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BR-KLASSIK feiert Beethovens 250. Geburtstag

Igor Levit erklärt Beethovens "Waldsteinsonate" Das größte Geschenk

Für Igor Levit ist es das Herzensstück schlechthin. Die Waldsteinsonate hat eine unvergleichliche Energie: Vibration, pure Lebendigkeit, Glückshormone. Ein Wendepunkt in der Geschichte der Klaviermusik. Im BR-KLASSIK-Podcast "32 x Beethoven" verrät Igor Levit, warum dieses Werk für ihn unter allen Beethoven-Sonaten "das größte Geschenk" ist.

Igor Levit | Bildquelle: Felix Broede

Bildquelle: Felix Broede

"Wenn ich für irgendetwas studiert habe, dann dafür", sagt Igor Levit im BR-KLASSIK Podcast. Die Waldsteinsonate ist für ihn "das beglückendste Stück Musik": "Unter allem, was ich jemals auf dem Klavier gespielt habe, ist sie das größte Geschenk."

32 x Beethoven als Podcast

Den Podcast "32 x Beethoven" mit Igor Levit und Anselm Cybinski finden Sie hier – jede Folge behandelt eine Klaviersonate.

Was ist das besondere an der Waldsteinsonate? Sie ist ein Wendepunkt. Beethoven zeigt mit ihr schon 1804, wohin sich die Klaviermusik im 19. Jahrhundert entwickeln wird. "Es ist die Neuerfindung dessen, was Klaviermusik ist", sagt Igor Levit.

Ohne die Waldsteinsonate hätte es keinen Franz Liszt gegeben.
Igor Levit

"Alles ab diesem Stück ist anders", so Levit. Das gilt für die Virtuosität wie für den Umgang mit Emotionen: Die Waldsteinsonate wird wegweisend für die Komponisten nach Beethoven.

Pulsierender Herzschlag und Hypererregtheit

Charakteristisch ist der Anfang: pulsierende Achtel. "Ich kenne keinen Vergleich in Beethovens Klaviermusik, wo körperliches Erleben so zu Musik wird wie das hier," sagt Levit und spielt die ersten Takte der Waldsteinsonate. "Dieser Herzschlag ist ein ganz anderer." In rasendem Puls eilt der erste Satz davon - abgesehen von wenigen Fermaten und einem einzigen Ritardando. Spannend, wie Beethoven die Lautstärken einsetzt: aus wildem fortissimo bricht er plötzlich runter ins pianissimo. "Die Reaktionsschnelligkeit, die hier gefordert wird, wird nochmal auf eine neue Stufe gehoben", sagt Igor Levit.

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Beethoven: Excerpt - "Waldstein" Piano Sonata No. 21 in C Major, Op. 53 - I. Allegro co... | Bildquelle: IgorLevitVEVO (via YouTube)

Beethoven: Excerpt - "Waldstein" Piano Sonata No. 21 in C Major, Op. 53 - I. Allegro co...

Igor Levit spielt den ersten Satz sehr schnell. "Ich brauche dieses Tempo", erklärt er. "Die Hypererregtheit steht in den Noten. Es muss dich eigentlich die ganze Zeit schwindeln."

Ich brauche dieses Tempo.
Igor Levit über den ersten Satz der Waldsteinsonate

In der Durchführung wird auch die Harmonik schwindelerregend: Beethoven irrt quasi durch die Tonarten. "Manchmal bekommt die Musik auch etwas Dunkles, beinahe Sehnsüchtiges", findet Igor Levit.

Revolutionär: Daumenmelodie und Oktavglissandi

Doch trotz des Tempos gibt es im ersten Satz auch flächige Abschnitte und choralhafte Passagen mit langen Legatobögen. Sie wirken wie Ruheinseln. Und Beethoven verwendet hier eine Technik, die angeblich erst Jahrzehnte später erfunden wurde: die Daumenmelodie. Der Daumen übernimmt die Melodielinie, während die übrigen Finger diese umspielen. Franz Liszt und Sigismund Thalberg haben sich später darum gestritten, wer diese Technik erfunden hat. Dabei findet sie sich schon hier in Beethovens Waldsteinsonate. Für Igor Levit ist klar: "Liszt, Busoni, Thalberg - nichts konnte passieren ohne dieses Stück." Im dritten Satz verwendet Beethoven außerdem Oktavglissandi: Daumen und kleiner Finger gleiten im Abstand einer Oktave über die weißen Tasten. Auch diese Technik gibt es hier wohl erstmalig in der Geschichte der Klaviermusik.

Waldsteinsonate und Beethovens "unsterbliche Geliebte"

Josephine Brunsvik | Bildquelle: gemeinfrei Josephine Brunsvik war möglicherweise Beethovens "Unsterbliche Geliebte". | Bildquelle: gemeinfrei Beethovens "Unsterbliche Geliebte" - wer war diese Frau? Vieles deutet auf Josephine Brunsvik hin, eine adlige Klavierschülerin Beethovens. Eine Ehe mit dem bürgerlichen Beethoven war damals undenkbar. Für Josephine schrieb Beethoven das berühmte "Andante favori". Ihr Name passt genau auf den Rhythmus der Melodie. Diesen Satz hatte Beethoven ursprünglich als Mittelsatz der Waldsteinsonate vorgesehen. Doch dann änderte Beethoven seinen Plan - und schrieb als zweiten Satz eine vergleichsweise kurze "Introduzione". Das Andante favori hat er später als separates Stück veröffentlicht.

Überleitung ins Finale - ein Gänsehautmoment

Die "Introduzione" mündet in den langen Finalsatz. Wie viele kurze Zwischensätze bei Beethoven hat auch dieses Adagio eine Transitfunktion: "Es ist eine intimste Überleitung in den großartigsten Satz überhaupt", findet Igor Levit.

Diese Sonate erzählt anders vom Leben als alle anderen vor ihr.
Igor Levit

Igor Levit und Anselm Cybinski bei Podcast-Aufnahmen von "32x Beethoven" | Bildquelle: Christian Kruppa Igor Levit spricht mit Anselm Cybinski im BR-KLASSIK Podcast "32xBeethoven" über die Klaviersonaten. | Bildquelle: Christian Kruppa Ähnlich wie bei der Mondscheinsonate komponiert Beethoven auch hier zunächst einen musikalischen Raum. Zunächst gibt es nur Harmonie - bis sich eine einzelne Stimme zu Wort meldet. Eine zentrale Rolle in beiden Sätzen, der Introduzione und dem Finale, spielt der Ton G. Während sich die Introduktion am Ende nahezu auflöst, bleibt er als einziger Ton übrig - und aus ihm entwickelt sich dann die "schönste Hymne". Igor Levit schwärmt vom Beginn des Finalsatzes: "Da bekomme ich eine Gänsehaut. Diese Sonate schafft, was keine vor ihr schafft: Sie erzählt anders vom Leben." Handelt der zweite Satz vom Suchen, so geht es im dritten Satz um das Finden.

Eine Hymne an das Leben

Der Finalsatz beginnt flächig. Darüber erhebt sich eine hymnische Melodie. Dann werden die Dimensionen immer größer, ein langgezogener Triller gesellt sich hinzu. "Beethoven erzeugt Vibration", sagt Igor Levit. Das ganze Klavier vibriert - immer stärker. Beethoven zieht alle Register: "Hier beginnt die Party", sagt Levit und spielt eine Passage mit geradezu barbarischen Akzentballungen und insistierenden Momenten, die auch in Beethovens Sturm-Sonate eine wichtige Rolle spielen.

Die Klaviersonate wird hier zum Naturereignis.
Igor Levit

Titelblatt von Beethovens Waldsteinsonate mit der Widmung | Bildquelle: picture-alliance/dpa Beethoven hat seine Sonate op.53 dem Grafen Waldstein gewidmet. | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Das ist Kosmosmusik": Am Ende wird alles hymnisch. Und zwar "lebensbejahend hymnisch", betont Levit. Die Musik steigert sich hinein in einen großen Rausch. Die Klaviersonate sprengt ihre bisherige Form - wird sie zur Sinfonie? "Nein, Sinfonie wäre zu klein", meint Igor Levit. "Eigentlich wird die Klaviersonate zum Naturereignis."

32 x Beethoven als Podcast

Den Podcast "32 x Beethoven" mit Igor Levit und Anselm Cybinski finden Sie hier – jede Folge behandelt eine Klaviersonate.

DAS WICHTIGSTE IM ÜBERBLICK

Klaviersonate Nr. 21 C-Dur, op. 53 "Waldsteinsonate"
Entstehung: 1803-04
Sätze: 1. Allegro con brio, 2. Introduzione. Adagio molto, 3. Rondo. Allegretto moderato - Prestissimo
Der Clou: Beethoven markiert mit seiner Waldsteinsonate einen Wendepunkt in der Geschichte der Klaviermusik: neue Techniken und ein neues Verständnis davon, was Klavierspiel eigentlich ist. Die Sonate ist Impuls und Inspiration für alles, was auf dem Klavier im 19. Jahrhundert folgen sollte.
Der Titel: Beethoven widmet die Sonate seinem alten Förderer, dem Grafen Ferdinand von Waldstein.

Sendung: "32 x Beethoven" am 26. Mai 2020, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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