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Konzertreihe "Music for the one God" Religiöse Musik von Frauen

Hildegard von Bingen und Barbara Strozzi, dazu hebräische Gesänge und Sufimusik. Die Konzertreihe "Music for the one God" spürt dem gemeinsamen Ursprung von Judentum, Christentum und Islam nach. Diesmal steht die Musik von Frauen im Mittelpunkt. Beim Konzert im Herkulessaal der Münchner Residenz treten unter anderem der Mädchenchor der Regensburger Domspatzen und Solistinnen aus München, Jerusalem und Istandbul. Initiator des Progarmms ist Dirigent Mehmet Yeşilçay.

Music for the One God - Mehmet C. Yesilcay | Bildquelle: Michael Krosny

Bildquelle: Michael Krosny

BR-KLASSIK: "Music for the one God" heißt Ihre Konzertreihe. Was kann Musik dazu beitragen, die Gesellschaft wieder zusammenzubringen?

Mehmet Yeşilçay: Dafür möchte ich den persischen Mystiker Rumi aus dem 13. Jahrhundert zitieren: "Musik ist das Knarren der Pforten des Paradieses". Das heißt, wenn wir zusammensitzen und Musik hören, glaube ich, haben wir weniger Gelegenheit, uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Sondern finden innere Ruhe und eine Balance, um mit dem Universum eins zu werden, um mit Gott eins zu werden. Und wenn man Atheist ist, kann man auch mit etwas anderem eine Einheit bilden – das ist das Motto dieses Programms.

Juden, Christen, Muslime, Aramäer waren früher in Palästina eine Kultur.
Mehmet Yeşilçay

BR-KLASSIK: Sie vereinen in diesem Konzert ganz explizit Musikerinnen und Musiker der drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Und auch die Musik transportiert religiöse Inhalte. Gibt es denn da Gemeinsamkeiten inhaltlicher Art?

Mehmet Yeşilçay: Ja natürlich! Man muss sehen, dass in Palästina, dem Heiligen Land, wenn wir das mal jetzt so nennen, seit mehreren Jahrtausenden diese Völker dort leben. Und die Konstellation, die heute existiert, das sind ja 90 Prozent Juden oder anders denkende Gläubige aus Europa. Aber in der früheren Zeit war es so, dass das eine Kultur war: Juden, Christen, Muslime, Aramäer. Die haben dasselbe gegessen, dieselbe Musik gemacht, möglicherweise in anderen Sprachen, manchmal in Hebräisch, eine Strophe in Aramäisch, eine andere Strophe in Arabisch – es war ein Amalgam der verschiedenen Kulturen. Und wenn wir uns da zurückbesinnen und diese Einheit wieder rekonstruieren können, besteht die Chance, aus diesem Amalgam der Kulturen ein Programm zu schmieden, das funktioniert. Das uns heute wieder zurückbesinnen lässt, auf das, was uns verbindet, was unsere Gemeinsamkeiten sind.

Music for the one God: Femina

Frauen im Mittelpunkt der Musik im Judentum, Christentum und Islam vom Mittelalter bis zum Barock. Konzert am 24. November 2023, 20:00 Uhr, Herkulessaal München
Musikalische Leitung: Mehmet Yeşilçay

Religiöse Musik von Frauen

BR-KLASSIK: In den Mittelpunkt des Konzerts rücken Sie Musik von Frauen. Jetzt ist es bei uns auch so, dass zum Beispiel in der katholischen Kirche die Frau eher zu schweigen hätte. Im Islam ist das je nach Auslegung auch so, dass es Frauen oft verboten wird, öffentlich zu musizieren. Was weiß man über Musik von Frauen gerade in diesen drei großen Weltreligionen?

Mehmet Yeşilçay: Man muss immer wieder unterscheiden, auch mit der ganzen politischen Betrachtung. Im Orient etwa kannte man das Format des Konzertes nicht. Musik wurde nur zu Hause gemacht. Erst ab dem 19. Jahrhundert finden Konzerte statt. Davor war Musik nur ein Teil der Philosophie wie etwa Mathematik. Gemeinsam sitzen, um miteinander Musik zu machen und über Dinge zu reden und zu sprechen, zu essen und eine schöne Zeit miteinander zu verbringen. Und das haben die Geschlechter meistens getrennt gemacht, weil Frauen ganz andere Themen zu besprechen hatten als Männer.

Man darf diese Restriktion nicht den Religionen zuschreiben, sondern das sind in die Traditionen.
Mehmet Yeşilçay

Man darf diese Restriktion, dass Frauen viele Dinge verboten waren, nicht den Religionen zuschreiben, sondern das sind die Traditionen. Ich glaube, dass der Islam, das Judentum und auch das Urchristentum, so will ich es mal ausdrücken, die Frau nicht verschmäht haben. Die Frau hat sogar einen wichtigen Platz: Maria, Sarah, Fatima, diese großen Powerfrauen haben die Propheten teilweise zur Welt gebracht! Jesus ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern er hat eine Mutter. Und diese Frau hat auch im Islam eine große Bedeutung. Sie bekommt zum Beispiel einen größeren Platz im Koran als im neuen Testament.

BR-KLASSIK: Blicken wir auf die Musik. Das Komponieren war ja hier, zumindest in Mitteleuropa, nicht so geläufig für viele Frauen. Sie haben jetzt Werke ausgegraben von Hildegard von Bingen, Barbara Strozzi, Francesca Caccini. Inwiefern waren das Ausnahme-Powerfrauen, so wie Sie es eben beschrieben haben?

Mehmet Yeşilçay: Ja, das waren Frauen, die die Kraft gefunden haben, die Konventionen der Gesellschaft zu überwinden und das um jeden Preis. Die sich nicht aufhalten ließen. Oder zum Beispiel Anne Boleyn, die auf dem Weg zum Schafott "Oh Death", also ein Lied, gesungen hat. Das ist natürlich eine Überlieferung, ob das wirklich so war, wissen wir nicht. Aber es ist immerhin eine schöne Geschichte. Und es gibt unzählige andere, die man vergessen hat. Das ist die Schuld von heute und nicht die Restriktionen, die man früher hatte. Warum macht man das denn heute nicht? Warum macht man keine Konzerte? Warum macht man keine Frauenprogramme?

Sendung: "Leporello" am 20. November 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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