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Bratschist Nils Mönkemeyer Südamerikanischer Barock auf der Viola

Die Viola ist sein Instrument und er bewegt sich mühelos im Repertoire vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Jetzt hat sich Nils Mönkemeyer ein neues Projekt vorgenommen: Barockmusik aus Lateinamerika. Damit tourt er derzeit unter dem Titel "Viola Latina".

Nils Mönkemeyer - Bratschist | Bildquelle: Irene Zandel

Bildquelle: Irene Zandel

BR-KLASSIK: "Viola Latina" lautet Ihr Programm und Sie spielen Barockmusik aus Lateinamerika. Von europäischen Eroberern erarbeitet, bearbeitet und komponiert. Was genau bedeutet das?

Nils Mönkemeyer: Das Ganze entstand aus einer Zusammenarbeit mit Rubén Dubrovsky, dem neuen Generalmusikdirektor am Gärtnerplatztheater. Er stammt aus Argentinien und hat sich sehr viel mit der Musik seines Heimatlandes und überhaupt mit der Musik Südamerikas beschäftigt. Nach einem Konzert im Wiener Musikverein kam er auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich mal Lust hätte, lateinamerikanische Musik auf der Bratsche zu spielen. Ich finde erstmal immer alles toll, was ich noch nicht kenne. Ich hatte zwar absolut keine Ahnung, wovon er überhaupt spricht, aber ich habe zugesagt. Das ist ganz tolle Musik. Musik, die vielleicht aus einer gewaltvollen Besetzung entstanden ist. Deswegen finde ich dieses Projekt besonders toll, weil wir ja im Moment in Zeiten leben, die sehr unfriedlich sind. Die ganze Historie Südamerikas ist ja sehr wechselvoll und schwierig. Viele haben sich an diesen Ländern bedient. Das tolle ist jedoch, das in der Musik dann plötzlich etwas herausgekommen ist, was eine Mischung aus der ureigenen, indigenen Musik ist und aus der Musik, die wir quasi aus Europa dahin gebracht haben. Und dann hat sich das gegenseitig befruchtet – und das ist die Grundlage dieses Programms.

Ich finde erstmal alles toll, was ich noch nicht kenne.
Bratschist Nils Mönkemeyer

Eine ganz eigene Art der Barockmusik

BR-KLASSIK: Das klingt nach einem sensiblen Terrain, in dem Sie sich da aufhalten. Die Nachwirkungen der Unterdrückung und Vernichtung indigener Völker in Südamerika sind bis heute zu spüren: traumatische Erfahrungen, die sich durch Jahrhunderte durchgezogen haben. Inwiefern haben sich die beiden Kulturen gegenseitig befruchtet? Was haben Sie da festgestellt? Wie weit war da wirklich eine Verschmelzung möglich? Und was ist daraus musikalisch entstanden?

Nils Mönkemeyer | Bildquelle: BR / Astrid Ackermann Bildquelle: BR / Astrid Ackermann Nils Mönkemeyer: Für mich ist es immer wieder ein Wunder, dass die Musik etwas ist, das alle Unterschiede und alle Grenzen einfach überschreitet. Es gibt zum Beispiel in Vera Cruz in Südamerika eine kleine Provinz, wo ein ganzes Dorf davon lebt, dass Gitarren hergestellt werden. Das sind im Prinzip Barockgitarren, wie wir sie aus dem 17. Und 18. Jahrhundert kennen, und das in verschiedenen Größen. Einerseits ist diese Musik dann irgendwie Barockmusik, andererseits auch etwas ganz anderes, was wir hier kaum kennen. So geht es eben in beide Richtungen. Wenn wir uns die Musik hier im Abendland anschauen, dann hat sich ja vor allem die Harmonik immer mehr entwickelt. Schon Bach hat sie weiterentwickelt. Und dann geht es immer weiter, bis beispielsweise zu Wagner, der quasi die Grenzen sprengt. Heute haben wir fast kein harmonisches System mehr, weil es sozusagen aus diesem Schema ausgebrochen ist. Wenn man sich nun die indigene Musik anguckt, dann ist diese unglaublich komplex, was die Rhythmen angeht. Etliches musste ich erst mal lernen, da ich in diese Richtung einfach nicht ausgebildet bin. Aus diesen beiden Elementen entsteht dann eine Art Barock-Band im besten Sinne. Am Ende ist das sehr mitreißend, gleichzeitig immer sehr emotional und es hat eben diesen ganz spezifischen Klang durch diese Barockgitarren und auch durch Percussion.

Instrumentenwissen: Viola

Teamplayer mit Humor

Treffen der Kulturen

BR-KLASSIK: Als Künstler ein neues Projekt zu starten, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht und auch neues Repertoire auf den Markt bringt und sie selber auch fasziniert und reizt – das ist das eine. Andererseits stellt sich ja die Frage, wieviel interkulturelle Relevanz birgt gerade dieses Projekt?

Nils Mönkemeyer: Im Prinzip sehe ich meine Aufgabe darin, dass ich Brücken schlage. Ich habe mit der Musik ein Kommunikationsmittel, das die sprachliche Barriere und die Barriere der Hintergründe und der Überzeugungen einfach überspringt. Insofern ist "Viola Latina" für mich ein Projekt, in dem Musik gespielt wird, wo zwei Kulturen aufeinanderprallen und daraus etwas Neues entsteht. Es ist eigentlich das schönste Beispiel für interkulturelle Verständigung.

Ich sehe meine Aufgabe darin, dass ich Brücken schlage.
Bratschist Nils Mönkemeyer

BR-KLASSIK: Diese Musik wurde von Komponisten geschrieben, die mit den europäischen Eroberern nach Südamerika kamen. Vielleicht könnte man sogar behaupten: Es handelt sich um Musik der Sieger. Inwiefern werden dabei Emotionen ausgedrückt? Sie haben bereits erwähnt, dass sie sehr rhythmisch und mitreißend ist. Wo ist jedoch die Perspektive der Unterdrückten?

Nils Mönkemeyer: Tatsächlich ist die Annahme nicht ganz korrekt, da viele dieser Werke Teil einer mündlichen Kulturtradition sind, die ohne schriftliche Überlieferung weitergegeben wurde. Die traditionelle Aufzeichnung von Musik, wie wir sie kennen, wurde erst durch die Jesuiten eingeführt, was dazu führte, dass viele Werke aus dem 19. Jahrhundert von im Westen ausgebildeten Menschen aufgeschrieben wurden, obwohl sie bereits älter waren. Es bleibt also fraglich, wer diese Musik genau geschrieben hat. Trotzdem stammen diese Werke eindeutig aus der Region. Daher kann man nicht sagen, dass es sich nur um Musik der Sieger handelt.

Volksmusik ist tief verwurzelt

BR-KLASSIK: Wie verbreitet ist diese Musik beispielsweise in Argentinien? Hier in Europa ist sie wenig bekannt. Wie wird sie dort gehört und erlebt?

Nils Mönkemeyer: Ich finde es faszinierend, wie tief verwurzelt diese Musik in Südamerika ist, im Gegensatz zum Verlust an unserem Bezug zur Volksmusik. Viele traditionelle Lieder und Tänze gehören dort zum Volksgut und sind tief in der Kultur verankert. Zum Beispiel gibt es Stücke aus Venezuela im Fünfvierteltakt, den wir hier erst später entdeckt haben. Für die Musiker vor Ort ist das selbstverständlich, während wir es erst lernen müssen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie diese Musik sozusagen aus dem Volk selbst entsteht, ohne eine formale Ausbildung zu benötigen.

Es ist immer wieder ein Wunder, dass die Musik alle Unterschiede und Grenzen überschreitet.
Bratschist Nils Mönkemeyer

Informationen zum Konzert

Nils Mönkemeyer, Rubén Dubrovsky und das Bach Consort Wien erkunden den musikalischen Kontinent von Argentinien bis Venezuela und folgen dabei den alten Wurzeln der verschiedenen Genres. Es werden Klänge einer Barockmusik zu hören sein, die von den spanischen Eroberern nach Südamerika gebracht wurden: Eine Begegnung zwischen lateinamerikanischer Kultur und europäischer Musik. Am Donnerstag, den 23. Mai 2024, spielen sie ab 19.30 Uhr zusammen im Münchner Gärtnerplatztheater. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sendung: "Leporello" am 22. Mai 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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