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Kritik: "Don Giovanni" in Nürnberg Ein gefallener Engel fährt zur Hölle

Unter Regie von Vera Nemirova hat die Oper "Don Giovanni" am Samstag Premiere am Staatstheater Nürnberg gefeiert. Dirigent Roland Böer zeigte dabei besonders die psychischen Abgründe, die Mozart für seine Titelfigur komponiert hat.

"Don Giovanni" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stoeß

Bildquelle: Bettina Stoeß

Ob man noch heute auf Männer wie "Don Giovanni" trifft? Auf einen Mann voll Charme, voll einfühlsamer Liebenswürdigkeit, nur auf den Augenblick, auf unmittelbare Lust bedacht, doch dabei ohne jedes Unrechtbewusstsein – oder sind diese Männer inzwischen ausgestorben? Der Titelfigur von Mozarts "Dramma giocosa" aus dem Jahre 1787 hat Regisseurin Vera Nemirova im Programmheft jedenfalls einen Liebesbrief geschrieben. Sie ist fasziniert von ihm, ohne Einschränkungen: Don Giovanni ein Engel, ein gefallener Engel! Doch er wird zur Hölle fahren.

Don Giovannis Sexclub

"Don Giovanni" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stoeß Bildquelle: Bettina Stoeß Schon die Ouvertüre malt ein düsteres Bild, und unter Roland Böer lässt die Staatsphilharmonie Nürnberg in Mozarts Musik immer wieder überraschend psychische Abgründe und Untiefen erahnen. Man hört sie unter Böer bisweilen wie neu. Die vorwiegend abstrakte Bühne von Jens Kilian öffnet immer wieder mit Türen, Fenstern und verschiebbaren Wänden, die plötzlich den Komtur zeigen, neue Räume. Vor ihnen geht es in modernen Kostümen von Marie Luise Strandt sehr lustvoll zu. Man ist nicht zögerlich um sexuell intim zu werden, auch oft zu dritt eng umschlungen, aber auch die Lederpeitsche fehlt nicht. Don Giovannis Schloss ist auch ein Sexclub. Man denkt manchmal an Stanley Kubricks Film "Eyes wide shut".

Kein Fall für "Me too"?

Ein Fall für "Me too" ist Don Giovanni bei Vera Nemirova jedenfalls nicht. Die Berührungen scheinen alle im Einverständnis zu erfolgen: Elvira verfolgt Don Giovanni geradezu als Stalkerin, Donna Anna ist zwischen tiefer Anhänglichkeit zu Don Giovanni und dem faden Don Ottavio hin und hergerissen, Zerlina voller Aufstiegswünsche aus ihrem Milieu. Fasziniert und distanziert von seinem Herrn ist aber auch der von ihm abhängige Diener Leporello. Unsympathisch ist in Nemirovas Inszenierung am meisten noch Don Giovannis Gegenspieler Don Ottavio, der Donna Anna nur heiratet, um so Karriere zu machen. In der Aufbahrungshalle schmiedet Don Ottavio seinen Plan gegen Don Giovanni, der ihn schließlich zu Fall bringt.

Zum Nachhören

Die Premiere am Staatstheater Nürnberg in voller Länge zum Nachhören finden Sie hier.

Lustvolle Spielfreude in Nürnberg

"Don Giovanni" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöß Bildquelle: Bettina Stöß Die Nürnberger Produktion beeindruckt vor allem durch die sehr lustvolle Spielfreude des Ensembles. Immer wieder sich forsch, aber auch nachdenklich zart sich ins Spiel bringend, Corinna Scheurle als Donna Elvira; tiefe berührende Gefühle aber vor allem bei Donna Anna (Julia Grüter), eher zurückhaltend Ottavio (SergeiNikolaev) – doch vor allem: Don Giovanni (Samuel Hasselhorn) und Leporello (Wonyong Kang) ein komödiantisch eingespieltes Paar, das auch sängerisch keine Wünsche offen ließ und durchaus weich, aber dennoch kraftvoll auftrumpfen ließ. Das Publikum verfolgte Mozarts Klassiker mit Entdeckungslust, Vergnügen und Neugier. Viel Beifall.

"Don Giovanni" am Staatstheater Nürnberg



Wolfgang Amadeus Mozart: "Don Giovanni"
In italienischer Sprache

Don Giovanni - Samuel Hasselhorn
Donna Anna - Julia Grüter
Don Ottavio - Sergei Nikolaev
Donna Elvira - Corinna Scheurle
Leporello - Wonyong Kang
Masetto - Demian Matushevskyi
Zerlina - Andromahi Raptis

Chor des Staatstheaters Nürnberg
Staatsphilharmonie Nürnberg
Leitung: Roland Böer

Informationen zu Tickets und weiteren Vorstellungen finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 22. Januar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Dienstag, 23.Januar, 13:36 Uhr

Apfelböck

Don Giovanni in Nürnberg

Nein, Vera Nemirova hat Gott sei dank keine neue Deutung des Don Giovanni inszeniert, kein Me-Too-, Frauen-Emanzipations-, Bauern- oder sonstiges Revolutions-Drama. Sie hat schlicht und einfach das Dramma giocoso (bitte kein a) auf die Bühne gestellt, das Mozart und da Ponte kongenial geschrieben und gewollt haben. Natürlich kann man sich manche Rollenauffassung deutlicher vorstellen. Aber insgesamt haben das im Vergleich zum Münchner Nationaltheater aus Spargründen eher kleine Ensemble der (Auch-) Staatsoper Nürnberg und die (Auch-) Staatsphilharmonie Nürnberg mit ihrem neuen Dirigenten Roland Boer ihre Aufgabe mit Bravour erfüllt. Danke.

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