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Thomas Quasthoff beim BRSO Premiere in der Isarphilharmonie

In diesem Jahr feiert er sein 50-jähriges Bühnenjubiläum: Thomas Quasthoff. Beim Galakonzert mit dem BRSO übernimmt er in Schönbergs "Gurre-Liedern" den Sprecher-Part und freut sich auf die erneute Zusammenarbeit mit Simon Rattle. Bei fast allen Aufführungen des Werks, die Rattle bislang geleitet hat, war Quasthoff mit von der Partie. 2012 hat der Bassbariton seine Karriere als Opern-, Konzert- und Liedsänger beendet, aber in diversen Jazz-Formationen eine neue Bestimmung gefunden.

Thomas Quasthoff Porträt | Bildquelle: BR / Bernd Brundert

Bildquelle: BR / Bernd Brundert

BR-KLASSIK: Herr Quasthoff, welche Funktion hat denn der Sprecher in den "Gurre-Liedern" von Arnold Schönberg?

Thomas Quasthoff: Funktion würde ich das gar nicht nennen. Es ist so ein lyrischer Einschub, der in den wunderbaren Schlusschor überleitet – der endet ja dann in diesem bombastischen C-Dur. Im Grunde genommen ist es, wie immer in diesen alten nordischen Sagen mit ihren verrückten Stories, eine wunderschön komponierte Naturbetrachtung. Ich finde, dass Schönberg mit den "Gurre-Liedern" ein Glanzstück gelungen ist, weil es so eine Mischung ist aus letzter Spätromantik, aber eben auch aus ganz irisierenden, fast neutönerischen Klängen, die man dann nachher viel mehr von ihm gehört hat. Ehrlich gesagt, gefällt mir das Tonale bei Schönberg besser. Ich hatte mit seinen atonalen Sachen immer ein bisschen Schwierigkeiten in meiner Karriere, obwohl ich das auch gesungen habe. Aber ich mag diese Sprechrolle wahnsinnig gern. Ich habe das mit Simon schon ziemlich oft gemacht. Insofern ist das ein großes Vergnügen. Und: Ich war noch nie in der Isarphilharmonie – das ist meine Premiere!

SCHÖNBERGS SPRECHGESANG HAT ES IN SICH

BR-KLASSIK: Wie hat Schönberg denn das in der Partitur notiert? Hat er den Rhythmus festgelegt, die Tonhöhen?

Thomas Quasthoff: Also die Tonhöhen sind nicht festgelegt – nur der Rhythmus, der ist ganz klar notiert und muss auch mit dem Orchester zusammengehen. Das macht es nicht immer ganz einfach. Also ganz leicht ist es nicht, weil es ziemlich wenig Orientierungsmöglichkeiten gibt und weil das Orchester relativ frei spielt an diesen Stellen. Aber dafür haben wir ja einen weltberühmten Dirigenten, der das Ganze zusammenhält. Und der macht das ganz toll.

Ich war noch nie in der Isarphilharmonie – das ist meine Premiere!
Thomas Quasthoff

BR-KLASSIK: Die Partie verlangt auf jeden Fall Musikverständnis. Denn als Mariss Jansons dieses Stück 2009 beim BRSO aufgeführt hat, war ein Schauspieler für die Partie engagiert, der mit Schönbergs Sprechgesang aber nicht zurechtgekommen ist. Und dann übernahm Michael Volle, der den Bauern gesungen hat, kurzerhand auch noch die Sprecher-Partie – aufschlussreich, oder?

Thomas Quasthoff: Das habe ich früher übrigens auch gemacht, zum Beispiel in unserer Aufnahme 2001 mit Simon in Berlin, da habe ich den Bauern gesungen und das Melodram gesprochen. Das macht man oft so. Aber ich bin ja nun seit zwölf Jahren raus und werde nicht zum Wiederholungstäter. Ich habe jetzt meinen Jazz, es macht mir wahnsinnig viel Spaß – und ich werde sicher nicht rückfällig.

FÖRDERUNG UND HERAUSFORDERUNG

BR-KLASSIK: Was für ein Verhältnis haben Sie denn überhaupt zu Simon Rattle, wie hat sich das über die Jahre entwickelt?

Probe im Gasteig HP8, Isarphilharmonie: Der Künstlerische Leiter des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Sir Simon Rattle. | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann Probe im Gasteig HP8, Isarphilharmonie: Dirigent Simon Rattle. | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann Thomas Quasthoff: Simon hat mir gerade in der Probe gesagt, er habe die "Gurre-Lieder" nur ein einziges Mal mit jemand anderem gemacht. Das nehme ich jetzt einfach mal als Kompliment für mich. Ich habe Simon wahnsinnig viel zu verdanken, zum Beispiel die Entscheidung, Oper zu machen. Das hätte ich ohne ihn ganz sicher nicht gemacht. Simon hat mich immer künstlerisch herausgefordert. Ich freue mich bei ihm jedes Mal besonders auf die Probenarbeit, weil das noch intensiver ist – im Konzert lieferst du ab, und dann ist es weg. Aber hier mit Simon so tief in die Materie einzutauchen ist beglückend – wie er arbeitet, wie genau er ist und wie liebenswert auch in den Proben. Ich habe ganz andere Dirigenten erlebt, wo das anders aussah.

Ich habe jetzt meinen Jazz, es macht mir wahnsinnig viel Spaß.
Thomas Quasthoff

GELEBTE INKLUSION

BR-KLASSIK: Wie hat das angefangen?

Thomas Quasthoff: Ich habe bei einem von Rattles allerersten Antrittskonzerten gesungen – und das war Liebe auf den ersten Blick zwischen uns. Soweit ich weiß, hatte er ja auch eine behinderte Schwester, die autistisch war. Das heißt, er hat auch selber früh gelernt, mit Behinderungen umzugehen. Und wir hatten wirklich vom ersten Augenblick an eine ganz besondere Intensität in unseren Begegnungen. Es war immer unglaublich herzlich, ich wohnte quasi in einer Parallelstraße in Berlin, war auch bei ihm zu Hause und bin mit Magdalena befreundet. Das ist schon eine sehr besondere Beziehung.

EIN PREIS UND SEINE FOLGEN

BR-KLASSIK: Sie haben 1988 beim ARD-Musikwettbewerb den ersten Preis gewonnen. Der Wettbewerb steht wegen des Kostendrucks in der ARD immer wieder mal zur Disposition. Was hat Ihnen dieser Preis damals gebracht?

Thomas Quasthoff: Das war die Initialzündung für eine große internationale Karriere. Ich meine, da waren immerhin Leute am Start wie Siegmund Nimsgern oder Jessye Norman, die den Wettbewerb auch gewonnen haben. Und für mich ganz besonders als primären Konzertsänger war das wie eine Rakete. Alle wollten danach mit mir Konzerte und Liederabende haben, und ich glaube, ich war einer der wenigen Künstler, die von Konzerten und Liederabenden leben konnten. Das kann heute ja fast keiner mehr. Das waren halt auch noch andere Zeiten. Aber mir hat der ARD-Wettbewerb definitiv geholfen, eine große internationale Karriere zu machen.

NOCH EIN JUBILÄUM

BR-KLASSIK: 2024 feiern Sie ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum – Sie sind aber erst 64. Wie kann das sein?

Thomas Quasthoff: Ich habe mit vierzehn mein erstes bezahltes Solokonzert gesungen – also die 50 Jahre sind nicht erfunden. Das war eine relativ große Altus-Arie in einer Buxtehude-Messe, das weiß ich noch, und weil das mein erster großer Soloauftritt war, datiere ich das von da an. Das sind summa summarum 50 Jahre, die ich auf der Bühne stehe.

Das Galakonzert ansehen

Hier können Sie das Jubiläumskonzert des BRSO in voller Länge anschauen.

HUMANITY IN WAR

BR-KLASSIK: Gratulation. Wie begehen Sie denn Ihr Bühnenjubiläum?

Thomas Quasthoff: Also ich habe mehrere schöne Projekte am Laufen. Ich habe zwei Bands, mit denen ich zusammenspiele. Die eine Band besteht aus einem Posaunisten und einem Gitarristen, mit denen wir Standards spielen – und es macht wahnsinnigen Spaß. Die andere Band ist renommierter, weil Wolfgang Haffner, Simon Oslender und Dieter Ilg auch im europäischen Bereich sehr arrivierte Jazz-Musiker sind – wir haben gerade in der ausverkauften Elbphilharmonie gespielt. Dann habe ich ein Projekt mit dem Amatis Trio, einem fantastischen jungen Klaviertrio, das heißt "Humanity in War", wo ich aus Tagebuch-Eintragungen von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg lese. Wir haben ein Musikprogramm um diese Feldpostbriefe herum gebaut, das sehr berührend ist. Weil es nicht nur Horrorstorys sind wie blutrünstige Geschichten von Erschießungen, sondern Briefe, wo der Vater von der Front schreibt: Hört bitte auf die Mutter, das ist für sie jetzt nicht einfach. Oder es gibt einen wunderbaren Brief einer Frau, die an den Vorgesetzten ihres Mannes schreibt: Schick‘ mir meinen Mann nach Hause, sonst gehe ich fremd! Es ist das Vielseitigste, was man sich in Kriegssituationen vorstellen kann.

BR-KLASSIK: Leider sehr aktuell…

Thomas Quasthoff: …leider sehr, sehr aktuell. Das ist aber so nicht geplant gewesen, wir hatten den Plan schon lange und denken über eine Fortsetzung nach. Mit Katharina Thalbach und anderen Leuten präsentiere ich Schlager von 1920 bis heute. Dann mache ich Goethe-Schiller-Lesungen in Weimar und Rudolstadt, ein Hanns-Dieter-Hüsch-Programm und ein Projekt im Berliner Schlosspark Theater bei Dieter Hallervorden, wo ich öffentliche Masterclasses gebe. Also mein Berufsleben ist breiter angelegt als zu meinen klassischen Zeiten.

"Gurre-Lieder" live im Radio

Das Galakonzert des BRSO zum 75. Jubliäum wurde am 19. April live ab 20:05 Uhr aus der Isarphilharmonie in München auf BR-KLASSIK übertragen – und am 20. April um 22 Uhr im BR Fernsehen.

"Gurre-Lieder" von Arnold Schönberg
Oratorium in drei Teilen für Soli, Sprecher, Chor und Orchester

Sir Simon Rattle, Dirigent
Simon O'Neill, Tenor (Waldemar)
Dorothea Röschmann, Sopran (Tove)
Jamie Barton, Mezzosopran (Waldtaube)
Josef Wagner, Bassbariton (Bauer)
Peter Hoare, Tenor (Klaus-Narr)
Thomas Quasthoff, Sprecher

Chor des Bayerischen Rundfunks
MDR-Rundfunkchor
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Sendung: "Leporello" am 18. April 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Vier plus vier ergibt?

Freitag, 19.April, 15:24 Uhr

Beate Schwärzler

Die Gurre-Lieder // Arnold Schönberg //

...noch 4 Stunden und 41 Minuten ...

Da muß die Grippe den Atem anhalten.

Und was und wie Thomas Quasthoff spricht - ich werde genau hinhören.

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