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Altrömischer Choral Einstimmiger liturgischer Gesang

Je weiter wir zurückblicken, desto verschwommener wird alles: auch in der Rekonstruktion des altrömischen Chorals, der vor mehr als 1.000 Jahren in Rom etabliert wurde, bleibt manches im Unklaren.

Kuppel des Peterdoms in Rom | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Rom - die ewige Stadt. Hier stehen die ältesten Kathedralen des lateinischen Abendlands: der Petersdom, die Lateranbasilika, San Paolo fuori le Mura. Sie ruhen auf antiken Fundamenten, ihre Grundmauern stammen aus der Zeit Kaiser Konstantins. Jeder Stein zeugt von den Anfängen des Christentums im römischen Kaiserreich.

ZEUGEN LÄNGST VERGANGENER ZEITEN

Erst ab dem 11. Jahrhundert allerdings gibt es schriftliche Zeugnisse der Gesänge, die in den altehrwürdigen römischen Kirchen erklangen. Fünf Handschriften aus dem 11. bis 13. Jahrhundert überliefern den altrömischen Choral. Die Musik in diesen Handschriften zeigt eine eigenständige Tradition im Vergleich zum gregorianischen Choral, den die fränkischen Karolinger im 8. Jahrhundert in ihrem Herrschaftsgebiet einführten und der sich bald im gesamten lateinisch geprägten Europa verbreitete. Rom behauptete diese eigene Gesangstradition bis ins 13. Jahrhundert. Wodurch aber hebt sich der altrömische Choral vom fränkischen ab? Andreas Pfisterer, Musikwissenschaftler an der Universität Regensburg:

"Es ist eigentlich dieselbe Melodie, derselbe Grundriss, aber die melodische Oberfläche unterscheidet sich: die römische Fassung hat häufig etwas mehr Umspielungen, kleine Melismen als die fränkische, und was ganz auffällig ist: die römische Fassung bewegt sich fast durchgehend in Schrittbewegung, während die fränkische Fassung häufiger Sprünge aufweist."

WIE FUNKTIONIERT ENTWICKLUNG?

Wie aber sind diese Unterschiede zu erklären? Andreas Pfisterer skizziert die gängigen Thesen der Forschung:

"Es gibt eine traditionelle These, die auch heute noch weitgehend üblich ist, die besagt, dass die altrömische Fassung genauso, wie sie in den Handschriften steht (oder ein bisschen anders) die ist, die man immer in Rom gesungen hat. Und dass dann mit dem Export des römischen Chorals ins Frankenreich in der Mitte des 8. Jahrhunderts, mit der karolingischen Reform, dort eine Art Bearbeitung vorgenommen wurde, deren Ergebnis die fränkische Fassung ist. Die andere Hypothese, die ich selber vertrete, ist, dass das, was auf der fränkischen Seite angekommen ist (was wir als fränkische Fassung kennen) sehr genau dem entspricht, was man in Rom gesungen hat; dass aber in Rom selbst im Lauf der Jahrhunderte bis zum 11. Jahrhundert die Melodie Entwicklungen durchgemacht hat, und zwar Entwicklungen, die gar nicht beabsichtigt waren, sondern eher eine Ansammlung von kleinen Unfällen oder Angleichungen sind."

EINE ANNÄHERUNG

Der altrömische Choral wird auch in Zukunft nie in all seinen Facetten so rekonstruiert werden können, wie er wirklich im 7. oder 8. Jahrhundert gesungen wurde. Die Mosaikstücke in den überlieferten Handschriften aber zeugen von einer äußerst vitalen Gesangskultur, die über Jahrhunderte an den ältesten und ehrwürdigsten Stätten des abendländischen Christentums gepflegt wurde.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 24. April 2011, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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