Bad Ischl ist dieses Jahr Europäische Kulturhauptstadt und so gibt es in Österreichs Operetten-Metropole heuer einige außergewöhnliche Projekte. Nach dem "Short-Operetta-Festival" im Juli hat sich nun auch das alljährliche Lehár-Festival etwas Besonderes einfallen lassen und präsentiert eine halbszenische Version einer der durchgefallensten Operetten des Namensgebers: "Der Sterngucker".
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Der Sterngucker Franz Hofer schaut am liebsten durch die Röhre, schwebt bevorzugt in höheren Regionen, scheut die Frauen und ist auch sonst alles andere als ein Operettenheld. Gerade das hat seinen Namensvetter Lehár an dieser Figur wohl gereizt, als zu Beginn des Ersten Weltkriegs der junge, jüdische Satiriker Fritz Löhner bei ihm mit dem Libretto zu "Der reine Tore" vorstellig wird. So lautet einer der vielen Titel, die das Werk im Laufe seiner Entstehung erhalten wird. Vielleicht weil nicht nur dieser Titel Lehár an Wagners "Parsifal" erinnert, greift er zu, obwohl der Autor völlig unbekannt ist. Auch sein Libretto weicht von der üblichen Schablone ab, ist ein musikalisches Lustspiel, in dem Gesang und Dialog zwanglos ineinander übergehen. Das kommt auch Louis Treumann entgegen, dem ersten Danilo in Lehárs "Lustiger Witwe". Er soll die Titelpartie übernehmen – und zwar im Theater in der Josefstadt, einer Schauspielbühne ohne Chor, mit nur kleinem Orchester.
Also ein Experiment – das Lehár herausfordert, und auch wenn er letztlich keinen Erfolg damit hat. Fritz Löhner-Beda wird trotzdem zu seinem Lieblingslibrettisten, mit dem er später "Das Land des Lächelns" schreiben wird. Seine Ermordung 1942 in Auschwitz kann er allerdings nicht verhindern, dafür erinnert jetzt eine Ausstellung des Lehár-Festivals an ihn, wie sich Ischl überhaupt im Kulturhautstadtjahr endlich auch an seine vielen jüdischen Kurgäste erinnert – mit über die ganze Stadt verteilten Gedenktafeln. Und das dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, in diesem Jahr den "Sterngucker" zu spielen, auch wenn von Löhners Urfassung nichts mehr erhalten ist und man nur mehr auf eine spätere Bearbeitung zurückgreifen kann, die schon wieder reumütig zu den alten Operettenklischees zurückkehrt.
Christoph Gerhardus und Corina Koller | Bildquelle: fotohofer.at Für das Lehár-Festival hat Dramaturgin Jenny Gregor jetzt eine eigene, sehr pointierte Fassung geschrieben, in der sie zum Glück auch das freche "Duetto Comico Bambolina!" aus der italienischen Version "La danza delle libellule" eingebaut hat, die in Italien bis heute zum italienischen Repertoire zählt. Den astronomischen Operetten-Parsifal spielt Christoph Gerhardus mit der nötigen Naivität, während ihn Lilly mit allen erotischen und stimmlichen Mitteln, die ihrer eleganten Darstellerin Loes Cools zur Verfügung stehen, aus den Sternen zurück auf den Boden der Liebe holt. Auch weiß die wie immer großartige Corina Koller als seine Schwester zu glänzen, eine Diva durch und durch, die auch ihren eher lyrischen Tenorpartner Matthias Koziorowski aus der Reserve lockt.
Es gibt zwar kein Bühnenbild bei dieser halbszenischen Aufführung, dafür Kostüme und Tanz und alle Akteure singen auswendig. Dramaturgin Jenny Gregor hat dafür eine eigene Fassung geschrieben, in der Walter Sachers als Erzähler geschickt durch die Handlung führt – unterstützt vom virtuosen Sebastian Brummer, der pantomimisch alle gestrichenen Rollen übernimmt. Das ist oft am Rande der Klamotte, aber der erst 24-jährige Regisseur Sebastian Kranner findet genau das richtige Tempo für die slapstikartige Dramaturgie des Stücks, die in völligem Kontrast zur opulenten Musik steht. Aber gerade das macht den Charme des Abends aus. Zumal das fantastische Lehár-Orchester mit Lehárschem Wohlklang besticht. Was Marius Burkert, seit nunmehr 20 Jahren musikalischer Chef in Ischl, aus seinen Musikern an Nuancen, Übergängen, aber auch an Walzerschwung herausholt, ist schlicht hinreißend. Das in Kombination mit dem Komödiantentum der Darsteller ergibt echte Operette!
Sendung: "Piazza" am 10. August 2024 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK