Ein wiederentdecktes Stück, eine unbekannte Komponistin und ein großer Schatz: Die Sopranistin Nicole Car führt gemeinsam mit dem Münchner Rundfunkorchester Clémence de Grandvals "Mazeppa" auf und erzählt im Interview von den Schwierigkeiten und Herausforderungen solcher Stücke.
Bildquelle: Yan Bleney
BR-KLASSIK: Nicole Car, wie lange mussten Sie überlegen, als man Sie gefragt hat, ob Sie diese sehr ungewöhnliche Rolle singen möchten?
Nicole Car: Wenn Alexandre Dratwicki und die Stiftung "Palazzetto Bru Zane" mir ein Projekt vorschlagen, sage ich grundsätzlich fast schon blind zu, weil ich weiß, dass Alexandre die Partitur genau studiert hat und auch genau weiß, was zu meiner Stimme passt. Wir können dann diese spannenden, völlig unbekannten Stücke machen. Ich glaube, ich habe höchstens eine Minute gezögert.
Die Stiftung "Palazzetto Bru Zane" kümmert sich um die Wiederentdeckung und Veröffentlichung französischer Komponistinnen und Komponisten der Romantik, etwa die CD-Box "Compositrices" oder Charles Gounods "Le Tribut de Zamora". Das Münchner Rundfunkorchester führt diese unbekannten Werke regelmäßig auf.
BR-KLASSIK: Haben Sie den Namen Clémence de Grandval vorher schon mal gehört?
Nicole Car: Nein, leider habe ich den Namen noch nie vorher gehört. Aber ich bin so froh, dass wir einerseits eine tolle Komponistin feiern, und andererseits etwas zusammensetzen können, was ursprünglich an der Pariser Oper hätte aufgeführt werden sollen. Wer weiß, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn die Umstände andere gewesen wären. Umso schöner, dass dieser Name, den sicher viele noch nie gehört haben, endlich zum Strahlen gebracht wird.
BR-KLASSIK: Lassen Sie uns zunächst über Ihre Rolle an die Musik herantreten. Was ist die Matréna für eine Figur?
Nicole Car: Ein interessanter Charakter. Sie ist eine junge Frau, die verliebt ist. Die aber auch von Krieg umgeben ist. Und von Männern: Sie ist die einzige Frau im Cast. Da ist viel Testosteron um sie herum. Sie übernimmt darin den weicheren Part inmitten der harten Soldatenkerle. Gleichzeitig steckt in dieser Weichheit viel Kraft. Das sieht man in den Szenen mit Iskra und gegen Ende mit Mazeppa.
Vielleicht sehen das die Männer anders, aber ich halte Matréna für den spannendsten Charakter im Stück.
BR-KLASSIK überträgt die Aufführung des Münchner Rundfunkorchesters von "Mazeppa" unter der Leitung von Mihhail Gerts live aus dem Prinzregetentheater am Sonntag, 19. Januar 2025, ab 19 Uhr.
BR-KLASSIK: Es gibt also eine dramaturgische, emotionale Entwicklung in dieser Rolle?
Nicole Car: Definitiv. Ich liebe dramatische Rollen, und diese gehört dazu. Matréna ist sicher nicht das unschuldige Mädchen vom Lande. Sie macht eine enorme Entwicklung durch. Vielleicht sehen die Männer das anders, aber ich halte sie für den spannendsten Charakter im Stück.
BR-KLASSIK: Wie macht das Clémence de Grandval? Welche Klänge findet sie für diese Figur?
Nicole Car: Sie hat bei einigen der großen Komponisten der Zeit studiert, unter anderen bei Massenet, Gounod und Chausson. Hier klingt es nach "Faust", dort nach "Thaïs", dann wieder nach "Madama Butterfly". Es ist schon interessant, diese Schule hört man bei Grandval durchaus.
Für das Publikum ist es eine Chance, ganz in den Stoff einzutauchen, ohne von Bühne und Kostümen abgelenkt zu sein.
BR-KLASSIK: Konzertante Oper – ist das ein Widerspruch in sich? Gerade im Finale, wenn die Figur wahnsinnig wird?
Nicole Car 2020 mit dem Münchner Rundfunkorchester. | Bildquelle: BR/Markus Konvalin
Nicole Car: Es ist schon eine besondere Herausforderung, wenn wir die Oper im Konzert aufführen. Mir gefällt es, weil wir uns so ganz auf die Musik konzentrieren können. Ganz im Dienst der Partitur können wir zeigen, wie die Emotionen in der Musik gespiegelt sind. Komplett trennen kann man die Aktion von der Musik ohnehin nie. Denn ich bin ja mitten im Drama, und das wird man natürlich auch bemerken. Aber auch für das Publikum ist es eine Chance, ganz in den Stoff einzutauchen und das Drama mitzuerleben, ohne von Bühne und Kostümen vielleicht abgelenkt zu sein.
BR-KLASSIK: Konkret auf die Szene bezogen: Wie ist die Wahnsinnsszene? Und was passiert im letzten Akt?
Nicole Car: Es ist schon insofern interessant, weil wir das Ballett miteinbeziehen. Das war zwar üblich damals in der Zeit. Aber heutzutage würde man es vermutlich eher weglassen, zumindest in einer szenischen Produktion. Aber das Ballett bringt uns zum letzten Akt: Ich sehe die Szene schon als Wahnsinnsszene, meine kleine persönliche Lucia di Lammermoor. Das sage ich, weil ich weiß, dass ich Lucia nie singen werde. Verglichen mit den ersten Akten mit groß instrumentierten, orchestralen Stellen wird es im letzten Akt eher reduziert und subtil.
Das Münchner Publikum ist immer so gebildet und herzlich.
BR-KLASSIK: Jetzt sind Sie gerade etwas länger in München und werden auch noch an der Staatsoper singen. Wie gut kennen Sie München?
Nicole Car: Ich liebe München und bin froh, hier auch mal für eine längere Zeit zu sein. Das Publikum ist immer so gebildet und herzlich. Letzte Saison war ich für eine "Bohème" an der Staatsoper und ich war leider etwas angeschlagen während der Aufführungsreihe. So viele Menschen haben nach der Aufführung hinter der Bühne gewartet, um ihre Anteilnahme zu zeigen, und wertzuschätzen, dass ich trotzdem gesungen habe. München ist eine großartige Stadt, und ich liebe es, hier zu singen. Also wer immer mich buchen möchte: Ich komme!
BR-KLASSIK: Haben Sie irgendwelche bevorzugten Plätze oder kulinarische Highlights in Bayern, guilty pleasures?
Nicole Car: Ich habe selten Zeit. Ein Projekt wie in dieser Woche ist sehr intensiv. Da komme ich leider selten raus. Aber ich liebe es, auf dem Marienplatz herumzulaufen. Letztes Mal war ich in der Weihnachtszeit hier. Weihnachtsmärkte in München sind immer großartig. Ich wünschte, ich hätte ein bisschen mehr Zeit, um auch mal einen kleinen Ausflug in die Berge zu machen. Ich wünschte, ich hätte guilty pleasures. Leider nein …
BR-KLASSIK: Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie nicht singen oder irgendwo engagiert sind. Was sind Ihre Hobbys?
Nicole Car: Ich habe einen achtjährigen Sohn und einen Hund. Mein Mann ist auch Sänger. Deswegen habe ich tatsächlich nicht viel Zeit. Ich verbringe fast den ganzen Tag damit, Musik zu lernen, weil ich viele Rollendebüts habe. Das klingt total langweilig, oder? Na ja, ich liebe es, zu kochen. Ich mag es, einfach zu Hause zu sein, zusammen mit meinen Jungs, und nicht zu singen. Das ist vielleicht mein guilty pleasure.
BR-KLASSIK: Und ihr Lieblingsrezept?
Nicole Car: Oh, ich liebe Desserts, jede Art von Patisserie. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum wir in Paris wohnen, ich weiß es nicht. Aber Patisserie in jeglicher Form, die backe ich gern, immer und für alle! (lacht)
Sendung: "Allegro" am 17. Januar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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