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Kastraten-Star Farinelli Der bittere Preis seines Ruhms

Einen echten Kastraten, am liebsten den berühmten Farinelli, einmal live hören zu dürfen – wäre das höchster Kunstgenuss oder ist das ein zutiefst unmoralischer Wunsch?

Kastratensänger Farinelli, gemalt von Corrado Giaquinto | Bildquelle: wikimedia

Bildquelle: wikimedia

Farinelli war der berühmteste Kastrat des 18.Jahrhunderts, geboren in ärmlichen Verhältnissen in der Nähe von Neapel, Schüler von Nicola Porpora und Shootingstar der italienischen und später englischen Opernindustrie. Bis heute hält die Faszination an. Der Name Farinelli verleitet zum Träumen. Keiner konnte die Töne länger aushalten als er. Sein Stimmumfang war größer als bei anderen Kastraten. Seine Stimme reiner Wohlklang. Die Begeisterungsstürme des Publikums sind legendär.

Doch genug geträumt. Im Sommer 2006 bot sich in Bologna dieses bizarre Schauspiel: Wissenschaftler brechen das Grab Farinellis auf, um das Skelett des Kastraten zu untersuchen. Als Begründung dieser Aktion gibt der Mediziner Francesco Vitalini von der Universität Bologna an:

"Unsere Untersuchungen sollen herausfinden, ob die ungewöhnlichen stimmlichen Qualitäten dieses Sängers durch bestimmte körperliche Vorgaben determiniert wurden. Nur ein Skelett und Knochenanalyse kann Antworten auf diese Fragen geben."

HÖHER! WEITER! LÄNGER!

Das unruhige Ende einer einsamen Weltkarriere, eines berühmten Opfers der Unterhaltungsindustrie. Denn um Kunst ging es damals wie heute niemals ausschließlich. Bezeichnend, dass zu Beginn von Farinellis internationaler Karriere nicht etwa eine künstlerisch herausragende Darbietung stand, sondern ein gewonnenes Duell. Das Kräftemessen mit einem Trompeter katapultierte den 17-Jährigen ins Rampenlicht der Kunstwelt. Charles Burney schrieb in sein Tagebuch einer musikalischen Reise:

"In Rom war aller Abend ein Wettstreit zwischen ihm und einem berühmten Trompeter: nachdem sie verschiedene Male Noten ausgehalten hatten, worin jeder die Kraft seiner Lunge zeigte und es dem anderen an glänzender Fertigkeit und Stärke hervorzutun suchte, kriegten beide zusammen eine haltende Note und einen Doppeltriller in der Tertie. Der Trompeter, der ganz atemlos war, gab ihn auch in der Tat auf und dachte, das sein Nebenbuhler ebenso ermüdet sein würde, als er selbst war und dass der Sieg unentschieden wäre, als Farinelli mit einer lächelnden Miene, um ihm zu zeigen, dass er bisher nur mit ihm gespaßt habe, auf einmal in eben dem Atemzuge mit neuer Stärke ausbrach und nicht nur die Note schwellend aushielt und trillerte, sondern auch sich in die schnellesten und schwersten Läufe einließ. Wobei er bloß durch das Zujauchzen der Zuschauer zum Stillschweigen gebracht wurde."

RÜCKZUG

Viele fragten sich damals, warum Farinelli nach so erfolgreichen Reisen nach Wien, London und Paris ein Angebot des spanischen Königs annahm und 1737, mit 32 Jahren, nach Madrid ging, um dort jeden Abend ausschließlich für Philipp V. und später für dessen Sohn Ferdinand VI. zu singen. Doch wie sonst hätte er dem ganzen Theater entfliehen können? Als Karl III. den spanischen Thron bestieg, sah sich Farinelli gezwungen, das Land zu verlassen. Er ließ sich in der Nähe von Bologna nieder. Bis zu seinem Tod blieb er in seiner Villa, trat nicht mehr öffentlich auf, sondern vollzog spirituelle Übungen.

Podcast-Tipp

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KUNST ODER MORAL?

Farinelli - der Name ist zugleich eine Mahnung: was ist der Mensch fähig, anderen Menschen anzutun? Na, wenn es doch für die Kunst ist. Der Teufel wohnt in uns allen, so Nicolas Clapton vom Händel-Haus Museum London:

"Ich meine, der Gedanke, ein kleines Kind oder egal wen zu kastrieren, ist verabscheuungswürdig. Aber ich glaube, wenn wir 1730 in einem Opernhaus gesessen und uns diesen Gesang angehört hätten, wären viele von uns mit aufgesprungen und hätten gerufen 'Lang lebe das Messer!', was die Zuschauer damals aus den Boxen schrien."

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