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Kritik – Grigory Sokolov in Salzburg Praller-Party mit Purcell

Grigory Sokolov ist ein Phänomen, der rechtmäßige Erbe der russischen Klaviergötter Swjatoslaw Richter und Emil Gilels. Ein Mann mit Leuchtstoff in den Fingern. Bei den Salzburger Festspielen zeigt er, was er kann: Mehr Mozart geht nicht!

Grigory Sokolov in Salzburg | Bildquelle: SF/ Marco Borrelli

Bildquelle: SF/ Marco Borrelli

Er hat was von einem Faktotum, wie er so auf das Klavier zuwieselt, scheinbar blind für die zweitausend Menschen, die ja auch noch da sind. Ein kurzer, strenger Blick in den Saal, als er den Flügel erreicht, dann schwingt er den Frack zurück und lässt sich auf den Hocker fallen.

Die Salzburger Festspiele 2023 bei BR-KLASSIK

Lesen Sie alle Neuigkeiten rund um die Salzburger Festspiele in unserem Dossier.

Teatime im Festspielhaus

Bis hierhin war jede Bewegung so ökonomisch wie nur möglich, so reduziert, dass man fast geneigt ist, einen gewissen Widerwillen zu unterstellen. Sobald Sokolov aber in die Tasten greift, wird serviert. Jetzt fliegen die Hände, als würde er sich selbst dirigieren. Jetzt ist er zuhause in der Form. Ein bisschen ist das so, als wohne man einer stark ritualisierten Teezeremonie bei.

Und das wäre wahrscheinlich auch kein ganz falscher Kontext für diese Musik: Grounds, Rounds, Tunes und Suiten von Henry Purcell, dem englischsten aller Barockkomponisten. Teatime-Musik, zu der man schon den ein oder anderen Kräcker verkrümeln kann.

Klicktipp – Kunst, Moral und Currentzis

Ein umstrittener Dirigent am historischen Ort: In der Salzburger Stiftskirche St. Peter dirigierte Teodor Currentzis Mozarts c-Moll-Messe, gespielt von seinem eigens für Auftritte im Westen gegründeten Utopia Ensemble. Anlass für die Frage: Warum ist die Diskussion um Currentzis eigentlich so kompliziert? Hier geht's zum Kommentar.

Sokolov fällt aber es nicht schwer, zu beweisen, dass sie auch ins Breitwandformat des Salzburger Festspielhauses passt. Kaum ein Pianist hat ja so viel Leuchtstoff in den Fingern wie er. Und das zeigt er vom ersten Ton an: Starke, strahlende Oberstimmen, deutlich abgesetzt vom Bass. Leicht, aber auch majestätisch. Musik, die in die Brust hineinschwillt. Dazu der nachdenkliche Rhythmus, diese leisen Verzögerungen, die andeuten, dass die Richtung auch eine andere sein könnte. Ein Hauch von Improvisation.

Diese Triller sind der Thriller!

Und natürlich ist Purcell auch das: eine Triller- und Praller-Party. Und damit natürliches Terrain für einen wie Sokolov, der eine Verzierungstechnik mitbringt, die einfach von einem anderen Stern ist. Keiner spielt mit Tempo und Textur von Trillern so wie er: sirren, summen, brummen – wenn's sein muss kann er auch drummen. Wäre Klavierspielen olympisch, Sokolov hätte eine eigene Disziplin etabliert: den Trillerparcour.

Allerdings sind sie auch nicht ganz unproblematisch, die vielen Triller. Das wird mit zunehmender Konzertdauer spürbar. Schmal ist der Grat zwischen Barock und Rokoko, zwischen Verzieren und Verdicken. Irgendwann steht das Trickfeuerwerk dem einfachen, tänzerischen Charakter dieser Musik nämlich auch im Weg. Und deshalb ist es ein Glück, dass in dem Moment, in dem der Trillerstuck von der Decke zu bröckeln beginnt, Mozart übernehmen darf – Musik, der sich Sokolov mit einem ganz anderen Drive, einer anderen Geradlinigkeit widmet.

Mehr Mozart geht nicht: einfach und elegant

Hier gelingt ihm tatsächlich ein spektakulärer Balanceakt: Nämlich der zwischen Einfachheit und Eleganz. Sein Trick: Krasse dynamische Vielfalt, aber immer im Tempo. Rhythmische Freiheiten erlaubt sich Sokolov hier kaum. Spielt fast ein bisschen schnoddrig über komponierte Haltepunkte hinweg. Weiter immer weiter lautet jetzt die Devise.  

Auch wenn es ums Ende geht, also Mozart spätes Adagio (KV 540). Von einer "Vorahnung" spricht das Programmheft, einem Fingerzeig in Richtung Romantik. Aber passender wäre: Ratlosigkeit. Allein das Thema, dieser Aufstieg, der nirgends ankommt. Eine Frage ohne Antwort. Das könnte man jetzt super dramatisch anlegen, mit existentialistischer Geste, mit Pausen, die in Abgründe blicken lassen. Tut Sokolov aber nicht, was irgendwie sympathisch menschlich ist. Leben heißt eben auch: wegsehen, wenn’s nicht drauf ankommt. Manchmal auch, wenn‘s drauf ankommt. Nicht immer muss man aus einem Elefanten einen Elefanten machen.

Sendung: "Piazza" am 12. August 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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