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Der Ring des Nibelungen Wagners Ring als gelungene Graphic Novel

Die Umsetzung von Wagners "Ring des Nibelungen" auf der Bühne stellt die Regie vor Herausforderungen. Comiczeichner P. Craig Russell hat sich dieser Herausforderung auf eine andere Weise gestellt: in einer Graphic Novel. Ein Bilderwerk auf 450 Seiten ganz ohne die markante Wagnermusik – funktioniert das?

Wotandarstellung in der Graphic Novel von P. Craig Russell | Bildquelle: P. Craig Russell/Cross Cult

Bildquelle: P. Craig Russell/Cross Cult

Die Entstehung der Welt. Richard Wagner braucht in seiner Komposition des Rheingold-Auftaktes dafür genau 136 Takte. Der Comiczeichner P. Craig Russell schafft es auf dem Papier schneller: ihm reicht eine Seite mit sechs Bildern. Zu Beginn besteht seine schwarz-weiß Zeichnung nur aus einem kleinen Tropfen an einem Finger, der über mehrere Bilder anfängt zu wachsen. Erst als dieser Tropfen auf eine Oberfläche trifft und daraus eine große Esche wächst, taucht der Zeichner Russel seine Szene in Farben. Und gibt so ein Versprechen auf die farbenfrohen Zeichnungen, die in dem restlichen Comic zu Wagners Ring folgen werden.

Erfahrener Opernkenner am Werk

Es scheint so, als ob Russell mit seiner Zeichnung die unaufhörliche wissenschaftliche Diskussion um Wagners berühmten Es-Dur Akkord von der Musik- in eine Bildersprache übersetzen will. Und kann damit gleich zu Beginn skeptische Wagnerfans beruhigen. Denn: Craigs Zeichnungen berücksichtigen die Musik an vielen Stellen.

Wagners Leitmotivtechnik im Bildformat

Es ist nicht der erste Opernstoff, den P. Craig Russell als Graphic Novel umsetzt. Wolfgang Amadeus Mozarts "Zauberflöte" oder auch Richard Strauss‘ "Salome" hat er bereits illustriert. Russell ist ein Graphic Novel-Zeichner mit musikalischer Erfahrung. Und das ist seinen Zeichnungen anzusehen, wenn er beispielsweise Wagners Leitmotivtechnik in Bilder übersetzt. Nachdem Wotan im "Rheingold" dem Riesen den Ring übergeben hat, taucht in der Oper das Leitmotiv des Schwertes "Nothung" auf. In der Graphic Novel widmet Russell diesem kurzen Motiv zeichnerisch eine ganze Seite. Denn er will hier einen entscheidendes Moment der Handlung genau erläutern. Der Zeichner interpretiert das Auftauchen des Leitmotivs an dieser Stelle so, dass Wotan beschließt, Nothung in die Esche zu stoßen, damit sein Sohn Siegmund das Schwer als Held gewinnt. Damit begründet Russell, was die Figur Wotan in den nächsten Schritten der Handlung weiter antreibt. Durch solche Momente werden Figuren greifbarer und sind in ihren Anliegen leichter nachzuvollziehen als in Wagners Original.

Zeichnungen machen die komplizierte Handlung verständlich

Cover der Graphic Novel | Bildquelle: P. Craig Russell/Cross Cult Gott Donner "Ring des Nibelungen" als Graphic Novel von P. Craig Russell | Bildquelle: P. Craig Russell/Cross Cult Überspitzt könnte man sagen: Die Musik kann beim Lesen fast mitgedacht werden. Allerdings eher im Schnelldurchlauf. Denn an gewissen Stellen muss Wagners 16-stündiges Werk für die Graphic Novel eingekürzt werden. Es scheint aber, dass sich Russell an Stil und Ausdrucksmöglichkeiten des Comics orientiert, um zu entscheiden, welche Szenen er kürzt und welche er ausgestaltet. So ist beispielsweise das berühmte Schmiede-Motiv im 1. Akt des "Siegfried" nur als kleines verschriftlichtes "Tapata Ting Ting" zu erkennen, die musikalisch übersichtliche Kampfszene zwischen dem Drachen Fafner und Siegfried streckt sich hingegen über vier Seiten. Dennoch: Im gesamten Comic hält sich Russell überraschend genau an die Handlung der Oper. Einen Vorteil bietet hier auch ein Stilmittel, dass in dieser Form nur im Comic zu finden ist: Die Gedankenblase. Diese ermöglicht eine weitere personenbezogene Ebene. In der Oper nur angedeutete Handlungen werden hier direkt angesprochen, so zum Beispiel der Inzest zwischen Siegmund und Sieglinde – insgesamt elf Mal schickt Hunding seine Gedankenblasen an die Göttin Fricka. Durch diese zeichnerische Ebene gewinnt die Handlung des Rings an Klarheit. Die Orientierung in der Geschichte fällt leichter – vielleicht sogar leichter als in Opernabenden.

Textanpassungen erleichtern den Zugang

Unterstützt wird dies auch durch die vereinfachte Sprache in der Graphic Novel. Denn Wagners Text wird nicht eins zu eins übernommen. Charakteristische Alliterationen, wie etwa von Alberich: "Garstig glatter glitschiger Glimmer", klingen im Comic vereinfacht so: "Garstig glatt sind diese schleimigen Felsen. Weder mit Händen noch Füßen finde ich Halt." Diese Bearbeitung des Textes ermöglicht Ring-Neulingen einen guten Zugang zum Werk und steigert die Lust, dranzubleiben. In gewissen Momenten hält sich der Text aber streng an die originale Textvorlage und sorgt hier für Überraschungen: Ausrufe wie "Heda Hedo" des Gottes Donner oder der Walkürenruf "Hojotoho" werden auf einmal Comic-tauglich. Die Graphic Novel ist also für Wagners Drama bestens geeignet.

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Neue Möglichkeiten dank Graphic Novel

Wenn es nach der Darstellung des mehrfach ausgezeichneten Zeichners geht, so nutzt er die Freiheit der Darstellung und seine Fantasie genau dort, wo die Opernbühne ihre Grenzen hat. So können in der Graphic Novel problemlos Götter über eine Regenbogenbrücke schreiten, während gleichzeitig die Rheintöchter im Rhein ihr Leid besingen. Alberichs Tarnhelm kann den Zwerg in eine riesige Schlange und nur kurze Zeit später in eine kleine Kröte verwandeln. In seiner Zeichnung hält sich Russell eng an die Beschreibungen Wagners, rutscht nicht ins Abstrakte in der Darstellung der Figuren und Szenen, nein: Die Rheintöchter leben als ariellähnliche Nixen im Fluss, Nachtalberich ist ein kleiner grauer Zwerg und Wotan der übermächtige Göttervater mit Hermes-Flügeln. Und wohin man auch blättert, es gibt zahlreiche Actionszenen – typisch eben für eine Graphic Novel. Sei es der Zauber Wotans, der Kampf Siegfrieds gegen den Drachen Fafner oder die lodernde Burg Walhalls.

Inszenierung des "Rings" auf andere Art

Diese grenzenlosen Darstellungen sind im Medium der Graphic Novel möglich. Wer bei diesem Buch eine originale Wagnerversion des Rings lesen will, der wird vergeblich danach suchen. Jedoch kann und sollte das auch nicht das Ziel dieser Graphic Novel sein: Sie ist eine gelungene Form der Inszenierung des Rings. Nur eben nicht auf der Bühne, sondern auf 448 Seiten Papier.

Infos zur Graphic Novel

Philip Craig Russell: Der Ring des Nibelungen
Verlag: Cross Cult
448 Seiten
Preis: 49,99€

Kommentare (5)

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Freitag, 03.Februar, 04:00 Uhr

Wolfgang

Einen Kritikpunkt habe ich freilich...

...an der Rezension von Frau Lorenz.

Aus dieser geht nicht hervor, wie Russell mit der zentralen philosophischen Botschaft des "Ringes" umgeht, ja es ist nicht klar, ob er diese philosophische Ebene überhaupt wahrnimmt.

Gerade in der "Walküre" wird ja deutlich, dass Wotan mit Siegfried und dessen erhofften Nachkommen das Projekt der Einleitung eines menschlichen Zeitalter der Schönheit und Freiheit plant. Mit dem Tod Siegfrieds scheitert dieses Projekt, weshalb das philosophische Fazit des "Rings" ein pessimistisches ist, was wahrscheinlich auch mit dem Einfluss Schopenhauers auf Wagners zu erklären ist.

Wie versucht Russell mit dieser Thematik künstlerisch umzugehen? Nimmt er sie überhaupt wahr? Leider liefert Frau Lorenz hier keine Antworten.

Freitag, 03.Februar, 03:41 Uhr

Wolfgang

Hochkultur

Ich verstehe auch ehrlich gesagt nicht das kategorische Naserümpfen gegenüber Graphic Novels. Natürlich sind die überwiegende Mehrheit dieser Erzeugnisse Schund, aber das kann man ja auch über Romane sagen.

Grundsätzlich hat man die Möglichkeit, in dieser Kunstform Wertvolles zu leisten. Und der Autor hat hier mehr Möglichkeiten als der Romanschreiber, da er neben der textlichen Ebene auch noch die visuelle Ebene hat. Niemand bestreitet, dass "Watchmen" ein komplexes Kunstwerk ist.

Wenn Russell nicht die Möglichkeit hat, Opern in opulenter Weise zu inszenieren, da an den großen Opernhäuser werkgetreue Inzenierungen der Werke Wagners und insbesonders des "Rings" seit Jahren nicht stattfinden (dürfen?), dann ist eine Graphic Novel immerhin eine Notlösung, um den Stoff darzustellen.

Und wenn Frau Lorenz in ihrer Rezension Recht hat, dann ist dieses Buch tausendmal mehr Hochkultur als die Inszenierungen in Bayreuth und Berlin im letzten Jahr. Diese Verhunzungen waren Niedrigstkultur.

Donnerstag, 02.Februar, 15:33 Uhr

Sine Perlmann

Sinnfrei

Wozu soll das dienen???
Wagner-Fans und im Allgemeinen Menschen mit guten Geschmack werden diese Comics nur abstoßend scheußlich finden. Und diejenigen, die derartige Comics mögen, haben mit Wagner und Hochkultur nichts am Hut.
Manchmal frage ich mich warum BR-Klassik auf solche (verirrten) Züge aufspringt !?!

Donnerstag, 02.Februar, 06:14 Uhr

paul-ludwig voelzing

graphiv novel

scheußliche bilder

Donnerstag, 02.Februar, 01:34 Uhr

Wolfgang

Traurige Notwendigkeit

Das junge Publikum hat heutzutage überhaupt keine Chance, die Werke Richard Wagners im allgemeinen und des "Rings" im besonderen im Opernhaus visuell werkgerecht zu erleben (vom fernen Seattle mal abgesehen).

Daher ist es für musikinteressierte Jugendlich sinnvoll, sich durch einen solchen Comic die visuelle Grundausstattung zu holen (gibt natürlich noch andere Möglichkeiten auf youtube etc.), mit der man dann im Kopfkino Ergänzugen vornimmt, wenn man zu Hause Wagner via Tonträger genießt.

Leider haben die Regisseure die Jugend seit Jahrzehnten total hängen gelassen (ironischerweise unter dem Vorwand einer "zeitgemäßen Darstellung für ein jüngeres Publikum"!). Deshalb gebührt Russell der Dank, etwas gegen die Verwahrlosung getan zu haben. Und wenn die Autorin Recht hat, leistet er ja auch noch mehr. Umso besser!

Ich hoffe, unsere "geliebten" Kulturkommissare vebieten den Comic nicht mit der Beschwerde, es gehe in der gemanischen Götterwelt nicht "divers" genug zu.

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