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Kritik – "Der fliegende Holländer" in Bayreuth Wagnerissimo

Im dritten Jahr von Dmitri Tcherniakovs Bayreuther "Holländer"-Inszenierung liegt das Augen- und vor allem Ohrenmerk auf Michael Volles Bayreuther Rollendebüt als Holländer. Anstelle von Parsifal-Einspringer Andreas Schager übernimmt Tomislav Mužek den Erik, den er zuletzt 2018 auf dem Grünen Hügel gesungen hat. Oksana Lyniv dirigiert erneut das Festspielorchester. Das Ergebnis der Wiederaufnahme: große Bayreuther Festspielklasse, vor allem mit der aktuellen männlichen Top-Besetzung.

Szene aus "Der fliegende Holländer", Bayreuther Festspiele 2023 | Bildquelle: © Enrico Nawrath

Bildquelle: © Enrico Nawrath

Kritik

"Der fliegende Holländer" in Bayreuth

Was passiert in dieser Stadt mit Klinkerhäuschen und Menschen, die sich auf dem Marktplatz zum Saufen oder zur Chorprobe versammeln? Nicht viel, außer dass sich in der Vergangenheit mal eine verzweifelte Frau umgebracht hat, und ein junges Mädchen gegen die Konventionen rebelliert. Und dann kommt ein Fremder in diese Stadt. Es ist der Holländer, der vor vielen Jahren nach dem Freitod seiner ausgestoßenen Mutter den Ort seiner Albträume verlassen hat.

Wagner, der richtig Spaß macht

Eine Mischung aus Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" und "Peter Grimes" ist Tcherniakovs Holländer-Version, und Michael Volle passt perfekt in die Rolle dieses undurchsichtigen, rauen Typen mit balsamisch schöner Stimme. Mit seinen smarten Reden und seinem Geld bezirzt der rachedurstige Heimkehrer Daland und seine Tochter Senta. Es ist eine Freude, Georg Zeppenfeld und Michael Volle in ihrer ersten Unterredung zu lauschen: exzellente Textverständlichkeit und feinste Nuancen über einem italienisch-belcantistisch tänzelnden Orchester unter Oksana Lyniv. So duftig, dass er an Donizetti erinnert, hört man Wagner selten, und das macht richtig Spaß!

Inszenierung in Bildern

Oper anhören

BR-KLASSIK hat die Premiere von Wagners Oper "Der fliegende Holländer" am 1. August aus dem Bayreuther Festspielhaus live übertragen. Hier können Sie den kompletten Mitschnitt anhören.

Perfektes Timing

Bald branden die musikalischen Wogen schon bedrohlicher. Sowohl die Matrosenchöre der Männer, als auch der Spinnerinnen-Chor der Damen sind ebenfalls große Bayreuther Festspielklasse. Ob auf oder hinter der Bühne – die Balance und das Timing mit dem Graben stimmen, und man spürt die Kraft dieses Kollektivs, von dem sich Senta lieber absondert. Elisabeth Teige mit ihrem erratisch glühenden Sopran liegt die trotzige Revoluzzerin, die Senta hier sein darf. Dieses Mädchen steht ständig unter Dampf, da kann Tomislav Mužek als verliebter Erik noch so schön in Tenorkantilenen vor ihr schwelgen. Sie hat keine Lust auf italienische Romanze mit dem Jüngling – dann schon lieber der geheimnisvolle weltbewanderte ältere Fremde, der bei ihr zu Hause zum Essen eingeladen wird und ewige Treueschwüre fordert. 

Bayreuther Festspiele

Alle Infos und Kritiken zu den diesjährigen Bayreuther Festspielen finden Sie hier.

Festspielchor in mitreißender Perfektion

Im dritten Aufzug krachen dann die beiden Chor-Mannschaften mit voller Wucht aufeinander. In mitreißender Perfektion gelingt dem Festspielchor die Eskalation, und Oksana Lyniv treibt mit unerbittlich straffer Hand das musikalische Geschehen in die auskomponierte Katastrophe. Einmal knarzt es sogar durchdringend wie eine Posaune von der Bühne, doch das ist nur eine klemmende Tcherniakov-Kulisse, die ständig auf der Bühne verschoben werden. Zuletzt sind es Schüsse, die den dramatischen Ensembles der starken Solistenriege ihr Ende setzen. Dann tost der Jubel des Bayreuther Festspielpublikums für alle Beteiligten, ohne dass sich das Regieteam wie sonst üblich dem Publikum zeigt. Dabei ist dieser Bayreuther Holländer eine runde Sache, vor allem mit der aktuellen männlichen Top-Besetzung.

Sendung: "Allegro" am 2. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (18)

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Freitag, 04.August, 15:24 Uhr

Franz Gillinger

Regietheater

Ich denke nicht, dass man unterscheiden kann zwischen Befürwortern und Ablehnern des Regietheaters. Leider ist das Regietheater ja zu einem Selbstläufer geworden, kaum ein Regisseur geht noch wirklich eigene, originelle Wege, und die Verfälschungen manche Werke (Holländer, Parsifal usw.) gehört einfach abgestellt. - Dass es anders geht, haben z.B. die Choregies Orange gezeigt, die einen "Rigoletto" (2017) gebracht haben unter Einbezug des wunderbaren antiken Theaters, ohne diesen ganzen Klimbim. - Und es kamen auch keine Pistolen vor! Das ist ja schon eine Wohltat, wenn nicht dauernd irgendwer erschossen wird (und so unmotiviert wie im Holländer)....

Freitag, 04.August, 01:33 Uhr

Karl Bauer

Inszenierungen/Interpretationen

Ich verstehe nicht, warum Inhalte/Libretti von jedem Regisseur neu erfunden werden muss, mit haarsträubenden Nebenhandlungen die eigentlich mit dem Werk gar nichts zu tun haben. Wenn so ein "Künstler" nicht mit dem Original anfangen kann, soll er es doch bleiben lassen. Die Schöpfer dieser wunderbaren Opern können sich halt leider nicht mehr wehren! Und das Publikum ist offensichtlich zu faul oder auch desinteressiert um sich mit dem Werk zu befassen! Schade!!

Donnerstag, 03.August, 16:21 Uhr

Dorfrichter Adam

@Gufo/wahre Musikliebhaber

Nein, selbst die schlechteste Bayreuther Inszenierung vermag es nicht, die großartige Musik und deren meist hochqualitative Darbietung zu zerstören. Beim von mir ebenfalls nicht goutierten Castorf-Ring trug eine Zuschauerin in meiner Nähe einfach eine Schlafmaske, und sie hatte bestimmt einen gelungenen Abend.

Was mich aber nachhaltig stört, ist dieses Erheben derjenigen, denen moderne Inszenierungen nicht gefallen, über die Anderen - man bezeichnet sich dann als die "wahren Musikliebhaber". Was aber, wenn die Befürworter moderner Inszenierungen nicht unwahrere Musikliebhaber sind?

Donnerstag, 03.August, 12:20 Uhr

Dorfrichter Adam

Regietheater zum 154.

Ich versuch's nochmal sachlich und ohne Belehrungen bzgl. Interpunktion:

Tannhäuser und Tristan dürften wohl kaum zu ablehnenden Publikumsreaktionen geführt haben (und wenn, dann ist dem Teil des Publikums nicht mehr zu helfen).

Holländer ist auch in meinen Augen (ich stehe dem "Regietheater" aufgeschlossen gegenüber) eine grottenschlechte Inszenierung, weil der Regisseur seine eigene - alles eher als tiefsinnige - Geschichte dem Libretto überstülpt. Von Hetby/Herby N. hätte ich aber schon gern gewusst, was daran "Woke Mist" sein soll.

Parsifal dürfte nach den Kritiken eher auf Bildgewalt ohne Tiefsinn setzen und damit zumindest nicht wehtun (es sei denn, man hat eine AR-Brille auf, hihi).

Zum überwiegend verrissenen Ring kann ich noch nichts äußern. Jedenfalls ist nicht alles schlecht dieses Jahr und war es auch in den Vorjahren nicht. Dass eine Inszenierung mal daneben geht, sollte mit Gleichmut bedacht werden.

Donnerstag, 03.August, 11:18 Uhr

Gufo

Holländer

Erst wenn die leeren Stühle im Zuhörerraum überwiegen,wird diesem Regieschrott das Totenglöckchen geläutet.Solange diese Beleidigungen von Auge und Ohr teils enthusiastisch gefeiert werden,kann der wahre Musikliebhaber seinen Leidensweg nur dadurch beenden,dass er diesem musikzerstörenden Unsinn fernbleibt.

Donnerstag, 03.August, 10:02 Uhr

Daniela

"Onanie" - wer hat den Kommentar durchgehen lassen

Hier steht, dass Kommentare vor der Veröffentlichung redaktionell geprüft werden und dass sie den Richtlinien entsprechen müssen. Trotzdem schreibt hier jemand gestern was von "geistiger Onanie", ohne dass zensiert wird. Wer hat da bei Euch massiv gepennt, oder ist diese ordinäre Ausdrucksweise für den BR Klassik vielleicht in Ordnung??

Donnerstag, 03.August, 09:09 Uhr

Helfer Elisabeth

Der fliegende Holländer

Musik, Gesang und Akkustik einfach super.
Zugang zu Reihe 30 Katastrophe.
An der Bestuhlung sollte sich dringend etwas ändern, enger geht’s nicht mehr!

Mittwoch, 02.August, 22:23 Uhr

Franz Gillinger

Regietheater

Das Regietheater in der Oper hat sich in eine Art Blase verwandelt, aus der es nicht mehr herauskommt. Und ich habe das Gefühl, das heuer das Jahr ist, wo es zu verstärkten Protesten gegen diese schlimme Werkverfälschung kommt: Ausgebuht wurden vor allem der Salzburger "Figaro" von Kusej, Die Bayreuther "Götterdämmerung", "Parsifal" war an der Grenze (die stolzen Brillenbesitzer klagten über eine Reizüberflutung - was haben sie anderes erwartet?)! Für mich war der lärmende Salzburger Don Giovanni (2021) von Castellucci (mitsamt der lauten Dirigiererei von Currentzis) ein absolut Tiefpunkt. Soche Aufführungen können ja auch wegen der allgemeinen Ablehnung nicht wiederholt werden. Der heurige "Macbeth" war musikalisch sehr gut - und szenisch ein überpsychologisiernder Schmarrn, mit eingeblendeten Zitaten (Pasolini z.B.), die mit dem Werk nicht das Geringste zu tun haben. Ich habe mir manche Aufführungen zum Glück nicht angesehen, und werde die Opern nur mehr hören, nicht sehen.

Mittwoch, 02.August, 20:29 Uhr

Dorfrichter Adam

@Hetby Neubauer

Ich gebe Ihnen ja Recht, dass die völlig gegen das Libretto gebürstete Inszenierung eine Zumutung ist (und ich stehe dem "Regietheater" aufgeschlossen gegenüber), aber wieso soll das "Woke Mist" (sic!) sein? Könnte es sein, dass Sie in Ihrem Rundumschlag da etwas durcheinander bringen?

Und noch etwas (auf die Gefahr, die redaktionelle Prüfung damit nicht zu überwinden): "Komm wir essen Oma" - Satzzeichen können Leben retten!

Mittwoch, 02.August, 20:11 Uhr

Stefan Simon

Holländer?

Weder dieser "Holländer" noch irgendwas auf dem Festspielhügel hat noch etwas mit Wagners Werken zu tun. Hier wird einmal mehr hochgejubelt. Hoffen wir, dass irgendwann keiner mehr diese geistige Onanie sehen möchte; denn dabei stört Publikum bekanntlich nur.

Mittwoch, 02.August, 13:55 Uhr

Franz Gillinger

Holländer

Die Sänger mögen ja gut sein, aber die Inszenierung ist wieder nur der verfälschende und unlogische Schmarrn des Regietheaters, das seinen Höhepunkt in sinnlosen Erschießen eines Daland-Matrosen findet.. heuer ist überhaupt das Jahr der Pistolen, von Macbeth zu Figaro. Lächerlich .

Mittwoch, 02.August, 13:17 Uhr

Hetby Neubacher

Holländer

Warum.wird so ein Müll eigentlich bejubelt der die Geschichte dieser Oper auf den Kopf stellt bloss um einem zeitgemässen Woke Mist zu folgen wie alles zur Zeit in Bayreuth??? Oper neu schreiben warum nicht gleich komplett. Der einzige der in Bayreuth vergewaltigt wird ist Wagner

Mittwoch, 02.August, 11:45 Uhr

Josep Mallol

Wo ist Wagner?

Wo ist Wagner's Libretto????

Mittwoch, 02.August, 11:26 Uhr

Gerlinde Seeger

Zur Kritik

Na ja, der Selbstmord der Mutter des Fliegenden Holländers kommt aber in der Legende gar nicht vor!!!
Ja, die Sänger sind wunderbar - leider "müssen" sie in dieser "doofen" Inszenierung von ihren Schiffen singen, obwohl sie komischerweise "nur" rauchend u. trinkend vor einer schäbigen Kneipe sitzen! Ätzend! Passt auch nicht zur wunderbaren Musik!

Mittwoch, 02.August, 11:06 Uhr

Gerald Bast

Musikalischer Genuss

Ich fand die Aufführung live im Festspielhaus musikalisch mitreißend und Klasse. Nichts gegen Lundgren, aber Michael Volle war ein beeindruckender Holländer. Wunderbar seine Duette mit Zeppenfeld und Teige. Hinsichtlich der Textverständlichkeit waren die beiden tiefen Stimmen unschlagbar, da tat ich mich beim Erik und Senta schon schwerer. Ein großes Kompliment auch an Oksana Lyniv, die das Orchester insbesondere im "Chorduell" zur Höchstleistung brachte.

Mittwoch, 02.August, 10:49 Uhr

Monika Kruse

Holländer

Auch mit Blindenbrille unerträglich

Übertragung ohne Bild ein reiner Genuss ohne Ablenkung

Mittwoch, 02.August, 09:58 Uhr

Herbert Hilsheimer

Holländer

Wäre dieser Ring nicht hätte man die gleiche Freude in Bayreuth wie in jedem Jahr

Mittwoch, 02.August, 09:16 Uhr

Kießling, Viola-Bianka

Sängerqualität

Leider kann ich der Kritik an einigen Punkten nicht zustimmen. Senta und Erik waren keinesfalls Weltniveau, sondern eher Mittelklasse. Die Senta hat sehr scharfe Höhen [mit vielen zu tiefen Tönen] und ein leider sehr unangenehmes Vibrato, was ja auch schon als Elisabeth unüberhörbar war! Diesem Gesang hört man nicht gern zu. Der Erik ist eine sehr schwere und undankbare Rolle. Ich habe leider noch keinen erlebt, der Senta oder den beiden anderen Männerprotagonisten ebenbürtig war. Schöne Tenorkantilenen habe ich aber definitiv nicht gehört, aber vielleicht habe ich auch nicht richtig zugehört?
Holländer und Daland waren großartig. Da hört man gern zu und benötigt auch kein Textbuch, weil man immer alles versteht. Das Eingangsduett - Extraklasse!
Oksana Lyniv bietet einen klaren, stringenten und wahnsinnig zupackenden Holländer, dessen Gestaltung man sich nicht entziehen kann! Brava!

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