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Regisseur Tobias Kratzer "Wagners Alberich ist eine fatalistische Figur"

Im "Ring des Nibelungen" ist Alberich ein zentraler Charakter. Oft wird er als unsympathisch wahrgenommen. Tobias Kratzer über Alberichs Komplexität, die Tragödie der Götter und das Thema Sterblichkeit.

Tobias Kratzer | Bildquelle: picture-alliance | Doris Spiekermann-Klaas TSP

Bildquelle: picture-alliance | Doris Spiekermann-Klaas TSP

BR-KLASSIK: Der Alberich ist bei Wagner der böse Bube, um es mal harmlos auszudrücken – mit geifernder Sprache und antisemitischen Klischees ... Wie gehen Sie damit im Jahr 2024 um?

Tobias Kratzer: Eine große und wichtige Frage. Alberich ist neben dem Ring, der ja ein Objekt ist, die Titelfigur des Zyklus', das darf man nicht vergessen. Dieser Nibelung Alberich ist zwar erst einmal eine Figur, die auf den ersten Blick unsympathisch wirkt, aber Wagner widmet ihr eine unglaubliche Präzision. Wie so oft ist das Werk klüger als die theoretischen Äußerungen des Schöpfers. Von der ersten Szene an spürt man trotz Alberichs nicht immer sympathischen Gehabes eine große Empathie, die Wagner durch die Musik für ihn entstehen lässt. Alberich wird schon in der ersten Szene durch die Rheintöchter gedemütigt, was der Figur eine interessante Dialektik verleiht. Einerseits will er alles – Liebe, Geld, den Ring, die Tarnkappe – und das sofort. In all diesem Wollen ist Alberich extrem unmäßig, hat aber ein großes Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit. Für mich ist er eine fatalistische Figur, die weiß, dass ihr nur eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten bleibt – und dass danach nichts kommt.

Alberich ist eine unangenehme Figur, doch in seiner fatalistischen Haltung steckt etwas, das jeder von uns nachvollziehen kann.
Tobias Kratzer

BR-KLASSIK: Alberichs Einstellung zur Welt ist unangenehm, aber verständlich?

Tobias Kratzer: Ja, das ist das Schreckliche daran. In einem hinteren Teil unseres Kopfes können wir Alberichs Haltung nachvollziehen, was uns die Figur näherbringt als uns vielleicht lieb ist. Auch Unsympathen sind Menschen. Das zu akzeptieren fällt einem ja manchmal im Alltag schon schwer, geschweige denn in der großen politischen Debatte. Aber das ist so – und darin liegt auch eine gewisse Humanität. Dennoch darf man Alberich nicht verharmlosen. Er bleibt eine schwierige Figur, doch gerade diese Ambivalenz macht ihn interessant. Wenn er gedemütigt wird und ein Gott seine Macht beweisen muss, indem er einen Menschen erniedrigt, empfindet man plötzlich Mitleid mit Alberich. Das bringt den Zuschauer in moralische Dilemmata.

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Ein Crashkurs zu Wagners Oper "Rheingold"

Der Glaube der Götter im "Ring"

BR-KLASSIK: Gibt es im "Ring" Figuren, die an die Götter glauben?

Tobias Kratzer: Im Stück selbst sind es Figuren wie Hagen oder Hunding, die den Glauben an die Götter hochhalten. Es gibt auch die These, dass die Existenz der Götter von der Akzeptanz und dem Glauben der Menschen abhängig ist. Ohne Glauben beginnen die Götter zu verblassen. Das ist eine Idee, die ich im gesamten "Ring" verfolge: Sind die Götter ohne den Glauben der Menschen noch existent?

BR-KLASSIK: Gibt es im Stück Hinweise auf die Begrenztheit der Götter?

Tobias Kratzer: Ja, im "Ring" wird deutlich, dass den Göttern ein Attribut fehlt, das in der abendländischen Religionsgeschichte sehr wichtig ist: die Allmacht. Sie haben zwar Macht, aber keinen Zugriff auf alles, besonders nicht auf das Rheingold, das eine elementare Naturkraft darstellt. Erst als Alberich das Gold in zweckdienliche Objekte verwandelt, wird es für die Götter relevant. Sie selbst konnten über diese Urkraft nicht verfügen.

Sterblichkeit bei Alberich, Unsterblichkeit bei Wotan

BR-KLASSIK: Was ist die zentrale Frage, an der Sie sich in diesem "Monsterwerk" orientieren?

Tobias Kratzer: Für mich gibt es zwei zentrale Tragödien im "Ring", die sich an Alberich und Wotan festmachen. Die eine ist die Tragödie der Sterblichkeit bei Alberich, die andere die Tragödie der Unsterblichkeit bei Wotan. Beide führen zu großem Unglück, sowohl auf politischer als auch auf menschlicher Ebene. Wenn Menschen sich für unsterblich halten und nicht über ihren eigenen Lebenshorizont hinaus und für die nächste Generation mitdenken, erwächst daraus viel Leid, sowohl innerfamiliär als auch gesamtgesellschaftlich.

Sendung: "Das Rheingold" live aus dem Münchner Nationaltheater am 27. Oktober 2024 ab 17:30 Uhr auf BR-KLASSIK

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