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Kritik – "La Bohème" am Landestheater Niederbayern Wohnen und Lieben ohne Aussicht

Kalt ist es in Paris und die Mansarde alles andere als romantisch: Markus Bartl zeigt Puccinis Rührstück "La Bohème" aus der Künstlerszene in Passau betont nüchtern bis steril. Diese "Bohème" ist vom Leben als solchem überfordert, nicht nur von der Liebe. Eine höchst zeitgemäße Deutung, die viel beklatscht wurde.

Szene aus "La Bohème" in Passau im Januar 2024. | Bildquelle: Landestheater Niederbayern

Bildquelle: Landestheater Niederbayern

Kritik

"La Bohème" am Landestheater Niederbayern

Für Weihnachten ist es bekanntlich nie zu früh oder zu spät, insofern geht der Rauschgold-Engel auf der Bühne des Landestheaters Niederbayern auch noch Ende Januar in Ordnung, ebenso wie die vielen hässlichen Rentierpullover, die Sternschnuppe und der sonstige Adventsklimbim. Im katholischen Passau wissen sie ja sowieso, dass die Weihnachtszeit rein liturgisch erst am 2. Februar endet, dem Lichtmess-Tag. Puccinis Rührstück "La Bohème", das nicht zuletzt auf weihnachtliche Sentimentalität setzt, ist auf dem Spielplan somit auch jetzt noch gut aufgehoben. Aber was dem einen sentimental erscheint, findet der andere schon gefühlsduselig und damit schwer erträglich.

Kein Kitsch: Markus Bartl sieht die "Bohème" kühl

An Puccini scheiden sich diesbezüglich die Geister. Immerhin: Seinen Rührstücken, wie etwa der "Madama Butterfly, zuletzt auch in Passau, ist vieles vorzuwerfen, aber sie funktionieren als solche immer und zuverlässig. Regisseur Markus Bartl wollte gleichwohl keine kitschigen Paris-Ansichten, keine armen, aber gemütlichen Studenten und keine Sozialromantik mit Zuckerwatte. Seine Inszenierung in der Ausstattung von Philipp Kiefer ist betont kühl gehalten, fast schon steril in der Optik. Mit Puccini ließe sich sagen, nicht nur das Händchen von Mimi ist in diesem Fall eiskalt, sondern auch die Welt, in der sie lebt. Markus Bartl: "Wenn wir von den Figuren und der Geschichte ausgehen, sehen wir weder den Eiffelturm, noch eine schöne Aussicht auf Paris, sondern wir sehen den Dreck der Hinterhöfe. Das ist es, was mich an dieser Geschichte interessiert: die Armut, das Kein-Geld-Haben, das Künstler-Sein-Wollen, immer an der Kante leben, immer am Rand des Abgrunds sein und dann noch darüber verzweifelte Witze machen, bis dann tatsächlich der Ernst des Todes in der Tür steht."

Eine nüchterne, zeitgemäße Deutung

Fraglich, ob in dieser "Bohème" überhaupt Künstler zugange sind oder nicht doch nur eingebildete Künstler, denn der Musiker, der Maler, der Schriftsteller, der Dramatiker haben ihre Ausbildung und Orientierungsphase ja allesamt noch nicht abgeschlossen. Sie sind noch nicht fertig mit dem Beruf und dem Leben, und das macht Markus Bartl überaus deutlich. Liebesbeziehungen mit dem Anspruch der Ewigkeit überfordern sie, wie auch das Schicksal der todkranken Mimi, die sich tapfer durch die vier Bilder hustet. Diese "Bohème" ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die Welt zu verbessern. Der Ernst des Lebens hat hier noch nicht vorbeigeschaut, diese Kindsköpfe haben noch Bewährungsfrist. Eine erfrischend nüchterne Deutung, eine sehr zeitgemäße Bestandsaufnahme.

Rodolfo macht "irgendwas mit Medien"

Schauen wir am Ende der viel geschmähten Generation Z bei der Selbstfindung zu? Einer Musetta, die in Samt und Seide unbekümmert Hof hält und auch mal öffentlichkeitswirksam strippt, einem Marcello, der Fassaden streicht, bevor er Gemälde schafft. Einem Rodolfo, der "irgendwas mit Medien" macht, aber sich nicht motiviert fühlt und einer Mimi, die ihre Zeit mit der Anfertigung von Dekorationsartikeln füllt. Klingt banal, aber Tränen fließen am Ende natürlich trotzdem. Vielleicht wird allerdings weniger Mimi betrauert, als der Leerlauf des eigenen Daseins.

Akustisch schwierig: Breitwandsound in Schulaula

Rein musikalisch ist Puccini viel zu großformatig für das Fürstbischöfliche Opernhaus in Passau, selbst mit kleinem Orchester. Der Saal hat die Ausmaße einer Schulaula, die Musik mindestens die Abmessungen der Mailänder Scala. Damit musste Dirigent Basil H.E. Coleman ebenso zurechtkommen wie Chor und Solisten. Sie wuchten ihre durchweg beeindruckenden Puccini-Stimmen in diesen begrenzten Raum, was ohne ihre Schuld hier und da arg gleißend und scharf klingt. Die Akustik will es so. Vincent Romero ist als Rodolfo ein ergreifend tollpatschiger Liebhaber in seiner bieder-braven Weste, Yitian Luan eine anrührende Mimi, die in ihrem Kittel an das Personal einer Tagespflege erinnert. Das ist nicht ironisch gemeint: Glamour liegt ihr fern. Emily Fultz als Musetta und Kyung Chun Kim als Marcello konnten stimmlich in jeder Hinsicht mithalten, so seelenvoll, wie sie bei der Sache waren. Insgesamt eine bemerkenswert mutige "Bohéme", die den verdienten Beifall fand.

Sendung: "Allegro" am 29. Januar 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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