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Teodor Currentzis in Salzburg Kunst und Moral – Ein Klärungsversuch

Ein umstrittener Dirigent am historischen Ort: In der Salzburger Stiftskirche St. Peter dirigierte Teodor Currentzis Mozarts c-Moll-Messe, gespielt von seinem eigens für Auftritte im Westen gegründeten Utopia Ensemble. Anlass für die Frage: Warum ist die Diskussion um Currentzis eigentlich so kompliziert?

Teodor Currentzis dirigiert Mozarts c-Moll-Messe bei den Salzburger Festspielen | Bildquelle: Salzburger Festspiele/Marco Borrelli

Bildquelle: Salzburger Festspiele/Marco Borrelli

Vielleicht muss man sich das Verhältnis von Kunst und Moral wie eine toxisch gewordene Ehe vorstellen. Als wären es zwei grundverschiedene Partner, die gefühlt schon ewig beieinander sind. Sie können nicht miteinander, sie können aber auch nicht ohne einander. Deshalb streiten sie pausenlos – und reden ständig aneinander vorbei. Denn natürlich will jeder das letzte Wort behalten.

Hört man den Unterschied? Natürlich nicht!

Teodor Currentzis hat vier Klangkörper, die auf ihn zugeschnitten sind. Zwei davon, MusicAeterna Chor und Orchester, treten im Westen nicht mehr auf, weil sie von russischen Staatskonzernen gesponsert werden. Die beiden anderen, Utopia Chor und Orchester, hat er für Konzerte im Westen gegründet. Finanziert, so wird versichert, ohne Unterstützung aus Russland. Hört man den Unterschied? Natürlich nicht. Currentzis klingt immer nach Currentzis. All die moralischen Zwickmühlen (oder auch, je nach Standpunkt: all die gewundenen Ausreden) stehen ja auf einem ganz anderen Blatt als die Noten.

Kunst passiert nicht im luftleeren Raum

Die Currentzis-Debatte ist ein Lehrstück über das vertrackte Verhältnis von Kunst und Moral. Man kann die beiden einfach nicht trennen – und doch funktionieren sie nach einer komplett unterschiedlichen Logik. Bessere Menschen singen nicht schönere Lieder. Böse haben auch welche. Aber Kunst passiert nicht im luftleeren Raum. Daran ändert sich auch nichts durch den ritualisierten Hinweis auf moralisch zweifelhafte, aber künstlerisch überragende Genies wie Richard Wagner oder Carlo Gesualdo. Denn dass "irgendwann Schluss" ist, dass es irgendeine moralische Grenze gibt, deren Überschreitung Folgen für die Kunst hat, müssen selbst die engagiertesten Verteidiger einer autonomen Kunst zugestehen.

"Gesinnungspolizei"

Der Dirgent Teodor Currentzis | Bildquelle: picture alliance / Vyacheslav Prokofyev/TASS/dpa | Vyacheslav Prokofyev In Russland tritt Teodor Currentzis mit dem Ensemble MusicAeterna auf, im Westen mit dem Utopia Chor und Orchester. | Bildquelle: picture alliance / Vyacheslav Prokofyev/TASS/dpa | Vyacheslav Prokofyev Nur: Wo genau ist Schluss? "Reicht" es, dass Currentzis im Westen mit Utopia auftritt, während er in Russland mit MusicAeterna weitermacht? Kriegt er das Unbedenklichkeitssiegel, weil er hier Geld von einer Stiftung des verstorbenen Red-Bull-Gründers Dieter Mateschitz nimmt, während er in Russland seine Ensembles von einer staatsnahen Bank sponsern lässt? Ist nicht schon die Frage falsch gestellt? Schließlich haben wir in Deutschland zum Glück, so war kürzlich in einer pointierten Currentzis-Kritik zu lesen, keine "Gesinnungspolizei".

Schweigen und Zustimmung

Es lohnt sich, die verschiedenen Ebenen auseinander zu halten. Denn nicht nur Kunst und Moral konkurrieren um die Deutungshoheit, sondern auch Recht und Politik. Juristisch gesehen gilt: Schweigen ist per se keine Zustimmung. Jurastudenten lernen das im ersten Semester. Currentzis schweigt eisern zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Stimmt er ihm damit zu? Rechtlich gesehen keinesfalls. Doch aus der moralischen und politischen Perspektive sieht das eben ganz anders aus.

Wütende Missverständnisse um das Wort "dürfen"

In der scheinbar so simplen Frage, ob Currentzis auftreten "darf", sind deshalb schon im simplen Wort "dürfen" die wütenden Missverständnisse vorprogrammiert. Natürlich darf er – rechtlich gesehen. Dagegen ist moralisch und politisch gesehen das Feld für den Meinungsstreit offen. Künstlerisch gesehen wiederum ist schon die Frage eine einzige Zumutung. Kunst muss nach ihrer internen Logik auf einer gewissen Unabhängigkeit von Moral und Politik beharren, sonst wäre sie bloß Dekoration oder Mittel zum Zweck.

Perspektiven trennen

So kommen sich in der Debatte um Currentzis ständig die verschiedenen Deutungsräume unserer Gesellschaft in die Quere. Jeder Deutungsrahmen, das Recht, die Moral, die Kunst und die Politik, hat seine eigene Logik. Jede dieser Perspektiven ist berechtigt und notwendig. Restlos trennen kann man sie auch nicht: Das Recht hat Auswirkungen auf die Politik, und selbst die Moral hat irgendwann Folgen für die Kunst. Eine simple Forderung wäre also: Wer irgendwas zu dieser Debatte beitragen will, sollte sagen, aus welcher Perspektive er gerade spricht. Sehr häufig geraten nämlich die Ebenen heillos durcheinander. Da kommen dann Statements wie: "Dieser Currentzis ist doch moralisch unappetitlich und außerdem mag ich nicht, wie er Mozart spielt."

Aktivismus und Kunst

Am Montag köchelte die Debatte weiter: Ein Posaunist des Utopia-Orchesters hatte offenbar in einem Sozialen Netzwerk russische Kriegspropaganda geteilt. Der Currentzis-kritische Blogger und Komponist Alexander Strauch hatte das recherchiert. Die Festspiele hätten ihm daraufhin mitgeteilt, so Strauch, dass dieser Posaunist nun doch nicht mitspielen werde. Ist das nun kunstfremde "Gesinnungspolizei"? Nein – sondern politischer Aktivismus im Raum der Kunst. Dass sein politischer Kampf an der Kunst vorbei gehe, muss sich Strauch nicht vorwerfen lassen. Aber er muss sich der politischen Frage stellen, was er denn nun konkret damit für die Ukraine bewirken will. Zugegeben: Die verschiedenen Ebenen auseinanderzuhalten, ist gar nicht so einfach.

Currentzis' Mozart: barocke Drastik und weniger Show

Wenig bis nichts geändert hat es am künstlerischen Ergebnis – und das verlangt nach einer künstlerischen Bewertung. Da fällt zunächst positiv auf, dass Currentzis viel weniger Show macht. Er verzichtet auf seine früher notorische Überinszenierung und zeigt Respekt vor dem Werk. Wolfgang Amadeus Mozart hinterließ seine c-Moll-Messe als monumentales Fragment. Currentzis folgt der überzeugenden Fassung von Ulrich Leisinger. In dieser Messe, neben dem Requiem sein großartigstes geistliches Werk, ließ sich Mozart von der Musik des Barock inspirieren, Händel und Bach klingen durch. Currentzis setzt, aus dieser Perspektive stimmig, ganz auf barocke Drastik.

Krasse Kontrastdramaturgie

Teodor Currentzis | Bildquelle: Nadja Romanova Teodor Currentzis führte Mozarts c-Moll-Messe bei den Salzburger Festspielen auf - und kostete Dissonanzen in der Musik lustvoll aus. | Bildquelle: Nadja Romanova Unüberhörbar ist er an der Historischen Aufführungspraxis geschult, die ja durch geschärfte Phrasierung die alte Musik zum Sprechen bringen möchte. Aber Currentzis und seine auf fantastischem Niveau musizierenden Ensembles satteln noch eins drauf: Sein pianissimo ist ein Hauch, sein fortissimo ein Erdbeben. Diese krasse Kontrastdramaturgie, dieser Kunstextremismus, dieses lustvolle Auskosten von Reibungen, Brüchen und Dissonanzen kommt eindeutig aus der Moderne. Im Solistenensemble gibt es gelegentlich Intonationstrübungen, ansonsten ist diese auf Currentzis-typische Weise ins Extrem gehende Lesart in sich überzeugend. Mit aller Energie kämpft Currentzis gegen das Klischee des Rokoko-Götterlieblings. In bester romantischer Tradition sucht er den dunklen, den nächtlichen, den dionysischen Mozart.

Jenseits der Kunst

Mit seiner Messe wollte Mozart nach der Geburt seines ersten Sohnes ein Gelübde erfüllen und zugleich das schwierige Verhältnis zum Vater Leopold reparieren. Der hatte versucht, Mozarts Heirat mit Constanze Weber zu verhindern. 1783 reiste Mozart mit seiner Frau nach Salzburg. Bei der denkwürdigen Uraufführung der fertigen Teile seiner Messe in der Peterskirche, wo das Werk auch nun wieder erklang, sang Constanze ein Sopransolo. Wirklich harmonisch wurde das Verhältnis trotz aller Bemühungen nicht. In diesem großen Kunstwerk überlagern sich verschiedene, letztlich nicht miteinander vereinbare Ebenen: Die Religion, die Musik und die persönlichen Beziehungen in der Familie. Das Kunstwerk überwältigt uns – aber ohne die Geschichten über die Menschen, die es komponiert und interpretiert haben, und ohne die Kontexte, etwa den wunderschönen Klangraum von St. Peter, kann uns Musik nicht erreichen. Wer der Kunst gerecht werden will, muss sich die Mühe machen, auch über Dinge zu reden, die außerhalb der Kunst liegen.

Das Recht gibt den Ausschlag

Also "darf das" Currentzis jetzt also? Ich meine: Letztlich sollte das Recht den Ausschlag geben. Solange er nicht explizit einem Verbrechen zustimmt oder sich für eindeutig politische Propaganda instrumentalisieren lässt, hat er das Recht, immer auch als Künstler gehört zu werden. Zugleich gibt sein künstlerischer Rang aber seinen Verteidigern nicht den Freibrief, die kritischen moralischen und politischen Fragen genervt beiseite zu wischen. 

Sendung: "Allegro" am 8. August 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (6)

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Samstag, 12.August, 19:09 Uhr

Anonym

...

Danke für diesen Artikel, der gekonnt versucht eine Brücke zwischen den aufgeheizten Gemütern zu errichten. Die Ebenen, aus denen wir eine Angelegenheit betrachten, spielen eine elemenatar wichtige Rolle.

Als Künstlerin möchte ich den Lesern an dieser Stelle Folgendes sagen:

Es dauert viele Jahre bis man als Künstler/in seine Ausbildung und künstlerische Reife erlangt hat. Weitere Jahre, um sich zu etablieren, Unterstützer / Kooperationspartner zu finden - die man sich nicht beliebig aussuchen kann. Weitere viele Jahre, um sich eine solide Reputation zu erarbeiten. Jahre, in denen man zu Gunsten des Berufes eventuell in ein anderes Land gezogen ist - weil es dort bessere Möglichkeiten für das gibt, was man tut (und wie man es tut). In diesen Dekaden dreht sich die Welt um einen weiter. Politische Situationen ändern sich.

Das Künstlerdasein ist wie eine Ehe: Wenn man sich etwas aufgebaut hat, fällt es schwer loszulassen, selbst wenn man weiß, dass es richtig und wichtig wäre.

Donnerstag, 10.August, 08:30 Uhr

Andrea Ems

Danke für die differenzierte Analyse

Habe den Artikel jetzt schon mehrfach geteilt, weil er ausgewogen und fundiert über den Dirigenten hinaus viele sehr aktuelle Themen aufgreift und einen Lösungsvorschlag bietet.
Die Kernaussage könnte zB auch für Literatur Ziel führend verwendet werden. Dann könnte man sich "unabhängig von Moral und Politik" auch das Umschreiben von großartigen Werken ins Woke sparen.
PS: Ich habe Currenzis schon live erleben dürfen und sehe ihn als Bereicherung für die musikalische Menschheit an. Habe zwischendurch aber ehrlich gesagt auch immer mal mit seinem Schweigen zum Krieg gehadert und dies wohl zu engstirnig gesehen - danke daher für diese anderen Einblick und Erklärung dieses Verhaltens. Und freu mich auf diesen Künstler schon wieder im November.

Mittwoch, 09.August, 11:42 Uhr

RENEE BETTINA SCHMITT

Kunst und Moral- ein Klärungsversuch

..ich bin begeistert von Bern Neuhoff 's essay, welches differenziert und sachlich Aspekte zur c-moll Messe Mozart ' s und seines Interpreten T.Currentzis aufzeigt, die über die aesthetische Wahrnehmung hinausgehen, sie vertiefen. Wunderbar lehrreich und inspirierend...

Mittwoch, 09.August, 10:33 Uhr

Renate Wolf

Currentzis

Mit dieser Diskussion wird schon zu lange von eifrig schreibenden, Papier bedeckenden Journalisten ein Thema übergangen: Verantwortung für Menschen übernehmen, die jahrelang mit und für ihn gearbeitet haben. Ein schwieriger Spagat. Die russischen Orchestermitglieder haben den Krieg weder angezettelt noch unterstützt. Sie sind abhängig von Putins Gnaden. Sollte Currentzis sie etwa aufgeben bzw. verraten? Als Wohlstandsbürger natürlich leicht zu beantworten von zu vielen Pressefuzzis. Dieser Artikel war wenigstens einigermaßen ausgewogen.

Mittwoch, 09.August, 09:22 Uhr

Edmund Nitsche

Kunst und Politik

Die andauernden Anspielungen, ob sich Curtentzis, Netrebko usw. beim Ukrainekrieg genug von den Russen distanziert hätten, nerven. Wahrscheinlich wissen die Rezensenten zu wenig über Kunst zu schreiben, weil sie immer moralisierend in den politischen Fettopf greifen. Dann sollen sie doch Redakteure für Weltpolitik werden.

Mittwoch, 09.August, 00:30 Uhr

Julia Miehe

Currentzis

Einfach interessant.

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