater in Innsbruck im Oktober 2022 eine rund zweistündige Swing-Show, die auch bei der Wiederaufnahme in München umjubelt war. Grund dafür: Vor allem die fulminante Sängerin Greta Marcolongo, die Aufstieg und Fall des titelgebenden Jay Gatsby mit stets tanzbaren Evergreens begleitet, mal funky, mal balladenhaft, mal geradezu akrobatisch überdreht.

Jeder liebt jeden. Mit tragischen Folgen

Zwar spielt die Handlung eigentlich zu Beginn der Zwanziger des letzten Jahrhunderts, aber die Musik ist eher in den Dreißigern und Vierzigern zuhause, was den Erfolg des Abends keineswegs schmälert. Viel äußerer Aufwand ist gar nicht nötig, um die Geschichte zu illustrieren, denn es geht ja nicht um die dicken Autos und prachtvollen Villen dieser amerikanischen High Society, sondern um ihre karge Innenwelt. Hier liebt jeder jeden, aber leider nur einseitig, mit den entsprechend tragischen Folgen. Ausstatter Helfried Lauckner hatte ganz viel Platz zum Tanzen gelassen. Drum herum flackern die Showlichter, die Band unter Leitung von Roberto Tubaro am Klavier sitzt auf einer Empore und hat stets den besten Überblick. Eine Showtreppe ist unnötig. Zwei Telefone und eine überdimensionale Récamiere sind die einzigen Requisiten, denn so ein Sofa reicht vollkommen aus, um die Ödnis dieser Menschen zu beschreiben. Sie räkeln sich schlapp auf dem Polstermöbel und warten mehr oder weniger verzweifelt auf den Unterschied, den der Tag wohl verspricht, aber nicht einhält.

Zwischen Swing und Charleston: sinnlich und mitreissend

Choreographisch orientiert sich Enrique Gasa Valga trotz der Swing-Nummern eher am Charleston, also dem bekanntesten Tanzstil der Roaring Twenties. Es wird viel mit gespreizten Fingern gestikuliert, der Oberkörper weit nach vorn gebeugt, so ausgelassen und sinnlich, wie es einst Josephine Baker vormachte. Das reißt mit, das ist nie langatmig, das fesselt, auch, wenn der erste Teil wenig Handlung erzählt und sich mehr im Partygetriebe verliert, aber das ist ja gerade das Thema vom "Großen Gatsby": Menschen, die von einer Sause zur nächsten torkeln, ohne dazwischen jemals zur Besinnung zu kommen.

Mark Biocca: lässig-kühl als Gatsby

Mark Biocca ist in der Titelrolle ein lässig-kühler Aufsteiger, der die Liebe eher als Pflichtübung abzuhaken scheint, denn wirklich vernarrt ist er natürlich nur in sich selbst. Ein schlüssiges Rollenporträt, ebenso wie bei Camilla Danesi als umschwärmte Daisy und Martin Segeta als ihr untreuer, millionenschwerer Ehemann. Addison Ector tanzt den Nick Carraway, der die ganze Geschichte in der Rückblende erzählt - ein Mann, der es jedem recht machen will, der versucht, emotionale Brücken zu bauen, dabei aber an der Gleichgültigkeit und dem Narzissmus scheitert. Und weil diesmal auch die Tonanlage des Deutschen Theaters hervorragend eingestellt war, fiel der Beifall für diese anspruchsvolle Produktion überraschend euphorisch aus. Die Sprechtexte fehlten überhaupt nicht, denn die Songs dolmetschten die Herzen perfekt. Insgesamt eine überzeugende Premiere über Menschen auf der Suche nach der sprichwörtlichen verlorenen Zeit. Insofern ein unglaublich rasanter und sehr unterhaltsamer Totentanz auf den Trümmern der kapitalistischen Utopie.

Sendung: "Allegro" am 23. Februar ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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