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16. September 1995 – Der "Panic"-Skandal Birtwistle, der Bürgerschreck

London, 16. September 1995: Panik in der Royal Albert Hall. Oder, besser gesagt, "Panic". Denn so heißt das Stück, das Harrison Birtwistle für die "Proms" komponiert hat. Ausgerechnet Birtwistle, der knorrige Avantgardist. Nanu, ist er etwa auf seine alten Tage weich geworden? Als die letzten Noten von "Panic" verklungen sind, wissen es alle: Nein, ist er nicht!

Der Komponist Harrison Birtwistle | Bildquelle: picture alliance / AP Photo | SIGI TISCHLER

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Erwartet hatten die Besucher der legendären Last Night of the Proms wie jedes Jahr das Übliche: "Rule Britannia", "Pomp & Circumstance" und so weiter. Bekommen haben sie 1995 beim traditionellen Abschlussabend der Londoner Sommerkonzerte zunächst etwas ganz Anderes. Anschließend überschlugen sich die Boulevard-Zeitungen vor Entsetzen: "Eine schreckliche Kakophonie", "Völliger Blödsinn", "The Last Fright of the Proms" ("Der letzte Schrecken der Proms").

Gefühle von Ekstase und Schrecken

Denn Harrison Birtwistle, der Altmeister der Neuen Musik, hatte für die Last Night of the Proms ein Orchesterstück komponiert: "Panic" für Saxophon, Schlagzeug und Orchester. In seinem Werkkommentar heißt es: "Der Saxophonist wird mit dem mythischen Gott Pan gleichgesetzt, der buchstäblich Verderben bringt und Verbote sprengt. Der Titel 'Panic' bezieht sich auf die Gefühle von Ekstase und Schrecken, die die Tiere nachts beim Klang von Pans Musik empfinden."

Bei der BBC liefen die Telefone heiß

Wild, laut, chaotisch, auch ein bisschen jazzig tobte Birtwistles Musik durch die altehrwürdige Royal Albert Hall. Das Saalpublikum, in Erwartung von "Pomp and Circumstance" und "Rule Britannia", wie jedes Jahr ausgerüstet mit patriotischen Hüten und Fähnchen, aber durchaus klassikerfahren, nahm's noch relativ gelassen. Doch bei der BBC, die das Konzert wie immer im Fernsehen übertrug, liefen die Telefone heiß. Tausende wutentbrannte Zuschauerinnen und Zuschauer riefen an, beschwerten sich, das Stück klinge "wie akustisches Abwasser", "wie kalte Kotze", "wie ein brüllender Stier in einer Herde".

Der Skandal machte das Stück berühmt

Harrison Birtwistle, der in den Zentren der Avantgarde höflichen Applaus gewohnt ist, konnte es auch Jahre später noch nicht recht fassen: "Das Stück ist in Japan gespielt worden, in Helsinki, und zwölf Jahre später sogar nochmal bei den Proms. Aber nirgendwo hat es jemals eine vergleichbare Reaktion ausgelöst." Immerhin: Der Skandal machte das Stück berühmt. Und den Namen Harrison Birtwistle kennen in England seither auch die Leser von "Sun" und "Daily Mirror" – und jeder Fernsehzuschauer.

Und so klingt "Panic"

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Harrison Birtwistle - Panic (1995) - Live performance with video and score | Bildquelle: the fsb (via YouTube)

Harrison Birtwistle - Panic (1995) - Live performance with video and score

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Sendung: "Allegro" am 16. September 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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